Die MuKo eröffnet die Spielzeit mit Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor” (Ingo Rekatzky)

Otto Nicolai: Die Lustigen Weiber von Windsor
Musikalische Komödie Leipzig, Haus Dreilinden

Musikalische Leitung:Roland Seiffarth
Inszenierung:Matthias Oldag
Bühne:Thomas Gruber
Kostüme:Bettina Merz
Choreographie:Mirko Mahr
Choreinstudierung:Wolfgang Horn

Das merkwürdige Verhalten gelangweilter Hausfrauen im Reihenhaus – Otto Nicolais „Die Lustigen Weiber von Windsor“ als Saisonauftakt in der Musikalischen Komödie

Die häusliche Idylle könnte so perfekt sein: Das Eigenheim ist bezogen und nach dem neuesten Trend stilvoll eingerichtet, im samt Pool zehn Quadratmeter großen Vorgarten stehen die Blumen in Reih und Glied, ist kein Grashalm zu lang. Zwar verspricht die Beamtenlaufbahn des Gatten wenig Aufregung im Eheleben, aber immerhin eine gesicherte Existenz, die man der heranwachsenden Tochter durch geschickte Verheiratung ebenfalls zugestehen möchte. Und auch zu den Wand an Wand lebenden Nachbarn pflegt man über die akkurat geschnittene, immergrüne Buchsbaumhecke hinweg einen freundlich-distanzierten Kontakt. Das Leben im Reihenhaus verliefe in geordneten Bahnen, wenn nur nicht dieser fette, versoffene Ritter die Unverschämtheit besessen hätte, die Tugend der Damen Fluth und Reich durch zwei gleichlautende Liebesbriefe anzuzweifeln. Dass diese bodenlose Unverschämtheit bestraft gehört und sich der liebestolle Kavalier bei einem unfreiwilligen Bad in der Themse abkühlen muss, versteht sich von selbst.

Mit der Premiere von Otto Nicolais „Die Lustigen Weiber von Windsor“ hat nun im „Haus Dreilinden“ eine der populärsten Figuren der europäischen Theatergeschichte Einzug erhalten: Sir John Falstaff. Von der Beliebtheit des dicken, jeglichen fleischlichen Genüssen zugeneigten Ritters zeugen zahlreiche Bühnenwerke und sinfonische Kompositionen, die jedoch allesamt von Verdis genialem Alterswerk in den Schatten gestellt worden sind, Shakespeares Vorlage „The Merry Wives of Windsor“ inbegriffen. Dass Nicolais melodienreiche, seinerzeit sehr populäre „Komisch-phantastische Oper“ allerdings heute nicht mehr zum Stammrepertoire der großen Häuser gehört, ist vor allem dem Libretto Salomon Hermann Ritter von Mosenthals geschuldet: Statt der finalen Erkenntnis, dass eben alles Spaß auf Erden und jeder Mensch ein Narr sei, steht im Zentrum dieser Oper eine Aneinanderreihung der eher bodenständigen Schwänke, in denen die „Lustigen Weiber“ Fluth und Reich an Falstaffs Werben Rache nehmen und gleichzeitig ihre braven Männer ein wenig anführen.

Kein Zweifel, die recht einseitig gezeichneten Charaktere atmen allesamt die Luft des deutschen Biedermeiers, was sich Regisseur Matthias Oldag mithilfe einer behutsamen Modernisierung und Lokalisierung durchaus zu Nutze macht. Seine „Lustigen Weiber“ leben nicht im Elisabethanischen England, sondern – als Äquivalent zur eher restaurativen Mentalität des Biedermeiers – Wand an Wand in einer (west-)deutschen Reihenhaussiedlung der 50er Jahre, die aber auch noch heute leicht modifiziert an Weißer Elster oder Karl-Heine-Kanal gefunden werden könnte. Die von Thomas Gruber entworfenen Eigenheime der Familien Fluth und Reich bestechen in ihrer spießigen Geschmacklosigkeit bis ins Tapetenmuster durch spiegelbildliche Uniformität, die einzig über die jeweils dominierende Farbe – pink bei Fluths, orange bei Reichs – einen Hauch an Individualität erfährt. Kein Wunder also, dass sich in diesem geistigen Milieu selbst das „Wirtshaus zum Hosenband“, in dem der gesellschaftliche Outlaw Falstaff residiert, als eine Strand-Bar für all diejenigen präsentiert, denen ein Pauschalurlaub auf den Balearen zu aufregend ist, und es auch während des inszenierten Sommernachtstraumes, der im dritten Akt als Strafgericht über den Schwerenöter Falstaff hereinbricht, nur so von Verbotsschildern wimmelt.

