Der Blick hinaus geht direkt hinein

Deutscher Wettbewerb beim 48. Dokfestival Leipzig

Wie das Leipziger Dokumentarfilmfestival nun schon zum 48. Mal in 50 Jahren immer wieder ein Fenster zur Welt öffnen konnte und dem Besucher zeigte, wie sich das Leben in anderen Städten, fremden Ländern und auf entlegenen Kontinenten gestaltet, so sollte auch dieses Jahr zum zweiten Mal ein Blick aus der Perspektive deutscher Dokfilme auf geworfen werden – im Rahmen des Deutschen Wettbewerbs.

Zum zweiten Mal konnten in diesem Jahr Filme junger deutscher Regisseure zusammenkommen, zum zweiten Mal wurde ein Bild Deutschlands und der Welt gezeichnet, dass recht facettenreich gestaltet war, mit wahrhaft unterschiedlicher Thematik. Das Interesse schien nach außen gerichtet, nicht der Alltag, das Nebenan wurde vornehmlich gesucht, eher Zusammenhänge größerer Art, Lebenswege weit weg von zu Haus. Dies soll nicht als Kritik verstanden werden, im Gegenteil, vielmehr als Tendenz in eine andere Richtung im Vergleich zu den Filmen im letzten Jahr.

Der Blick auf die Welt wurde hier ganz offensiv betrieben. Filme wie „Frozen Angels“ (Frauke Sandig / Eric Black, 2005) oder „Lost Children“ (Ali Samadi Ahadi / Oliver Stoltz, 2005) gehen Inhalte an, die eine andere Seite der Welt aufzeigen, behutsam von Kindersoldaten in Uganda erzählen, die ausgestoßen, traumatisiert, an Seele und Körper versehrt ihre Geschichte mitteilen oder aber die Zukunft der Menschheit andenken und Diskussionsstoff liefern, indem erschreckende Vorstellungen von genetisch zusammengewünschten Kindern entstehen. Inhalte, die in ihrer Brisanz unbedingten Wert haben und differenziert Themen besprechen, die uns alle angehen. Dies gibt einen großen Rahmen, der sich auch international sehen lassen kann.

Wie sieht es aber nun aus mit den kleinen Dingen um uns herum, in unserer Nähe? Welche Zusammenhänge können hier aufgespürt werden? Was beschäftigt Deutschland? Kurz: Wie geht es zu in unserem Land? Auch dies war von Interesse und wurde mit drei Filmen exemplarisch thematisiert. So entwirft der Film „Dancing With Myself“ (2005) ein Bild der Einsamkeit, wie es schöner und schrecklicher nicht sein könnte. Drei Menschen lassen uns teilhaben an ihrem Leben, das so wenig funktionieren will und sich wo wenig anpassen kann. Im Tanzen wird man mit sich selbst einig, sehr intime Momente, die tief berühren. Der Film von Judith Keil und Antje Kruska konnte überzeugen – der mit 10.000 Euro dotierte Discovery Channel Filmpreis ging an ihn. Auch der Film „Zur falschen Zeit, am falschen Ort“ (2005) von Tamara Milosevic wurde von der Jury geehrt. Die starre Hierarchie eines kleinen Dorfes ist hier Thema, Strukturen, die – von Erwachsenen vorgelebt und an die Kinder weitergegeben – in ihrer Dynamik einen Mord nicht verwunderlich machen, ihn sogar implizieren. Das sich dann dort niemand über diesen entsetzt, wird immer erklärbarer und damit immer erschreckender. Eine ganz andere Richtung nimmt der Film von Sarah Moll ein, die mit der Kamera einen Abschiebeknast besucht und dabei „Die Unerwünschten“ (2005) findet – Menschen, die hier in Deutschland nicht willkommen sind. Was bleibt, ist die nicht neue, aber immer wieder erschütternde Erkenntnis, das Menschlichkeit und Bürokratie nicht zusammenkommen können.

So ist die Essenz dieses Wettbewerbs und seiner Filme auch wenig versöhnlich. Man bleibt, wenn man es denn jemals war, zwar nicht guter Dinge, doch dass es nicht genug Stoff zum Nachdenken gäbe, kann hier nun wirklich niemand behaupten. Ein Aufrütteln ging durch die diesjährige Woche des DOK Leipzig. Und das, so muss man zugeben, ist auch gut so.

48. Internationales Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm
3. bis 9. Oktober 2005www.dok-leipzig.de
Fotos: DOK Leipzig
1. Dancing With Myself
2. Zu Falschen Zeit?
3. Frozen Angels
4. Lost Children

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