Franz Lehár: „Der Graf von Luxemburg“
Musikalische Komödie Leipzig
Premiere am 19.11.2005
Musikalische Leitung:Roland Seiffarth
Inszenierung:Jürgen Weber
Bühne:Thomas Gabriel
Kostüme:Sven Bindseil
Choreographie:Mirko Mahr
Choreinstudierung:Wolfgang Horn
Operettenselig ins „Lachende Glück“ – Franz Lehárs „Der Graf von Luxemburg“ feiert in der MuKo seine erfolgreiche Premiere
Zugegeben, die Geschichte ist ziemlich hanebüchen: René Graf von Luxemburg, von hohem Adel, aber aufgrund seines unsoliden Lebenswandels ständig vom Bankrott bedroht, und die umjubelte Opernsängerin Ang?le Didier gehen, ohne sich je zuvor gesehen zu haben, eine auf drei Monate befristete Scheinehe ein. Zweck des Ganzen? René erhält einen Scheck über 500.000 Franc, Ang?le hingegen einen Adelstitel und wird somit vom Makel des Bürgerlichen befreit, der einer Heirat mit ihrem reichen, aber ältlichen Gönner Fürst Basil Basilowitsch im Wege steht. Auch wenn die Operndiva und der Lebemann nicht an die große Liebe glauben, können beide eine gegenseitige Anziehung nicht verleugnen, als sie sich – getrennt durch eine Leinwand – die Ringe anstecken. Kein Wunder also, dass diese magisch-knisternde Stimmung, an die René durch Ang?les liebliche Hand und den Duft ihres Parfums erinnert wird, während einer zufälligen Begegnung wieder auflebt und sich diejenigen verlieben, die längst miteinander verheiratet sind, vorerst aber durch die gesellschaftlichen Konventionen und den eigenen Stolz getrennt bleiben.
Ohne Zweifel, man befindet sich in der Welt der Operette, genauer in Franz Lehárs 1909 uraufgeführtem Werk „Der Graf von Luxemburg“. Und obwohl die Handlung eher abstrus anmutet, so findet dieses Stück doch immer wieder seinen Weg auf die Bühne, da Lehárs Musik nach wie vor zündet und das auf dem ersten Blick schwache Libretto ein unterhaltsamer Theaterstoff sein kann, was die jüngste Premiere an der Musikalischen Komödie beweist: Regisseur Jürgen Weber hat hierfür nicht nur die Dialoge neu geschrieben und mit intelligent-witzigen, zum Teil lokalen Anspielungen aufgepeppt, sondern auch sonst kräftig in die Handlungsstruktur eingegriffen, sodass die ursprünglichen drei Akte zu zweien komprimiert worden und einige Nebenrollen ganz dem Rotstift anheim gefallen sind. Durch diesen Kunstgriff gelingt es allerdings, den verbleibenden Figuren mehr Kontur zu verleihen, was sich nicht zuletzt in einigen häufig wiederkehrenden Motiven der Inszenierung und Ausstattung äußert: Nicht nur René fühlt sich zu Ang?les Hand hingezogen, auch sein Freund, der Maler Armand Brissard, bevorzugt als Motiv seiner Bilder entblößte weibliche Rücken und Fürst Basil Basilowitsch hegt eine körperliche Vorliebe der ganz besonderen Art, die ihn trotz seines hohen Alters nach wie vor in leidenschaftliche Ekstase versetzt, nämlich Füße.
