„Dieser Westen gehört allen”

Interview mit Wim Wenders über seinen Film „Don’t Come Knocking”

Der filmende Autor: Wim Wenders (Bilder: Reverse Angel)

Mit Don’t Come Knocking zeigt Wim Wenders erneut, dass er zu den großen internationalen Autorenfilmern gehört. Im Leipzig-Almanach-Interview, das im Rahmen der Leipzig-Premiere entstand, spricht er von seiner Faszination für den Westen, über Vater-Sohn-Beziehungen und über sein Alter, mit dem er noch nie so eins war wie heute.

Jörn Seidel, Leipzig-Almanach: Bei Ihren Filmen ist eines gewiss: Es gibt nie einheitlich Lob, sondern immer auch Kritik.

Wim Wenders: Allerdings! In guter alter Tradition.

Seidel: Don’t Come Knocking zeigt eine wunderbar selbstironische Leichtigkeit. Trotzdem machen Ihnen manche schon wieder dieselben Vorwürfe: Pathos und Kitsch. Was bedeuten Ihnen diese Begriffe?

Wenders: Das ist eine merkwürdige Sache, die man feststellt. Wenn einem Leute vorwerfen, man hätte keinen Humor, sind das meist humorlose Leute. Und wenn einem Leute vorwerfen, man wäre pathetisch, sind das meist Leute, die sich überhaupt nie zu irgendeiner Regung hinreißen lassen und sowieso Schiss haben vor jeder Art von Emotion. Das ist so meine grundsätzliche Feststellung, dass die Drögesten der Drögen einem immer sagen, man hätte keinen Humor.

Seidel: Wie steht es um den Humor in Ihrem Film?

Wenders: Wenn man eine Geschichte erzählt von so einem Typen wie dem Howard und diese nicht komisch erzählen würde, könnte man sich ja ’ne Kugel geben. Das wäre ja so tragisch, dass man vor Kummer vergehen müsste. Es ist ja eine tragische Geschichte eigentlich. Wenn sich einer mit 60 Jahren an die Frau erinnert, die er vor 30 Jahren hätte heiraten sollen, und der er den Heiratsantrag jetzt, 30 Jahre zu spät, macht – das ist tragisch. Das kann man nicht so ernst nehmen. Haben wir auch nicht.

Seidel: Der Vergleich mit Paris, Texas von 1984 drängt sich förmlich auf. Da ist die Hauptfigur Travis nicht einmal tragikomisch wie jetzt Howard, sondern eine ganz und gar tragische. Seitdem haben Sie auch zum ersten Mal wieder mit Sam Shephard (Co-Autor und Hauptdarsteller) zusammengearbeitet.

Wenders: Na gut, er hat zwei Drehbücher geschrieben. Andere Leute drehen ihr ganzes Leben lang mit denselben Autoren, machen jeden Film mit denen. Fellini hat alle seine 20 Filme mit demselben Mann geschrieben.

Seidel: Es finden sich noch weitere Verbindungen: die Familiengeschichte, die vaterlosen Kinder, der Mann auf einer schier endlosen Suche nach Heimat und sich selbst, der amerikanische Westen… Zufall oder Absicht?

Wenders: Es ist auf keinen Fall Zufall, weil ich mir den Sam bewusst ausgesucht habe für diese Geschichte. Weil ich weiß, da gibt es keinen besseren Autoren auf dem ganzen Planeten für eine Vater-Sohn-Geschichte. Und die Landschaft habe ich auch ausgesucht. Da drehe ich lieber als irgendwo sonst. Und die passt auch zu dieser Geschichte am allerbesten. Weil aus dieser Landschaft des amerikanischen Westens das einzige Genre herkommt, das von nichts anderem handelt als immer wieder nur von diesen Menschen, von diesen Männern, die ihr Leben verpassen, weil sie in den Sonnenaufgang reiten und sich vor jeder Verantwortung letzten Endes drücken. Der Western ist das Genre schlechthin, was von den verpassten Leben handelt und von der Sehnsucht irgendwo hin zu gehören. Und da bin ich nun wieder hingegangen. Ich habe zu der Zeit noch in Amerika gelebt. Ich habe mir seit 25 Jahren gewünscht, endlich in Montana und vor allem in dieser kleinen Stadt zu drehen.

Seidel: Im Kontrast dazu bekommt man aber auch starke Frauen zu sehen.

Wenders: Wenn man mit so einer männlichen Hauptfigur arbeitet wie dem Howard, den man nach Strich und Faden auseinander nimmt, und von dem im Lauf der Geschichte ja nicht viel übrig bleibt, dann muss man ihn natürlich ein bisschen stützen und mit anderen Figuren umgeben, damit der Film nicht auseinander bricht. Auf jeden Fall hat man drei ganz tolle, starke Frauen im Sinn. Drei Generationen: Die Mutter, die ist 80; die Liebe seines Lebens, die ist inzwischen Mitte 50; und seine Tochter, die ist Mitte 20. Diese drei Frauen sind meine Heldinnen des Films. Auf die bin ich auch mächtig stolz. Die sind auch nicht so konfliktscheu wie unser Held. Und wir wissen auch wo sie hingehören. Und die sind auch alle drei nicht erpicht darauf, ihr Leben zu verpassen so wie eben unser Howard.

Seidel: Was hat Sie ganz persönlich zu dieser Geschichte inspiriert?

