Aufstieg und Fall der Asta-Nielsen-Kapelle

Ralph Nünthel schreibt mit seinem Buch „UT Connewitz & Co.“ Kino- und Stadtteilgeschichte

Ralph Nünthel ist der Chronist der Leipziger Lichtspieltheater. Schon seit 20 Jahren beschäftigt sich der heutige Filmvorführer der Passage-Kinos mit der Geschichte der Leipziger Kinos. Nun hat er im Süden der Stadt den Anfang gemacht, diese zu Papier zu bringen, seitdem er bereits 1999 mit einem Buch über den Leipziger Kinopionier Johannes Nitzsche debütierte. UT Connewitz & Co. – Kinogeschichte(n) aus Leipzig-Süd verbeugt sich bereits im Titel vor dem „größten und elegantesten Kino des Südens“, so ein Werbeslogan des UT von 1920. Dabei ist das Buch weit mehr als die Geschichte dieses Kinos, das nun seit kurzem seine Auferstehung erlebt. Mit Faszination und Akribie recherchierte Nünthel, gefördert durch ein Stipendium der DEFA-Stiftung, zugleich die miteinander verstrickte(n) Geschichte(n) der damaligen beiden anderen Kinos in Connewitz, des CT und des Theater des Südens. Damit schreibt Nünthel nicht nur Kino-, sondern auch ein Stück weit Stadtteilgeschichte.

Begonnen hatte die Connewitzer Kinogeschichte mit dem kinobegeisterten Maurermeister Hermann Kühnast. Dieser eröffnete schon 1909 in der Bornaischen Straße die Fata-Morgana (der spätere Lichtspiele-Palast, dann CT – Central-Theater). Die Konkurrenz durch das nahe gelegene, allerdings kurzlebige Theater des Südens in den Sommermonaten 1912 machte Kühnast weniger zu schaffen, wohl aber die Gründung der größeren Kammerspiele (das spätere UT Connewitz) im selben Jahr in der Pegauer Straße, der heutigen Wolfgang-Heinze-Straße. Da aber auch dort der Pächter schon bald das Handtuch warf, machte sich Kühnast selbst zum neuen Pächter. Zu nutzen wußte er dieses Monopol allerdings nicht und öffnete sein „Zweitkino“ über Jahre hinweg an nur wenigen Tagen in der Woche; seit Beginn des ersten Weltkriegs blieb es sogar ganz geschlossen. Durch einen Besitzerwechsel war diese Gangart nicht mehr aufrechtzuerhalten, und ein neuer Pächter kam, um die Kammerspiele nach gründlicher Renovation als UT Connewitz neu zu gründen. Dieser war Arthur Wießner, der auf die Hilfe seines Stiefvaters, des erfolgreichen Leipziger Kinobesitzers Max Künzel bauen konnte, der mit dem UT Hainstraße (der Vorläufer der heutigen Passage-Kinos) auch Namensgeber für das UT Connewitz war. Die Bezeichnung UT hat sich als feststehender Name verselbständigt. Seine ursprüngliche Bedeutung war allerdings nie wie häufig behauptet Ufa-Theater, insistiert Nünthel, sondern stand für Union-Theater, und war nicht mehr als eine beliebte „Trittbrettfahrerbezeichnung“, die vom Glanz der großen gleichnamigen Kinokette profitieren wollte. Jahrzehnte später führte diese Verwechslung der Namen sogar dazu, dass das UT plötzlich in FT (Filmtheater) umbenannt wurde, um sich damit dem angeblichen Kürzel für die imperialistische Ufa (Universum-Film AG) zu entledigen. Der zum Teil verwirrenden Namensgeschichte und -bedeutung widmet Nünthel für jedes der drei Kinos glücklicherweise ein eigenes kleines Kapitel.

Seit 1920 beginnt somit die Geschichte UT Connewitz‚, die Dank Wießners „kontinuierlicher Öffentlichkeitsarbeit, Nähe zum Publikum, Arbeit mit Prominenten, ständigem Bemühen um technische Verbesserungen oder Imagepflege in Form von Jubiläumswochen“ zu einer Erfolgsgeschichte wurde. In den zwanziger Jahren diente das UT an jedem Sonntagmorgen der Probsteigemeinde sogar als Gotteshaus. „Für die Messfeiern wird der Kinosaal zum Gottesdienstraum und der Kassenbereich zum Beichtstuhl umfunktioniert. Ein Spitzname für den ungewöhnlichen Andachtsort, dessen Zugang über und über mit bunten Filmplakaten beklebt ist, lässt natürlich nicht lange auf sich warten: Asta-Nielsen-Kapelle heißt nun scherzhaft die Lokalität.“ 1930 übernimmt Wießner auch das CT und überlebt finanziell so die Weltwirtschaftskrise und die Einführung des Tonfilms. In den Kriegsjahren führt das gestiegene Kinobedürfnis zu den höchsten Besucherzahlen, die das UT erlebt. Im Dezember 1943 brennen durch den Bombenangriff auf Leipzig das CT und das in der nahen Fichtestraße gelegene Colosseum völlig aus, allein das UT überlebt. Zur Zeit der kurzen amerikanischen Besatzung bleibt das UT geschlossen. Die Sowjets eröffnen es jedoch schon im August 1945 wieder – ohne Wießner allerdings, der als ehemaliges Mitglied der NSDAP zu entnazifizieren galt (jedoch nur Mitläufer gewesen sei, so der Autor) und wenig später ganz enteignet wurde. In der DDR zog das UT zwar über Jahre hinweg die Besucher an, wurde aber baulich völlig vernachlässigt. 1992 führte die Umstellung auf das bundesdeutsche Kinosystem dann zu seinem vorerst endgültigen Ende, bis eine Bürgerinitiative den gemeinnützigen Verein UT Connewitz e.V. gründete und das Kino im Dezember 2001 wiedereröffnete und ihm seitdem durch Engagement und Spendengelder ganz ohne öffentliche Förderung zur Wiedergeburt verhilft.

Anja Leupold hat für Nünthels Buch ein eigenes Kapitel über dieses „zweite Leben“ geschrieben. In einem anderen Kapitel nimmt Carola Neumann eine detaillierte Architekturbeschreibung des UT vor. Die Geschichten der drei Kinos rundet Nünthel mit Datenüberblicken und einer Biographie Arthur Wießners ab. Seine berufliche Nähe zur Technik kommt auch hierbei, in der akkuraten Notiz der Vorführtechnik, zum Ausdruck. Manchmal macht diese detailgenaue Chronistenpflicht das Lesen allerdings auch schwierig. An anderen Stellen verdichtet sich der Text aber wieder zu spannenden Anekdoten wie die über die Hals-über-Kopf-Aktion zur Einführung des Cinemascope-Formats oder über die Konkurrenzkämpfe zwischen dem UT und dem Colosseum. Immer dann merkt man Nünthel seine Faszination für den Connewitzer Kino-Tycoon Wießner an, und es entfaltet sich aus der vornehmlich wirtschaftlichen Darstellung nicht selten ein lesenswerter Krimi. Man darf gespannt sein auf seine kommenden Geschichten Leipziger Kinogeschichte – und auf die Zukunft dieser Lichtspieltheater-Perle im Süden.

Ralph Nünthel: UT Connewitz & Co.

Kinogeschichte(n) aus Leipzig-Süd
Sax-Verlag, Beucha 2004

160 Seiten, 12,50 EUR


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