Lappländische Menage à trois: „Der Kuckuck” von Aleksandr Rogoshkin (Lina Dinkla)

Kukushka – Der Kuckuck
Russland/Finnland 2002, 100min
Buch & Regie: Aleksandr Rogoshkin
Kamera: Andrei Zhegalov
Schnitt: Julia Roumyantsev
Darsteller: Anni-Kristiina Juuso (Anni), Viktor Brychtov (Ivan), Ville Haapasalo (Veiko)
Kinostart: 14. Juli 2005

Fotos: koolfilmVerständigung in Zeiten des Krieges

Lappland, Herbst 1944. Finnland als Kollaborateur des Naziregimes befindet sich im Krieg mit Russland. Veiko, unfreiwillig in eine SS-Uniform gesteckt, wird aufgrund seines Pazifismus als Verräter aus der Truppe gestoßen und von seinen deutschen Kameraden mitten in der lappländischen Tundra an einen Felsen gekettet zurückgelassen.

Parallel dazu befindet sich der Russe Ivan auf dem Weg in ein ungewisses Ziel. Auch er, als „Verräter“ enttarnt, soll bestraft werden. Bewacht von zwei Soldaten wird er in einem Militärjeep durch die finnische Landschaft befördert. Doch sie kommen nicht weit, denn aus unerfindlichen Gründen werden sie von einem Bomber der eigenen Truppe angegriffen und getötet. Für Ivan ist das die Rettung in letzter Minute, denn er überlebt als einziger schwerverletzt den Angriff.

Als dritte Hauptfigur lernen wir Anni kennen. Sie ist Lappin und lebt nicht weit der beiden Schauplätze friedlich und unbedarft im Einklang mit der Natur und scheint weitgehend unbeteiligt vom Krieg vor der eigenen Haustür. Beim täglichen Wasserholen entdeckt sie die russischen Toten und will sie begraben. Den bewusstlosen Ivan schleift sie kurzerhand in ihr kleines Zeltlager. Mit Kräutersud und heißem Rentierblut versucht sie ihn wieder gesund zu pflegen.

Und auch Veiko entkommt unerwarteterweise seinem Schicksal. Er schafft es, sich mithilfe von Alltagsgegenständen Werkzeug zu basteln und nach geschätzten ein bis zwei Tagen mühsamen Feuermachens seine Kette aus dem Stein zu befreien. Mit dem Fernglas seines Gewehrs hat er währenddessen den Jeep und die Russen beobachten können und auch Annis Anwesenheit ist ihm nicht verborgen geblieben. Dorthin macht er sich auf, in der Hoffnung bei ihr Werkzeug benutzen zu können, um die Überbleibsel seiner Ketten loszuwerden.

Die Begegnung der drei Personen offenbart den Clou des Films: eine Frau, zwei Männer und drei Sprachen. Ivan spricht russisch, Veiko finnisch und Anni lappisch – und keiner versteht auch nur ansatzweise, was die anderen sich abmühen zu erklären.

Rutschte man bis dahin etwas unruhig auf dem Sessel hin und her, weil die Geschichte keine klare Richtung einzuschlagen schien, ist diese Besorgnis mit dem Aufeinandertreffen der drei unterschiedlichen Personen vergessen. Absurdeste Gespräche werden da geführt; Ivan der annimmt, das Veiko ihn in der nächsten Minute umbringen wird und ihn ständig als Faschist bezeichnet; Anni, die nach vier Jahren ohne Mann von der Ankunft der beiden mehr als erfreut ist und in aller Offenheit von ihrer Lust spricht; Veiko, der sein Glück nicht fassen kann, sich befreit haben zu können und von den Möglichkeiten des Friedens träumt.

Wie die drei so hemmungslos aneinander vorbei reden und dann doch wieder ganz zufällig dasselbe Thema treffen, sich fast unbemerkt die richtige Antwort geben, ist herrlich, absurd, komisch und taucht den gesamten Film in eine ganz unerwartet witzige Stimmung.

So lebt diese Schicksalsgemeinschaft mehr oder weniger friedlich zusammen und Anni, hübsch und keck, bezaubert die beiden mit ihrem Augenaufschlag und ihrer pragmatisch ungerührten Art. Nicht nur ihretwegen liegen sich Veiko und Ivan dann und wann in den Haaren. Ivan kann sein Misstrauen nicht ablegen und vermutet in Veiko nach wie vor eine Gefahr. Nach einer Weile keimt allmählich die berechtigte Befürchtung auf, dass die beschränkte Verständigungsmöglichkeit durchaus auch zu einer Katastrophe führen kann.
Die kommt in Form eines abstürzenden Flugzeugs in die abgeschiedene Gegend. Ivan und Veiko machen sich auf den Weg, um – vergebens – nach Überlebenden zu suchen. Die Maschine sollte Flugblätter mit der Nachricht des Kriegsendes verteilen. Veiko reißt vor Freude sein Gewehr in die Luft und will Ivan die frohe Nachricht übermitteln, doch der schießt reflexartig auf ihn, weil er irrtümlicherweise annimmt, genau das Gegenteil sei der Fall. Seinen Fehler erkennend, schleppt er Veiko zurück zum Zelt, wo Anni ihn mit Geheule und Trommelschlägen dem nahenden Tod entreißt.

Neben der mitreißenden Geschichte und der sich nicht erschöpfenden Komik, die sich aus der Sprachenvielfalt ergibt, bleibt Kukushka durch die bestechenden Kameraaufnahmen im Gedächtnis. Die Bilder der kargen und wunderschönen Landschaft erregen erhabene Gefühle, und trotz des Eklats am Ende zieht sich eine allgemeine Unaufgeregtheit durch den Film. Untermauert wird diese vor allem durch Annis Verbundenheit mit den Jahreszeiten und der Natur, die sie völlig unbeeindruckt lässt von der Störung, die da mit den beiden Männern in ihr kleines Reich gelangt.

Doch irgendwann brechen die beiden auf, um in ihre Heimat zurückzukehren. In den letzten Einstellungen sehen wir Veiko und Ivan in kunstvoll zusammengenähten Rentierfellanzügen durch den Schnee stapfen und – Jahre später – Anni, die ein ganz besonderes Andenken an ihre beiden Männer zurückbehält… (Lina Dinkla)

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