Klamauk im Clarapark: Plenzdorfs „Legende von Paul und Paula” als Sommertheater (Sarie Teichfischer)

„Legende vom Glück ohne Ende – Die Geschichte von Paul und Paula“
Spiel nach dem gleichnamigen Roman
Premiere
9. Juli 2005, Schauspielhaus Leipzig (Parkbühne im Clara-Zetkin-Park Leipzig)

Es spielen: Bettina Riebesel, Aleksandar Radenkovic, Franziska Junge, Jana Horst, Bastian Semm, Oliver Firit, Georg Thielmann, Steve Wrzensiowski

Regie:Uta Koschel
Arrangements, Produktion
und musikalische Leitung:Ludger Nowak
Bühne und Kostüme:Tom Musch
Choreografie:Werner Stiefel
Dramaturgie:Carmen Wolfram

Keine blöde Ostalgie?

Man kennt das ja von Leipzig: Ab Mitte Juni ergießt sich ein bunter Reigen von Sommertheater-Veranstaltungen über laue Abende, teils in Hinterhöfen der Innenstadt, teils am Gohliser Schlösschen, teils im Clara-Zetkin-Park. Dieses Jahr auch wieder auf der Parkbühne: Die „Legende vom Glück ohne Ende – Die Geschichte von Paul und Paula“ mit einem Ensemble, das bis auf eine Ausnahme aus Schauspielstudenten besteht. Da geht man besonders gern hin, erinnert man sich doch an Studentenaufführungen wie Meuterei auf der Bounty, Unter Göttern und diverse zauberhafte Liederabende in Vorjahren.

Doch Paul und Paula rocken nicht, sie klamauken. Was mit einem sehr einfallsreichen ersten Bild beginnt, bricht Sekunden später in Blödelei zusammen. Von Subtilität nicht die Spur, auch die Kreativität scheint an diesem Abend rüber ins Glashaus entfleucht zu sein. Sehr schade das alles, zumal Regisseurin Uta Koschel das im Kreuzer-Interview ganz anders angekündigt hatte: „Keine blöde Ostalgie“ waren da O-Ton und Überschrift gleichermaßen. Nun, Frau Koschel, das war wohl nix. Denn platter hätt´s nicht sein können. Man wolle „auf keinen Fall den Film kopieren“, war zu lesen. Nun, kopiert war genug. Das fängt beim abgekupferten Plakat an und hört bei der Werbung auf einem himmelblauen Trabbi auf. Zwei Stunden können so lang sein, vor allem, wenn DDR-Melodien rausgekramt und willkürlich in Medleys gepresst werden. Dann, wenn die xte original DDR-Requisite Lachsalven beim diesjährig anscheinend sehr leicht zu amüsierenden Leipziger Publikum auslöst, wenn die Stasimänner das dritte Mal demonstrativ in grauen Mäntel mit Stehkragen über die Bühne tingeln.

Zur Geschichte muss nicht viel gesagt werden, die dürfte bekannt sein: Paula liebt Paul und umgekehrt. Letzteres wird allerdings erst recht spät offiziell. Bis dahin gibt es einen Unfall und zerhackte Wohnungstüren. Als Paula trotz ärztlicher Warnung ihr erstes Kind von Paul kriegt, stirbt sie. Der Film hört hier auf. Das Theaterstück geht weiter. Paul lebt mit den Kindern alleine. Dann lernt er Laura kennen, die Paula enorm ähnlich sieht. Er verliebt sich in sie beziehungsweise die zweite Paula, die er in ihr sieht. Doch Laura ist ein komplett anderer Mensch. Dann wird es abstrus: Laura steht im Verdacht, von der Stasi auf Paul angesetzt worden zu sein… . Ulrich Plenzdorf selbst hat seine Filmfassung fürs Theater weiter geschrieben. Über die Berechtigung dieser Fortsetzung darf gestritten werden.

Der Film-Soundtrack von den Pudhys wird im Stück erweitert um Karussell, Rockhaus und Rammstein, hier also eine Aktualisierung des Stoffes. Das allerdings als spärliche Unterbrechung der Nostalgie, begleitet von Details, wie einem Tattoo auf Pauls Schulter oder einer roten Cord-Schlaghose aus dem Mrs. Hippie. Und dem Eintrag ins „Tagebuch“, was reell „Muttiheft“ hieß. „Wenn alles zieht an einem Tau, erreichen wir das Weltniveau.“ Da soll man sich nun vor Lachen auf die Schenkel klopfen. Und erstaunlicherweise tun das auch viele an diesem Abend. Sommertheater ist halt Gaudi, da will man sich den Abend doch nicht durch unnötigen Anspruch verderben. Schlechte Slapstick-Musical-Einlagen wie „Ich bin der letzte Kunde“ werden wohlwollend bewiehert; als ein Darsteller zum Mitsingen auffordert, möchte man auf der Stelle ganz woanders sein. Nicht so der Großteil des Publikums: Es gibt Pfiffe und Szenenapplaus.

