Alles, nur kein „Clash of Civilizations“

Interview mit Pierre Hecker (Uni Leipzig) über die Metal-Szene in der Türkei und Fatih Akins „Crossing the Bridge”

Pierre Hecker studierte Kulturgeographie, Islamwissenschaften und internationale Politik an der Universität Erlangen. Sein Studienschwerpunkt lag auf der Region des Nahen Osten. Derzeit schreibt er in Leipzig an seiner Doktorarbeit über die Metalszene in der Türkei. In Anlehnung an den neuen Film von Fatih Akin, Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul, trafen wir uns in einem Cafe, um mehr über die Arbeit des jungen Doktoranden zu erfahren.



Wann kam Dir die Idee, eine Doktorarbeit über die Metalszene in der Türkei zu schreiben, und worauf liegt dabei genau Dein Schwerpunkt?

Vieles hängt direkt mit meiner persönlichen Geschichte zusammen. Ich habe viele Jahre selbst in einer Band gespielt und schon damals einige Kontakte zu Musikern im In- und Ausland gehabt. Teilweise versuchte ich, ausländische Bands hier in Deutschland zu promoten, habe Fans angeschrieben und Demotapes getauscht. Dabei fiel mir auf, dass sich die Fans auf der Musikebene verstehen, egal wie groß die politischen Unterschiede der jeweiligen Länder sind. Es spielt keine Rolle, ob Du Araber, Israeli oder Grieche bist; die Musikszene sprengt diese nationalen Grenzen und wirkt weit darüber hinaus. In Erlangen habe ich Kulturgeographie, Islamwissenschaften und internationale Politik studiert und wurde danach von Herrn Gertel (Inhaber des Lehrstuhls Sozialgeographie des Vorderen Orient an der Universität Leipzig, Anm. d. Red.) an die Universität Leipzig geholt, um hier meine Doktorarbeit zu schreiben. Anfangs war eigentlich eine Arbeit über ein geographisches Projekt im Jemen geplant, aber schon bald war klar, dass dort aufgrund der unsicheren politischen Lage und des bevorstehenden Irak-Krieges keine Feldforschung möglich sein würde. Als ich dann ein paar Tage in Istanbul verbrachte, war ich angetan von der dortigen Musikszene und der lebhaften Stadt an sich. Hier am Leipziger Institut für Arabistik sollte zu dieser Zeit ein Schwerpunkt zur „Jugend im Nahen Osten“ entstehen. Da bin ich nochmal auf Herrn Gertel zugegangen und schlug ihm eine Doktorarbeit über die türkische Metalszene vor.Was genau untersuchst Du in Deiner Arbeit?

Inhaltlich geht es um zwei Schwerpunkte. Zum einen möchte ich eine Gegenthese zur unsäglichen These Huntingtons finden, der einen „Clash of Civilizations“ beschrieben hat. Leider wird dieser Theorieansatz noch immer häufig in der Presse rezitiert. In meiner Arbeit geht es um die internationale Metalszene, in der auf einer transnationalen Ebene religiöse und nationale Identitäten keine Rolle mehr zu spielen scheinen. Es bildet sich also innerhalb dieser Szene eine Identität heraus, in der Menschen verschiedenster Nationalitäten durch gemeinsame Wertvorstellungen miteinander verbunden sind. Das untersuche ich anhand von ein paar Fallbeispielen, unter anderem einem Metalmagazin aus Izmir, „Headbangers“, das vor zwei Jahren ein Kooperationsprojekt mit Bands aus Griechenland gestartet hat und dazu ein Sonderheft veröffentlichte. Weitere Forschungsgegenstände waren auch Bands, deren Erfolge über eigene Landesgrenzen hinaus reichen. Eine der momentan bekanntesten Bands in der Türkei kommt zum Beispiel aus Israel und sie besitzt eine sehr große türkische Anhängerschaft. Diese Verbundenheit innerhalb dieser Szene über die Grenzen hinaus, die Herausbildung einer transnationalen Identität, das ist also der eine Teil meiner Arbeit. Der andere Teil betrifft dann konkret den stattfindenden Wertewandel innerhalb der türkischen Gesellschaft. Ich betrachte dabei die Metalszene als einen Indikator, an dem man den Wertewandel deutlich nachzeichnen kann. Viele Symboliken dieser Szene stehen im Kontrast zu den traditionellen, islamischen Werten. Beispielsweise sind lange Haare bei Männern nach wie vor verpönt. Man gilt als schwul, als Transvestit oder als Kommunist. Im Islam ist auch der Genuss von Alkohol verboten, was in der Metalszene aber natürlich irgendwie dazu gehört. Die Akzeptanz der Metalszene geht also mit einem Wandel der gesamten Gesellschaft einher. In den achtziger Jahren gab es noch sehr große Akzeptanzprobleme und die Metaller wurden häufig negativ mit ihrer Umwelt konfrontiert. Da kam es durchaus vor, dass junge Menschen aufgrund ihrer äußeren Erscheinung auf der Straße angefeindet oder sogar verprügelt wurden. Zumindest in den Städten ist in den letzten Jahren ein klarer Modernisierungsprozess zu erkennen, und immer mehr junge Türkinnen und Türken bekennen sich offen zu anderen Werten als denen eines traditionellen Islams. Die Metalszene ist ein Mikrokosmos, an dem ich diesen Wandel besonders gut erarbeiten und aufzeigen kann.

