„Old Firm“ und Clara-Park

Das Ausstellungsprojekt „wanderlust“ präsentiert Werke von Fotografiestudenten der HGB Leipzig und der Glasgow School of Art

Von solch wohltuenden Ausstellungen erfährt man immer viel zu spät. Rezensent liest am Dienstag in der Beilage eines überregional erscheinenden Magazins von einer Leipziger Ausstellung, die bereits am Samstag darauf die Tore schließen wird. Also hin und frisch ans Werk, immerhin bietet sich die Gelegenheit, trotz einiger Jahre Leben in Leipzig erstmals das Gelände der Alten Spinnerei in Augenschein zu nehmen, von wo aus die Leipziger Kunstlandschaft sich in alle Welt verbreitet.

In einem der alten Fabrikgebäude hat die HGB Leipzig ihr aktuelles Ausstellungsprojekt untergebracht. Fast etwas verschämt liegen die Räumlichkeiten im Untergeschoss der Tangofabrik, schummriges Licht begrüßt den Kunstinteressierten. Wer aber den Weg nach unten findet, stößt auf ein erfrischendes und wenn auch nicht innovatives, so doch handwerklich sehr gut gemachtes Ausstellungskonzept. In Kooperation zwischen der weltberühmten Glasgow School of Art und der eigentlich auch weltberühmten Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (kürzlich kehrte auch Neo Rauch als Malerei-Professor zurück!) haben jeweils neun Fotografiestudenten der beiden Hochschulen ihren Studien- und Arbeitsort für jeweils vier Wochen in die Stadt der anderen Institution verlegt und ihre Eindrücke und Stimmungen vor Ort im Bild festgehalten: als Foto, in Form von Dia- und Videoinstallationen. „Der individuelle Blick auf gesellschaftliche und urbane Zusammenhänge am anderen Ort“ heißt das etwas hochtrabend in der Selbstbeschreibung, doch zumindest die individuell sehr vielfältigen Herangehensweisen an das fremde Terrrain sind gut nachvollziehbar. Jeder kennt zumindest das Gefühl, sich an einem fremden Ort zu befinden und diesen im Bild – zumeist als Tourist – erfassen zu wollen. Was das Urlaubsfoto vom Kunstwerk unterscheidet, soll hier auch gezeigt werden.

Den Besucher begrüßt eine Reihe von großformatigen Porträtfotos an zwei schräg gegenüber platzierten Wänden. Jeweils fünfzehn Glaswegians sind dort zu sehen, auf der einen Seite solche, die die Farbe grün tragen, gleich ob Arbeitskleidung oder Freizeitlook. Auf der anderen fünfzehn Bewohner der Stadt in Oberbekleidung, die von der Farbe Blau dominiert wird. Der farbliche Kontrast dominiert und fällt unmittelbar auf, ohne schon tiefere Deutungsmuster zu offenbaren. Die von Daniela Friebel (HGB) Porträtierten sind unterschiedlichen Alters, Hautfarbe, Berufs. Ob sie Fußballfans sind, wird nicht preisgegeben, doch ist das Tragen der Farben Grün(-Weiß) und Blau in gewissen Vierteln Glasgows in der Vergangenheit nicht selten ein Grund gewesen, Menschen anzupöbeln, zu misshandeln und in Einzelfällen sogar zu töten. Friebels Fotografien spielen auf die „Old Firm“ an, die beiden großen Glasgower Fußballvereine Rangers und Celtic. Die Rangers tragen traditionell die Farbe Blau und sind der Verein der Protestanten, Celtic Glasgow in ihren grün-weißen Jerseys symbolisieren schon durch die Farbgebung ihren irisch-katholischen Ursprung. Die Feindschaft der beiden Vereine geht weit über das hinaus, was sich z.B. in Leipzig zwischen Sachsen und Lok Leipzig abspielt. In Glasgow gibt es regelmäßig Tote, weil hier Fußball und religiöser Irrsinn eine gefährliche Mischung eingehen. Friebels Gestalten sind also hinter der Fassade unbewusst Repräsentanten eines massiven gesellschaftspolitischen Konflikts, der die Stadt Glasgow seit langem beherrscht. Ihr Blick auf die fremde Stadt trennt somit geschickt zwischen oberflächlicher Ansicht und dem, was sich hinter Gesichtern, hinter dem Tragen einer Farbe, abspielen kann oder könnte.

Allerdings muss man sich fragen, warum Friebels originelles Werk direkt am Beginn der Ausstellung steht, denn damit hat die von Tina Bara (HGB), Karin Geiger (HGB) und Jake McKinney kuratierte Werkschau ihr Potenzial leider ziemlich schnell verpulvert. Was nämlich folgt, sind fotografische Arbeiten ganz unterschiedlicher Qualität und Intensität, die alle auf ihre Art Zeugnis vom Leben in der jeweils fremden Stadt geben, dabei jedoch niemals die handwerkliche Reife und gleichzeitig künstlerische Doppelbödigkeit der Porträts von Daniela Friebel erreichen. Dabei laden die weiten Kellergemäuer des Spinnerei-Baus dazu ein, in gehörigem räumlichen Abstand jeden einzelnen der jungen Fotografen mit seinen Werken zur Geltung kommen zu lassen. Gut gelingt dies Eric Strehlow (HGB) mit seinem Zyklus „Wait“ in schwarz-weiß. Bilder aus dem geschäftigen Alltag Glasgows mit einem Blick für kleine Abnormalitäten, so einem Bahnreisenden mit Star-Wars-Maske. Unter den zahlreichen Dia-Installationen sticht besonders positiv Nadja Bournonville (GSA) heraus, die sehr persönliche Impressionen ihrer Leipziger Zeit mit einer deutschen Stimme als Loop hinterlegt hat. Penelope Müllers Installation aus plakativen Botschaften, Bierflaschen und anderem Alltagstand aus Glasgow wirkt schon etwas bemüht, Sylvia Doebelts „Fences I + II“ zeigt nüchtern, aber ausdrucksstark Grenzen des Eigenen auf, Patricia Gibsons Fotografien des Clara-Zetkin-Parks sind nett anzusehen, als Motiv insgesamt aber banal.

Bedenkt man insgesamt, dass dieses Projekt von Studenten entworfen und realisiert wurde, überwiegt letztlich der positive Eindruck, hier Fotografen der nächsten Generation am Werk gesehen zu haben, ihren Blick auf Leipzig bzw. Glasgow und ihre Fähigkeit zum interkulturellen Austausch. Viel zu selten passiert das insgesamt, und dann erfährt man auch noch zu spät davon. Wen es also interessiert, der kann sich die Ausstellung im November noch einmal in Glasgow ansehen. Und diese Stadt kennenlernen, denn von Leipzig haben wir uns wohl alle unser Bild gemacht.

wanderlust
Ein Ausstellungsprojekt mit Werken von Fotografiestudenten der HGB Leipzig und der Glasgow School of Art
www.hgb-leipzig.de
Ausstellung Leipzig:
Spinnerei / Werkschau Halle 9
18.-29. Oktober 2005
Ausstellung Glasgow:
Newbery Gallery +The Assembly Galleries,
The Glasgow School of Art
10.-25. November 2005
Zur Ausstellung ist ein Magazin erschienen, das an der Hochschule für Grafik und Buchkunst erhältlich ist

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