Nach der Pause wird das Stück besser; die Schauspieler scheinen ihrer selbst sicherer zu werden; hie und da auch ein sprachlicher Leckerbissen wie „suggestive Gemütlichkeit“. Zwischendrin immer mal recht unmotivierte Dialoge; da muss schon mal der ein oder andere Gemeinplatz herhalten. Ob sich Plenzdorf an dieser Inszenierung erfreut hätte?

Neuerung bei Koschel: Eine Erzählerin erinnert sich als „meine Person“ an die Geschichte von Paul und Paula. Bettina Riebesel gibt ihr Bestes, um die Berliner Schandschnauze zu spielen, wirkt aber oft albern. Nebenrollen wurden durchaus erfreulich ausgebaut: Steve Wrzesniowski brilliert als Pauls Kumpel – da passen gelber Rolli, Schwedenfrisur und Lulatsch-Gestik zusammen, da entsteht ein glaubhafter, weil neuer Charakter. Bastian Semm als Paulas Sohn mit Lätzchen und Schnuller möchte man mehr auf der Bühne sehen! Bühnenbildnerisch hat sich Tom Musch durchaus etwas einfallen lassen: Die Bühne ist schlicht aber ansprechend und vor allem flexibel. Schwingtüren, Drehbühne und Überraschungseffekte ergeben ein stimmiges Gesamtbild, in das sich die Lichttechnik einpasst. Die Kostüme dagegen weniger originell: Bunte Häkelwesten, Plateaustiefel und blumige Kittelschürzen machen die Schauspieler trashig bunt und versprühen Hair-Atmosphäre.

Franziska Junge gibt der Doppelrolle Paula/Laura durchaus Profil. Gerade als Paula versucht sie, alle Facetten dieser Figur abzudecken und verspielt, verletzlich und mutig, liebend, begehrend, albern und traurig, verzweifelt, naiv und überdreht, stark und schwach zu sein. Wenn Paula betrunken auf die Seite kippt & dabei „Ich liebe Dich“ jault, ist allerdings unklar, ob Junges Stimmumfang dem Lied nicht gewachsen ist, oder sie dem Betrunkenheitseffekt auf die Sprünge helfen will. Paul beziehungsweise Aleksandar überzeugt in einigen Momenten, kann das Stück aber nicht retten. Leider fasziniert keiner der Darsteller, was dann wohl hauptsächlich den Durchschnittscharakter des Stückes ausmacht. Geht gar nicht: Jana Horst als Pauls Frau, Pauls Tochter und Ärtzin. Lange Beine und ein blonder Schopf allein machen halt noch lange keine Aktrice. Bei dieser Durchsichtigkeit im Spiel hätte man diese Figuren im Stück genauso gut weglassen können. Und Oliver Firit als Reifen-Saft wurde wohl kurz vor Beginn noch fix von einer Grillfeier im Park ausgeliehen.

Nun müssen sich die Schauspielstudenten der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ des Jahrgangs 2002 spielerisch und gesanglich gegen herausragende Vorgänger behaupten: An Nicola Ruf, Jörg Malchow und Co. kommt so schnell keiner ran, vor allem im Team nicht. Da ging Leipziger Sommertheater der Schauspielstudenten in den vergangenen Jahren doch wesentlich professioneller oder zumindest erfrischender. Und das Patentrezept, Jahr für Jahr die gleichen Typen am Studio Schauspiel anzunehmen, um damit das Niveau zu halten, geht eben doch nicht bedingungslos auf, was zu beweisen war.

Trotz allem gibt´s Gänsehaut im Stück: Rammstein klingt von Frauenstimme auf Bett stehend gesungen plötzlich verzaubernd. Und noch nie wurde „Als ich fort ging“ so rau, so schlicht und so verzehrend gesungen wie vom Paul und Paula-Ensemble an diesem warmen, wolkenverhangenen Abend des neunten Juli 2005.

Ein Kritikpunkt sei noch angemerkt: Könnte im Theaterbetrieb bitte nicht an den Premierenblumen gespart werden? Dieses Phänomen, letztens schon in der Schaubühne Lindenfels beobachtet, berührt peinlich und gibt dem Ganzen einen recht schalen Nachgeschmack.

(Sarie Teichfischer)

Noch bis 29. Juli 2005

Weitere Infos siehe auch www.schauspiel-leipzig.de

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