„Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins” – Wiederentdeckung eines Filmklassikers (Nadja Feulner)

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
USA 1987, 171 min
Regie: Philip Kaufman
Buch: Jean-Claude Carri?re, Philip Kaufman nach dem gleichnamigen Roman von Milan Kundera
Kamera: Sven Nykvist
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Juliette Binoche, Lena Olin
Kinobar Prager Frühling,

Foto: TobisWofür lohnt es sich denn noch zu leben,
wenn nicht für die Liebe …?

Prag zum Ende der 60er Jahre: Der erfolgreiche Chirurg Thomas hat eine Affäre mit der eigenwilligen Künstlerin Sabina, als er das Provinzmädchen Theresa kennen lernt. Aus einem kurzen Besuch wird ein ganzes gemeinsames Leben. Doch sie haben unterschiedliche Auffassungen von Liebe und Sexualität, und Theresa droht an Thomas‘ ständigen Affären zu zerbrechen. Aufgrund des Prager Frühlings flüchten sie schließlich in die Schweiz, wo Thomas seine Affäre mit Sabina wieder aufnehmen kann. Aus Verzweiflung verlässt Theresa ihren Mann und geht zurück nach Prag, aus Liebe folgt er ihr. Doch nichts ist mehr wie es einmal war.

Intrigen und Korruption bestimmen das politische und alltägliche Leben, Thomas muss als Fensterputzer arbeiten, weil er nicht parteikonform ist. Auf Theresas Wunsch fliehen sie schließlich in ein kleines Dorf, wo Thomas zwar an der Weiterführung seiner Affären gehindert wird, ihm aber sogar der dramatische Ausgang egal zu sein scheint.

Der Film lebt von der Leidenschaft und dem Lebenshunger der Figuren sowie den schönen Bildern und Kameraführungen. Dem Regisseur Philip Kaufman ist es gelungen, die Poesie der Romanvorlage von Milan Kundera sehr einfühlsam und sensibel umzusetzen. Leider hat er es verpasst, die vielen philosophischen Gedanken, die Kundera in seinen Roman einfließen ließ und ihn entscheidend prägten, in seiner filmischen Interpretation wiederzugeben.

Kaufman zeigt seine Figuren sehr liebevoll und charismatisch: Sabina, die lebenshungrige, starke Frau, die zwar scheinbar nie allein sein möchte und sich darum immer mit Männern umgibt und sich ihrer starken Wirkung auf diese durchaus bewusst ist, jedoch flüchtet, wenn jemand fest mit ihr zusammen sein möchte. Ihre Freiheit und Selbstbestimmung stehen an erster Stelle, sie hat Angst vor Alltag und Fremdbestimmung. Sie flüchtet vor dem Geliebten, vor einem geregelten Leben und vor allem vor sich selbst.

Theresa dagegen ist ein ganz anderer Typ von Frau: Sie hat ein weniger selbstverständliches und freies Verhältnis zu ihrem Körper, zu Männern, zu Sex. Ihre Vorstellungen davon sind zu Zeiten der sexuellen Revolution obsolet und sie kommt mit dem Verhalten ihres Ehemannes nicht zurecht. Sie ist sehr emotional und trägt das Leben wie eine schwere Last, nicht wie die anderen, die wie die Schmetterlinge durchs Leben flattern, sich mal hier und mal dort niederlassen, aber nie, um lange zu verweilen, sondern ständig bereit, wieder loszufliegen zu einer anderen Wiese. Ihre Schwachheit ist nicht kompatibel mit der Stärke und Leichtigkeit von Thomas‘ Art zu Leben.

Dieser sieht in jeder Frau eine neue Welt, die er entdecken möchte. Es ist ihm ein Abenteuer und Unterhaltung, sich von ihnen verführen zu lassen, sie zu entdecken, sie zu erobern. Doch sobald seine Frau mit einem anderen Mann auch nur tanzt, ist er schon eifersüchtig, das kann sein Ego nicht ertragen. Er unterscheidet ganz klar zwischen Liebe und Sex und bleibt vor allem sich selber treu.

Doch mit dem Prager Frühling ändert sich vieles, nichts ist mehr so, wie es einmal war. Als die schweren Panzer durch die Straßen von Prag rollten, begruben sie unter sich die Leidenschaft, Lebensfreude und Leichtigkeit. Wie eine fette Tarantel hat sich die Schwere auf das Leben gelegt, wurde die ganze Schönheit zunichte gemacht. Wenn noch etwas von der Schönheit übrig ist, dann nur, weil es von ihren Verfolgern übersehen wurde. Es scheint, als ob das Leben von nun an kein schönes Spiel mehr ist, sondern nur noch harter Kampf um das tägliche Überleben. Erst als sie Prag wieder verlassen, können sie noch einmal für kurze Zeit glücklich sein.

Der Film ist eine sehr gefühlvolle Interpretation der Verschmelzung von politischer Geschichte und Gesellschaftskritik sowie dem darin involvierten persönlichem Schicksal von Menschen, die leben, lieben und frei sein wollen und doch nur Gefangene sind – Gefangene des Systems und Gefangene des eigenen Selbst.(Nadja Feulner)

„Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ wird in regelmäßigen Abständen in der Kinobar Prager Frühling gezeigt. www.kinobar-leipzig.de

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