Dieser Entstaubung zum Trotz kann Webers Fassung über eine Tatsache jedoch nicht hinwegtäuschen: Auch wenn der charmant-verlotterte Operettengraf unter den lebenden Vertretern des deutschen Hochadels Verwandte findet, die ihn im rüpelhaften Betragen entschieden übertrumpfen, so taugt Lehárs Operette doch nicht zu einem Verlachen der Gesellschaft, wie es in den Offenbachischen Ursprüngen dieses Genres gang und gäbe war. Zwar bekommt das Publikum hie und da den Zerrspiegel vorgehalten, indem allzu bekannte Verhaltensmuster der Figuren freigelegt werden oder die Dialoge direkt auf die Tagesaktualität verweisen. Allerdings wird allein durch die stimmungsvolle, das Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts zitierende Ausstattung, in der Tricolore-Motive dominieren und für manche Überraschung sorgen, deutlich, dass – selbst wenn sich das „Café Momus“ seit Puccinis „La Boh?me“ eher dem halbseidenen Klientel geöffnet hat – eine allzu abrupte Konfrontation des „Grafen von Luxemburg“ mit der Gegenwart vermieden werden sollte. Stattdessen setzt Weber auf äußerst kurzweilige, häufig doppelbödige und trotz einiger Grandwanderungen nie ins Banale abrutschende Unterhaltung, die vor allem durch ein im heutigen Musiktheater rares Qualitätsmerkmal ein beachtlich hohes Niveau erreicht: Die Einheit von Musik und Spiel. Nicht nur, dass der Regisseur in seiner konsequenten, aktionsreichen Personenregie den Protagonisten selbst in körperlichen Extremsituationen gesangliche Hochleistungen abverlangt und – wenn es der musikalische Duktus wie beispielsweise in der augenzwinkernd-schwelgerischen, dabei doch surrealen Handschuhszene fordert – überzeugende Bilder für ein momentanes Heraustreten aus der Handlung findet, so stellt er vor allem mithilfe des äußerst präsenten Chores den Beweis auf, dass Tableaus keinesfalls starr sein müssen, sondern durchaus vor Esprit sprühen und der Komposition auch szenisch gerecht werden dürfen. So gelingt es ihm, trotz des vermeintlich respektlosen Umgangs mit Léhars „Grafen von Luxemburg“ dem Genre Operette die Referenz zu erweisen, wobei er durch die originellen Choreographien Mirko Mahrs, in denen das Ballett der Musikalischen Komödie die favorisierten Körperteile des Abends ironisch betonen darf und längst nicht nur auf die Standards beschränkt bleibt, nach Kräften unterstützt wird.
Dass Musik und Inszenierung hier eine fruchtbare Symbiose eingehen, ist aber nicht zuletzt ein Verdienst des Orchesters, das unter der Leitung von Roland Seiffarth Lehárs facettenreiche Kompositionen, die zwischen aller Walzerseligkeit eine deutliche Affinität zu Puccini aufweisen, zu voller Geltung kommen lässt. Abgesehen von wenigen, wohl premierenbedingten Wacklern, verhilft das präzise Orchester den temperamentvoll-fulminanten Ensembleszenen zu tänzerischem Schwung und lässt gerade in der schwelgerischen Wiederaufnahme von „Bist du’s, lachendes Glück“ den Operettenhimmel förmlich voller Geigen hängen, aber auch durch die gut disponierten Celli eine nahezu knisternde Stimmung entstehen.
Grundvoraussetzung für das Funktionieren von Operette ist freilich ein engagiertes, spielfreudiges Sängerensemble. Dass die MuKo als eines der letzten auf die „leichte Muse“ spezialisierten Häuser hier kaum Wünsche offen lässt, versteht sich eigentlich von selbst. Einzig Johannes Kalpers hinterlässt in der Titelrolle einen zwiespältigen Eindruck: Zwar weiß er als verlotterter, goldene Löffel klauender Bohemien szenisch durchaus zu überzeugen und erreicht auch beeindruckende musikalische Momente, in denen er ein voluminöses Timbre entfalten kann. Allerdings entsteht allzu oft der Eindruck, er wolle seine Stimme für diese vergänglichen Augenblicke schonen, sodass sein Tenor meist farblos klingt und häufig vom Orchester, in Ensembles aber auch von den anderen Solisten übertönt wird.
