Comeback nach 35 Jahren

Die englische Folk-Sängerin Vashti Bunyans veröffentlicht ihr zweites Album „The Lookaftering”

Zu den Umständen, denen man sich auch in Zeiten von Unsicherheit und Inflation sicher sein kann, gehört es, dass gestern gestern und morgen morgen ist und sich dazwischen ein winzig kleiner Spalt befindet, in dem man es sich wenn irgend möglich bequem machen muss. Warum die Dinge nun einmal nacheinander geschehen und zumeist von einer schaudererregenden Endgültigkeit sind, das zwar bisher noch niemand herausgefunden, wer das nicht akzeptiert, läuft Gefahr, sich böse zu verrennen. Tote kommen nicht wieder und mit jeder verstrichenen Sekunde nähern wir uns selbst dem Sensemann.

Manchmal, ganz ganz selten, scheinen die Planeten oder was auch immer so zu stehen, dass sich irgendwo ein Fensterchen öffnet, ein paar Regentröpfchen und Sonnenstrahlen aus einer vergangenen Zeit hereinblitzen und dann ist der Moment auch schon wieder vorbei.

Vashti Bunyan, irgendwann in den 1940er Jahren geboren, war ein junges, versponnenes Mädchen, das, weiß der Himmel warum, in die Fänge des Stones-Produzenten Andrew Loog Oldham geraten war, der sie – weiß der Teufel warum – zur neuen Marianne Faithfull aufzubauen plante. Vashti, das fragile Mädchen mit der Gitarre und dem indischen Vornamen, fand sich in der Arena des Rock ’n Roll-Zirkus der Sixties wieder, zwischen bunten Hemden, viel Geld und jeder Menge Drogen. Da nahm sie zwei, drei obskure Singles auf, sang von rosa Zuckerelefanten, die nicht mit ihr sprechen wollten, von Einsamkeit und besseren Zeiten und stieß damit auf bleiernes Desinteresse, ohne den Glauben zu verlieren, eine andere Welt sei möglich.

Das dachte sich auch ein gewisser Donovan, die englische Räucherstäbchen-Version von Bob Dylan, besorgte sich eine Insel in der Nähe der äußeren Hebriden, und gedachte, eine Kolonie zu gründen, aus Frieden, Liebe, ehrlicher, einfacher Arbeit und was dergleichen mehr ist. Alle sollten sie da sein, und ihre friedliche Botschaft in eine Welt tragen, die sich, außer in der Vorstellung einiger Idealisten, einen Dreck darum scherte. Zu Zeiten also, als man noch ehrlich glauben konnte, Popmusik könne die Welt verändern, machte sich auch Vashti auf, stilecht mit Pferdekarren, Messinggeschirr und Gitarre, dafür ohne Geld. Zwei Jahre sollte die Reise durch Albion dauern und als sie ankam, waren Donovan und Konsorten freilich längst wieder abgezogen, denn die Zeiten von Wilhelm dem Eroberer waren auch in Schottland vorbei. Vashti, Mann und Kind hielten es einige Monate auf dem verregneten Schlammloch der Isle Of Harris aus, bis sie, von gar unfriedlichen Ureinwohnern und Freund Hausschwamm gepiesackt, das Weite suchen. Wenn auch Weltfrieden und Lebenstraum offenbar doch an anderer Stelle zu suchen gewesen wären, blieben von Vashtis großer Fahrt eine Handvoll Songs übrig. Unter der behutsam ordnenden Hand von Joe Boyd, der ihr die Musiker der Incredible String Band zur Seite stellte, wurden sie 1970 aufgenommen und es ist anzumerken, dass dergleichen bisher unerhört war. Zu einer Zeit, als Led Zeppelin die Verstärker auf 11 drehten, Ozzy Osbourne Geschmack an toten Fledermäusen fand und Elvis‘ Schmerbauch sich bedrohlich über der Hüfte wölbte, nahm Vashti Bunyan eine Platte auf, die so zerbrechlich klang, dass Joni Mitchell im Vergleich wie purer Death Metal erschien. „Just Another Diamond Day“ war die Essenz von Naivität, ein seltsam weltfremdes Bekenntnis zu Natur, Liebe und Glück, das mit Ostermärschen, Flokatis und Hippies nicht, aber auch gar nichts zu tun hatte. Lieder am Rande des Verstummens, als würden Gitarre, Harfe und Geige von den Beinen einer Grille gezupft. Dazu sang Vashti Melodien, die zehn oder auch achthundert Jahre alt hätten sein können, und das so vorsichtig, als ginge ihre glockenhelle Stimme auf Zehenspitzen. Sang von Grashalmen, Raupen, Pferden und dem gewaltigen Sternenhimmel. Dieses kleine Wunder, dessen märchenhafte Blauäugigkeit zu den wundersamsten musikalischen Äußerungen des englischen Folk gehören mag, verkaufte sich selbstverständlich ein paar Dutzend mal. Das war der bauernhofgestählten Frau Bunyan herzlich egal, es hat nicht sollen sein. Die Gitarre wurde an den sprichwörtlichen Nagel gehängt und Vashti, Mann, Kind und Pferd setzten sich nach Irland ab, wo es zwar auch schlammig und nass war, dafür lebt dort nun einmal ein recht freundliches Völkchen.