Innerhalb dieser spießigen Welt lässt Oldag seiner detailfreudigen Inszenierung freien Lauf, sodass ihm vor allem im ersten Finale, als Falstaff von Frau Fluth zum vermeintlichen Schäferstündchen empfangen wird, ein aktionsreiches, herrlich-ironisches Tableau auf allen Ebenen des Bühnenraumes gelingt: Während Fluth per Brief auf einer Grillparty bei Reichs von dem Treffen informiert wird und zur Hausdurchsuchung stürzt, wird Falstaff von den Damen gerade noch rechtzeitig mit der Schmutzwäsche entsorgt. Unterdessen ist die Partygesellschaft nachgefolgt und ergötzt sich voyeuristisch an dem rasend eifersüchtigen Ehemann, um den schließlich kleinlauten Fluth in die Enge zu drängen und moralisch zu belehren.

Bei aller parodistischen Überhöhung ist allerdings eines zu beachten: Durch die dargestellten spießbürgerlich-stereotypen Verhaltensmuster hat die Inszenierung einen hohen Wiedererkennungswert, ist größtenteils komisch, bisweilen etwas frivol und – abgesehen von den modernisierten, jedoch zu langen Dialogen – weitestgehend kurzweilig, insgesamt aber auch ziemlich harmlos. So stimmig diese 50er-Jahre-Idylle im Bühnenbild Thomas Grubers und in den Kostümen Bettina Merz‘ karikiert wird, so witzig all die Wasserwellen und grobgemusterten Sommerkleider sind, so sehr ist in dieser Inszenierung durch ihre Ansiedlung in zeitlicher Ferne auch jegliches Konfliktpotential unterminiert. Steilvorlagen, wie beispielsweise die fußballschauenden Lok-Fans im zweiten Akt, lässt der Regisseur leider im szenischen Abseits verpuffen. Stattdessen setzt Matthias Oldag auf handwerklich solides, originelles Unterhaltungstheater, das durch ein nahezu perfektes Timing besticht und einem breiten Publikum gerecht wird.

Verwirklichen kann er diesen Anspruch vor allem durch sein ausnahmslos spielfreudiges und gesanglich überzeugendes Ensemble: Zwar hat es Judith Kuhn als Frau Fluth anfangs schwer, sich gegenüber dem Orchester durchzusetzen, aber bereits während ihrer Vorbereitung zu dem Rendezvous mit Falstaff gewinnt sie das Publikum mit ihren wunderschön ausgesungenen Koloraturen. Alexandra Kloose überzeugt vor allem in ihrer Arie vom „Jäger Herne“ mit angenehm-warmem, kräftigem Alt, ihre Textverständlichkeit leidet aber bisweilen etwas. Beider sehr körperliches Spiel zeigt jedoch eindeutig: Inmitten ihres festgefahrenen Ehealltags sind Falstaffs gleichlautende Liebesbriefe das Aufregendste, was den Nachbarinnen Fluth und Reich seit langem widerfahren ist. Folglich dürfen sie sich in Oldags Inszenierung – durchaus nicht ohne anzügliche Doppelbödigkeit – zu ihren Racheschwüre lasziv in den Gartenstühlen räkeln, wohingegen Frau Fluth vor dem Stelldichein mit Falstaff noch schnell einmal das passende Dessous probiert und zu ihren „Mein Ritter“-Schwüren ein Kissen liebkost, während ihr Gatte eine Etage tiefer unter der Zeitung eingeschlafen ist.

Obgleich er in dieser Oper nicht der Titelheld ist, lässt Roland Schubert keinen Zweifel daran, wer die eigentliche Hauptrolle der „Lustigen Weiber von Windsor“ zu spielen hat. Mit sonorem Bass und vollem Körpereinsatz gibt er den Falstaff so, als ob ihm die Partie auf den Leib geschrieben wäre. Wie er – stets von der eigenen Unwiderstehlichkeit überzeugt – zwischen Selbstüberschätzung, Opportunismus und Hasenfüßigkeit schwankt, gerät zu einer derb-komischen Augenweide. Ohne Frage hat dieser Kavalier mit Elvistolle, Götz-George-Brille und lila Rüschenhemd bessere Tage gesehen, ohne ihn aber wäre das Leben der „Lustigen Weiber“- der bunten Tapeten zum Trotz – ziemlich farblos.