Wie hingegen Ang?le Didier in einer Melange aus divenhafter Arroganz, exzentrischer Leichtlebigkeit und gewitzter Herzlichkeit zwecks Trauung Armands Atelier betritt, lässt keinen Zweifel offen, dass ganz Paris nur von „La Didier“ spricht. Jana Hruby gibt aber nicht nur ein überzeugendes Rollenporträt der Operndiva, sondern wird diesem durch eine schwelgerische Mittellage, extravagante Koloraturen, feine Crescendi und stets wohlproportionierter Dynamik auch musikalisch in jeder Hinsicht gerecht, weshalb sie in den Duetten des lyrischen Paares dafür entschädigt, was Kalpers seiner Partie schuldig bleibt.
Daneben verlangt die Operette natürlich auch ein Buffo-Paar, dem statt gesellschaftlicher Konventionen meist hausgemachte Missverständnisse und Eifersüchteleien zum finalen Glück im Wege stehen. Andreas Rainer als Maler Armand Brissard und Beate Gabriel als dessen Geliebte Juliette Vermont erweisen sich hierbei als stimmlich präsente und äußerst körperbetont spielende Idealbesetzung. Somit gerät nach allerlei Verwirrung beider Versöhnung zum Walzer „Mädel klein, Mädel fein“ zu einem musikalischen wie komödiantischen Höhepunkt des Abends: Um auch ja alle Zweifel an einer gemeinsamen Zukunft aus dem Weg zu räumen, probieren sie mit einem anderen Ballpaar in einer herrlich ironischen, präzise getanzten Choreographie alle Konstellationen des Partnertausches samt Führungsstreitigkeiten aus, um sich letztendlich doch wieder in den Armen zu liegen.
Den Fürsten Basil Basilowitsch, der sich – ein oder zwei Revolutionen zum Trotz – als Nr. 17 der russischen Thronfolge bereits an der Spitze des Zarenhauses sieht und mit seinen Heiratsbestrebungen alle Verwirrungen erst auslöst, legt Karl Zugowski textverständlich souverän und spielerisch unübertroffen an: Wie er von der Liebe bestürmt jünglingshaft eine leidenschaftliche Polka aufs Parkett legt, aber dennoch die körperlichen Gebrechen eines Greises nicht verleugnen kann, ist eine wahre Augenweide. Als dessen völlig humorlose Leibwächter und ständige Schatten haben Roland Otto und Alexander Voigt die Lacher ebenfalls auf ihrer Seite. Wenn sich in ihrem bierernst vorgetragenen Falter-Tanz selbst für diese beiden Mafiosi, die sonst vor keiner Gewalttat zurückschrecken, ein zartes Glück andeutet, bleibt kein Auge trocken.
Dass es in diesem „Grafen von Luxemburg“ jedoch für alle Protagonisten ein Happy End geben muss, versteht sich von selbst: Ang?le entdeckt ihren leicht verlotterten René in einem Vorstadthinterhof wieder und beiden wird von seinen Zechkumpanen ein Candlelight-Dinner bereitet. Für Juliette und Armand, der in seiner künstlerischen Entwicklung die Rückenphase überwunden zu haben scheint, eröffnet sich hingegen eine lang ersehnte, von einem Mäzen materiell abgesicherte Kleinbürgeridylle. Und Basil Basilowitsch? Der findet natürlich auch zu seinem wahren Glück, aber das sollte man sich doch lieber in einer der hoffentlich zahlreichen Vorstellungen anschauen.
Am Ende dieses kurzweiligen Abends fordern frenetisch-rhythmisierender Applaus und verdienter Jubel eine von der Bühnenrampe aus dirigierte Zugabe ein und beweisen, dass die Musikalische Komödie auf ihrem Weg zu einem modernen Volkstheater einen weiteren wichtigen Schritt nach vorn getan hat.
(Ingo Rekatzky)
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