Hast Du Dich auch mit den ländlichen Gegenden der Türkei beschäftigt? Wie groß ist dort der Einfluss der Musik auf die jungen Menschen?

Zunächst einmal beschäftige ich mich in meiner Arbeit weitgehend nur mit den größeren Städten in der Türkei. Selbstverständlich habe ich aber auch Kontakt zu Leuten geknüpft, die aus ländlichen Gegenden der Türkei stammen und mir einen Eindruck geben konnten. In diesem multimedialen Zeitalter haben natürlich auch die meisten jungen Menschen dort Zugang zur Musik. Im Fernsehen, im Internet und in einigen Plattenläden können sie natürlich Metalmusik finden. Allerdings fehlt meist eine Szene, die auf eine lebendige Infrastruktur zurückgreifen kann. Es existieren dort eben nicht sehr viele Rockbars, wenig lokale Bands, keine Möglichkeiten aufzutreten und meist auch keine Musikmagazine. All diese Dinge beschränken sich auf die Großstädte. Um den Modernisierungsprozess auch in den ländlichen Gegenden voranzutreiben bedarf es mehr als der Musik. Bildung, Arbeitsmöglichkeiten und vor allem ein Wandel in den Köpfen müssen stattfinden, um etwas zu bewegen.

Gibt es auch einige Metalbands, die auf Türkisch singen oder Musikelemente der traditionellen türkischen Musik in ihre Musik aufnehmen?

Die meisten Bands singen auf Englisch, gerade auch um sich von der traditionellen türkischen Musik abzugrenzen. Viele Künstler sind gar nicht mehr mit traditioneller Musik aufgewachsen. Sie sind mit Rockmusik oder klassischer europäischer Musik groß geworden und haben überhaupt keinen Bezug zu älterer türkischer Musik. Aber natürlich gibt es auch Bands, die sich schon in ihrer Landessprache versucht haben. Zum Beispiel Pentagram, eine der bekanntesten türkischen Metalbands, hat vor 2 Jahren ein Album komplett auf türkisch auf den Markt gebracht und teilweise sogar alte, türkische Gedichte vertont.
Pentagram, sowie auch einige andere Bands, sind es auch, die hin und wieder instrumentale Einflüsse anderer türkischer Musik in ihre Musik aufnehmen. Im Großen und Ganzen unterscheidet sich die Metalmusik in der Türkei aber nicht wesentlich von der in Deutschland oder anderswo auf der Welt.

Wann begann sich in der Türkei eine Metal-Szene zu entwickeln?