Und sie ward nicht mehr gesehen.

Obskure Songwriter-Legenden, talentiert und bildhübsch, ohne einen Hauch von Erfolg – normalerweise kommt jetzt der Abschnitt mit der unglücklichen Fügung und der Überdosis Antidepressiva, worauf ein paar Jahre später Wiederentdeckung und Kanonisierung anstehen.

Nichts dergleichen. Es kamen und gingen

die Siebziger
die Achtziger und
die Neunziger.

Wer ist Vashti Bunyan? Eine Märchengestalt, die niemand mehr kennt und niemand mehr sucht. Klingt nach Kultobjekt für Obskuranten. Bis Vashti 2002 zum Spaß einmal ihren Namen googlete und sah, dass ihre Platte rund 500 Euro wert war? Masterbänder gesucht, Aufnahme poliert und der längst verwehte Traum vom Diamond Day zwischen Weizensack, Pferdeapfel und Atlantik konnte nach über dreißig Jahren erneut bestaunt werden, noch befremdlicher in seiner jenseitigen Glückseligkeit, der stets etwas unheimliches anhaftete.

Kurz darauf wurde das New Weird America ausgerufen, Künstler wie Devendra Banhart und CocoRosie machten Infantilität und Abseitigkeit zum Konzept und immer öfter fiel, wie in einem Märchen aus uralten Zeiten, der Name Vashti Bunyan. Sie kam heraus, blinzelte einmal kurz und saß plötzlich mit der Creme des Psych Folk im Studio, mit Piano Magic, Animal Collective und Waldseppel Banhart selbst. Und nun, nach 35 Jahren, eine zweite Platte. Kiesinger, Vietnam, und die Beatles waren noch aktiv. Und da öffnet es sich, das kleine Fensterchen, die Zauberfee schaut herein und die Welt hat sich ein wenig in ihre Richtung gedreht.

„Lookaftering“ – Die gleiche, zerbrechliche, schüchterne Stimme, die unsagbar intime Atmosphäre, die einen zum akustischen Voyeur zu machen droht, das durchgehende pianissimo, das Netz von filigran arrangierten Saiten und Glöckchen? Ein paar Streichertupfer und Harfen setzen Glanzlichter auf die zarten Grüntöne, als hätte man den Soundtrack eines schönen Traums vom einfachen Glück aufgenommen. Wispernde Stimmen schauen aus dem Mix hervor. Je öfter man sich in die Gefilde von „Lookaftering“ begibt, desto stärker treten die Geistesverwandten hervor – Mark Hollis, Ralph Vaughan Williams, Nick Drake. Hinter der Sensation, der Rarität klingt ein merkwürdig zeitentrücktes, psychedelisches Folkalbum, das jeder Pose, jeder auf der Zunge getragenen Esoterik ausweicht und auch nichts mit der zuckergusshaft erstarrten, schalen Leere einer Enya zu tun hat. „Lookaftering“. Moos, Mauern, Himmel und Flechten sind echt und mit den Fingern greifbar. Nicht mehr ein enttäuschter Traum wird besungen, sondern mit der gleichen stoischen Einfachheit ein Fazit eines glücklichen Lebens gezogen. Nein, Vashti Bunyan ist keine Kuriosität, kein lebendes Fossil, resp. musikalischer Quastenflosser, sondern eine feinsinnige Songwriterin, die einfach fünfunddreißig Jahre Pause gemacht hatte. Die Zeit läuft ein kleines bisschen rückwärts und hält kurz inne. Der Sensemann legt sein Werkzeug weg, Fuchs und Hase hören vor dem Gutenachtkuss noch einmal „Wayward Hum“. Niemand hat gewartet, aber es hat sich gelohnt.

Vashti Bunyan: Lookaftering (FatCat)




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