Ein nahezu ebenbürtiger Komiker ist Milko Milev, der seinen eifersüchtigen Fluth als verkrampften Pantoffelhelden anlegt und mit markanter Stimme zu überzeugen weiß, bisweilen in den Dialogen die Schraube allerdings ein wenig überdreht. Hierneben fällt es dem stimmlich und spielerisch souveränen Bernd Gebhardt etwas schwer, in der Rolle des älteren, bürokratischen Reich an Profil zu gewinnen, zumal ihm die letztendlich erfolglosen Bewerber um die Hand seiner Tochter ständig die Schau zu stehlen drohen: Andreas Rainer gibt den Junker Spärlich als zu groß gewordenen, verklemmten Pennäler, wohingegen Alexander Voigt den eitlen Gockel Dr. Cajus beinahe als verkappten Mafiosi gestalten darf. Dass es für dieses Buffo-Paar dennoch ein – wenn auch von beiden nicht erwünschtes – Happy End gibt, sorgt für sichere Lacher im Publikum.

Bei aller komischen Aktion werden allerdings zwei Figuren, die Oldag von seiner parodistischen Überhöhung ausnimmt, beinahe an den Rand gerückt: Anna und Fenton. Das ist vor allem deshalb schade, da beide Partien formidabel besetzt sind. In der Partie der Anna setzt Eun Yee You mit ihrem jugendlichen Sopran deutliche Akzente und adelt durch zarte, wie selbstverständlich klingende Koloraturen und lyrisch-warmes Timbre die Feen-Arie vor der Geisternacht. Als Fenton hingegen sorgt Seung-Hyun Kim bereits im zweiten Akt für einen solistischen Höhepunkt: Nach etwas verwackeltem Auftakt überzeugt er in der äußerst anspruchsvollen Arie „Horch, die Lerche singt im Hain“ mit tenoralem Wohlklang und zarten, unprätentiösen Crescendi in den Höhen. Beider sich daran anschließendes, mit der schwelgerischen Solovioline wetteiferndes Duett wird zu einem Fest der jungen Stimmen, das sie zur Hochzeit während des „Sommernachtstraumes“ als Titania und Oberon noch einmal aufleben lassen.

Das musikalische Niveau der Solisten schlägt sich auch in den Leistungen der Ensembles nieder. Unter seinem Chefdirigenten Roland Seiffarth lässt das Orchester der „Musikalischen Komödie“ bereits während der Ouvertüre aufhorchen: Nach dem schwelgerischen, von warmem Streicherklang getragenen Mondmotiv überzeugt das Orchester mit präziser Tempo- und Dynamikabstufung im scherzoartigen Part, der zusammen mit Oldags szenischem Vorspiel auf die Ausgelassenheit der „Lustigen Weiber“ vorausdeutet. Und obwohl es im weiteren Verlauf gerade in den heiklen Ensembleszenen nicht immer gelingt, alle Fäden zusammenzuhalten, liefern Seiffarth und sein Orchester eine rundum gelungene Leistung, mit der sie sich für eine Bereicherung des MuKo-Repertoires um weitere Spielopern empfehlen.

Der von Wolfgang Horn präparierte Chor überzeugt bereits während des Trinkgelages im zweiten Akt durch stimmliche Homogenität sowie Spielfreude und trägt im „Sommernachtstraum“ mit Sorge dafür, dass der als Jäger Herne verkleidete Falstaff für sein dreistes Werben die verdiente Strafe erhält. Obwohl beim Mondchor nicht jeder Einsatz geglückt ist, bietet er doch einen stimmungsvollen Auftakt für die furiose Wilde Jagd aus kürbisköpfiger Geisterschar, schwebendem Elfentanz (in der wohl nicht ganz ernst gemeinten Choreographie Mirko Mahrs), Walkürenritt und Teufelsheer, deren Drangsalierungen Falstaff sich nun zwecks eigener Läuterung zu rhythmisch-schwungvoller Musik aussetzen muss.
Geläuterter Falstaff? Von wegen: Nach einem kurzen Moment der Reue erweist sich dieser wieder als ganz der Alte und lässt sich – noch während die „Lustigen Weiber“ ihm die Absolution erteilen – von den Walküren und ihren Speeren umgarnen.

Langer, freundlicher Applaus und Jubelrufe für einen gelungenen Abend, der zu weiteren Ausflügen der „Musikalischen Komödie“ in die Sphären der Spieloper auffordert.


(Ingo Rekatzky)

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