Wenders: Mein Leben ist ganz stark davon bestimmt gewesen, dass ich meinen Vater sehr bewundert habe. Dass wir später viel Zoff hatten und Krach und Konflikte und uns zum Schluss wieder wunderbar vertragen haben. Wenn ich mir ausrechne, dass mir mein Vater eben gefehlt hätte, wenn es den nicht gegeben hätte, weiß ich gar nicht, was noch groß aus mir hätte werden sollen. Das Lernen, das hat mich gemacht. Und die unzähligen Male, die ich in den letzten 20 Jahren diese Geschichte gehört habe von Leuten, die ihren Vater nicht kannten, oder die ihn erst kennen gelernt haben, als sie 40 oder 20 waren, oder die mit 30 zwar die Telefonnummer haben, aber sich nicht trauen anzurufen und so… Die Idee, diesen Vater nicht zu haben, die gab es in mir. Wenn er stirbt, ist es ja etwas anderes. Aber, wenn man ihn nicht hat, weil er sich verdrückt, das hat mich ziemlich interessiert. In beide Richtungen. Nämlich, wie ist das, wenn man 30 ist, und da kommt ein Typ auf Dich zu und sagt: „Ich bin Dein Vater“? Und wie ist das, wenn man 60 ist und trifft seine eigenen Kinder? Das fand ich eine ganz starke Geschichte, die mich wirklich bewegt hat. Und dann bin ich zu dem Mann gegangen, von dem ich wusste, dass er da richtig viel drüber weiß.

Seidel: Ihre Filme handeln häufig vom „amerikanischen Mythos“, was sie für uns Europäer manchmal auch schwer zugänglich macht. Was fesselt Sie so daran?

Wenders: Als ich von diesem Mythos, diesem Westen, zum ersten Mal erfahren habe, war ich ein kleiner Junge im kaputten, zerbombten Nachkriegsdeutschland, wo es überhaupt nichts gab. Da habe ich diese ersten Bilder gesehen von diesem mythischen Land, dem so genannten Wilden Westen, dann meine ersten Bücher gelesen. Ich konnte sehr früh lesen, ich konnte mit 7 selbst lesen und habe, als ich 10 war, alle Karl May-Romane schon dreimal gelesen gehabt. Und die waren alle so wie ich. Das war auch ein Deutscher, der sich den Westen vorgestellt hat. Und ich wollte, seitdem ich klein war, auch immer nur Richtung Westen los. Das Erste, was ich gemacht habe, eine erste Fahrradtour, ging einfach dem Kompass nach in Richtung Westen. Da kamen wir an die französische und an die holländische Grenze. Und ich hab immer gedacht, dieser Westen, diese weite Landschaft, dieses großzügige, große Land, was es da irgendwo gibt, das gehört mir. Das gehört nicht den Amerikanern. Das gehört allen, die das irgendwie entdeckt haben. Ich wusste genau, das waren keine Amerikaner, das waren Deutsche, das waren Franzosen, das waren Engländer, Schotten, Skandinavier, das waren Europäer, die dieses gewonnene Land irgendwie erforscht haben. Und so einer will ich noch einmal sein. Einer, der in was Unbekanntes aufbricht. Und das ging natürlich nicht in Deutschland 1945. Das geht auch in Deutschland 2005 nicht. Aber der Mythos ist trotzdem geblieben. Dass man sich etwas erobert und dass man sich in etwas hineinwagt, in dem man sich nicht auskennt.

Seidel: Sie sind in diesem Jahr 60 geworden. Gibt es tatsächlich diesen sagenumwobenen Punkt, an dem man merkt, dass man älter wird, und sich die eigenen Ansichten und Filme noch einmal erheblich ändern?

Wenders: Ich wollte immer älter sein, als ich jung war. Ich habe immer gedacht, wie schön muss das sein, irgendwie mal älter zu werden. Und irgendwann hat man Frieden mit seinem Alter. Und in der Phase bin ich jetzt. Vielleicht kommt auch noch mal eine Phase, wo ich gerne noch mal jünger wäre. Im Moment bin ich so richtig froh. Und das ist noch eine unglaublich aufregende Zeit, 2005 – auch im Kino! Man kann so altmodische Filme sehen, wie ich das mit Don’t Come Knocking gemacht habe. Man kann so ultramodern drehen, wie ich das mit „Land of Plenty“ gemacht habe. Es ist unheimlich viel möglich. Für junge Leute ist momentan die aufregendste Zeit im Kino überhaupt seitdem es erfunden worden ist.

Seidel: Durch die Digitalisierung?

Wenders: Ja, durch das digitale Kino. Und ich bin wirklich froh, dass ich da mitmachen kann. Im Moment bin ich mit meinem Alter sehr eins. Das kann sich auch wieder ändern.

Seidel: Welches Projekt darf man von Ihnen als nächstes erwarten?

Wenders: Das nächste kenne ich noch gar nicht. Ich weiß nicht viel mehr, als dass es irgendwo in Deutschland spielen wird. Aber wo, weiß ich noch nicht. Und solange ich noch nicht weiß wo, weiß ich auch noch gar nicht, was ich erzählen will. Mit den Geschichten ist das so eine Sache, davon gibt es viel zu viele, auch tolle. Für mich muss sich das an einem bestimmten Ort festmachen, den ich mag und den ich besser kennenlernen will und wo ich auch weiß, wie ich meine Kamera aufstelle, und der mich interessiert und bewegt. Bevor ich das nicht habe, kann ich auch die Geschichte nicht erzählen.

Seidel: Möglicherweise wieder in Berlin?

Wenders: Der Ort ist irgendwo in Deutschland. In Berlin hab ich schon so oft gedreht. Ich habe ja schon vier Filme in Berlin gemacht. Ich möchte jetzt mal drehen, wo ich noch nicht war.

Seidel: Velleicht ja in Leipzig?

Wenders: Leipzig ist durchaus möglich.

Don’t Come Knocking

D 2005, 122 min
Regie: Wim Wenders
Darsteller: Sam Shepard, Jessica Lange, Tim Roth, Gabriel Mann, Sarah Polley

Kinostart: 25. August 2005


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