Die erste Bewegung war wohl der Anadolu-Rock (?Anatolien-Rock‘), der sich so in den 70er Jahren entfaltete. Nach dem Militärputsch 1980 war zunächst einmal alles mehr oder weniger vorbei. Platten wurden zensiert, Konzerte verboten und so gab es fast in der gesamten Musikszene einen kurzen Moment des Stillstands. Dennoch konnten diese Verbote die türkische Bevölkerung nicht daran hindern, weiterhin Rockmusik zu hören. Viele türkische Migranten, die mittlerweile im Ausland lebten, schickten Platten an ihre Freunde und Familien in der Türkei und mit der Zeit wurde die Zensur der Musik für die Regierung nicht mehr tragbar.
Mit der Privatisierung der Massenmedien zu Beginn der 90er Jahre fing dann eine völlig neue Ära an. Man konnte wieder jegliche Musik hören und es gab sogar die ersten Auftritte ausländischer Rockbands. Dies alles gab der Weiterentwicklung natürlich einen großen Schub und ebnete der Rockmusik und damit auch der Metalszene den Weg dazu, gesellschaftliche Akzeptanz zu erlangen.
Wie werden nationalistische Konflikte, wie z.B. zwischen der Türkei und Griechenland, innerhalb der Metalszene gesehen und bewertet?

Man ist sich bewusst, dass diese Konflikte reine Konstrukte der Regierenden sind, um den Menschen Angst zu machen und sie auf dieser propagandistischen Ebene an sich zu binden. Wie die meisten Musikszenen ist auch die Metal-Szene teilweise global organisiert und man steht in ständigem Kontakt mit Musikern und Fans aller Herren Länder. Ein türkischer Freund von mir sagte einmal: „Weißt Du, in Griechenland wird das gleiche gegessen wie hier in der Türkei, sie hören die gleiche Musik wie wir hier in der Türkei, also wo ist das Problem?“ Genauso sehe ich das auch, ich fühle mich in jedem Metalschuppen der Welt mehr zu Hause als beispielsweise in konservativ-ländlichen Gegenden Deutschlands, da ich dort Gleichgesinnte treffe, die meine Wertvorstellungen mit mir teilen. Das ist völlig unabhängig vom physischen Raum und von nationalen Grenzen, im Zeitalter von multimedialen Errungenschaften wie dem Internet existieren diese räumlichen Abgrenzungen nicht mehr – eine der positiven Seiten der Globalisierung.

Um diese Entwicklung weiter voranzutreiben, muss aber in allen Gebieten ein Modernisierungsprozess einsetzen.

Das ist richtig. So ein Modernisierungsprozess benötigt eine Grundlage. Bildung, finanzielle Absicherung, gerade auch in ländlichen Gegenden, spielen dabei eine ganz wichtige Rolle und werden für die zukünftige Richtung der Türkei eine große Rolle spielen. Durch den Willen der Türkei, Mitglied der EU zu werden, wurde dieser Modernisierungsprozess vorangetrieben und ein Rechtsruck des türkischen Staatsapparates verhindert. Sollten die Verhandlungen zwischen der Türkei und der EU scheitern, oder gar überhaupt nicht zustande kommen, kann das schon bald wieder ganz anders aussehen.Kann eine Metalband in der Türkei von ihrer Musik leben?

Bis auf wenige Ausnahmen eigentlich nicht. Die meisten Künstler, die sich der Metalmusik verschrieben haben wissen das auch ganz genau. Sie sind sich dessen bewusst, dass sie wohl niemals von der Musik leben können. Viele der Bands, die ich kenne leben am Existenzminimum und stecken sehr viel eigens verdientes Geld in ihre Musik. Sie tun das aus Liebe zu ihrer Musik.

Wie hat Dir der neue Film Crossing The Bridge – The Sound Of Istanbul von Fatih Akin gefallen?

Der Film war ganz schön und hat auch einen Überblick über die Musikszene Istanbuls gegeben. Leider hat sich der Film aber sehr auf etablierte Größen der türkischen Musikszene beschränkt. Vielleicht hätte man mehr auf unbekannte Musik und deren Künstler eingehen sollen, aber das verkauft sich eben nicht so gut. Dennoch wird ein bestimmter Eindruck von Istanbul bei den Zuschauern hängen bleiben, der war zwar teilweise sehr oberflächlich ist, aber Lust auf diese einzigartige Stadt macht und vielleicht den ein oder anderen reizt, sich selbst in Istanbul zu vertiefen.

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.