Wo bleibt hier die Phantasie: Der erste Teil der „Chroniken von Narnia” im Kino (Benjamin Stello)

Die Chroniken von Narnia: Der König von Narnia
(The Chronicles of Narnia: The Lion, The Witch And The Wardrobe)
USA / Neuseeland 2005, 140 Min.
Regie: Andrew Adamson
Drehbuch: Ann Peacock, Christopher Markus und Stephen McFeely nach dem Roman von C. S. Lewis
Darsteller: Tilda Swinton, Georgie Henley, Skandar Keynes, William Moseley, Anna Popplewell
Kinostart: 8. Dezember 2005

Fotos: BVI
Viel Lärm um nichts:
Gute Schauwerte, schlechter Rest

Während sich das für beide Seiten doch sehr enttäuschende Kinojahr 2005 dem Ende zuneigt, hofft der Besucher mit „Die Chroniken von Narnia“ auf einen richtig guten Blockbuster und die Filmwirtschaft auf einen finanziellen Kassenhit. Und nachdem Peter Jackson mit seiner „Herr der Ringe“-Trilogie in den Jahren 2001 bis 2003 sichere Erfolge kommerzieller und künstlerischer Art gelandet hatte, sollte nun mit „Narnia“ das gleichzeitig mit J. R. R. Tolkiens Büchern entstandene Werk von C. S. Lewis verfilmt werden, das ähnlichen Inhalts ist.

Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs fliehen vier britische Geschwister aus ihrer bombardierten Heimatstadt auf das Land und finden im Anwesen eines verschrobenen Professors einen Schrank. Dieser ist die Tür nach Narnia, einer alternativen Welt, die sich ebenfalls im Krieg befindet: Die böse weiße Hexe herrscht mit Terror über das winterliche Land, Rebellen werden von der Geheimpolizei gefangen genommen, Weihnachten gibt es schon seit 100 Jahren nicht mehr. Die Bomben sind hier aber immerhin durch mittelalterliche Waffen und Zauberei abgelöst worden… Bevölkert wird Narnia von phantastischen Gestalten, darunter Kentauren, Faune, Zyklopen, Zwerge und sprechende Tiere. Kaum angekommen, sollen die vier Kinder eine alte Prophezeiung erfüllen und dem rechtmäßigen König von Narnia zum Sieg über die Hexe verhelfen, müssen bis dahin aber noch über einige in den Weg gelegte Steine steigen.

Schon nach den ersten Szenen fallen an „Narnia“ zwei Dinge auf: Erstens sind die Tricks fürchterlich schlecht gemacht, zweitens liegt das Hauptaugenmerk des Regisseurs Andrew Adamson auf den Bildern und weniger auf Schauspielern und Geschichte. Letzteres erklärt sich wohl auch aus seiner Herkunft. Seine bisherige Filmographie umfasst noch keinen einzigen Real-Film, sondern nur die Verantwortung für Spezialeffekte in einigen High Budget-Produktionen wie „Batman und Robin“ sowie die Regie für Trickfilme („Shrek“). Da auch der Kameramann in „Narnia“ einer der besten derzeit in der Filmindustrie tätigen ist (Donald M. McAlpine, „Moulin Rouge!“), wirken die grandiosen Bilder ebenso wenig überraschend wie deren Primat über die eigentlichen Inhalte des Films. Der erste Einwand dagegen überrascht mehr: In einer Produktion, die am selben Ort und mit dem gleichen Trickteam wie „Der Herr der Ringe“ gedreht wurde, erwartet man in diesem Bereich doch zumindest den Standard der Vorgängerfilme, wenn nicht sogar eine Steigerung. Aber insbesondere die animierten Tiere wirken auf der Leinwand extrem unglaubwürdig und in den teilweise sehr übertriebenen Anthropomorphisierungen lächerlich. Da Walt Disney Pictures produzierte, wurden wohl vermutete Erfolgsrezepte von sehr alten Filmen der Firma wieder aufgenommen – überdurchschnittlich oft finden sich etwa „Bambi“s Kulleraugen als Stilmittel in „Narnia“ wieder.

Die Geschichte dagegen wird von den Bildern erdrückt. Von einer Vielschichtigkeit wie im „Herrn der Ringe“ kann überhaupt keine Rede sein, aber selbst der strikt linear erzählte Plot, der im Film vom durchaus differenzierten Buch übrig geblieben ist, wird beinahe lieblos auf die Leinwand gebracht. Vorhersehbarkeit und Klischees bestimmen das Geschehen. Selbst die psychologisch potentiell interessanteste Episode um den Verrat eines Geschwisterkinds an den drei anderen wirkt flach. Die finale Schlacht sieht aus wie eine schlechte Kopie der Kämpfe im „Herrn der Ringe“. Dazu kommen haarsträubende Logik- und Anschlussfehler, die einfach nicht passieren sollten. In einer Szene sehen zwei Kinder beispielsweise an dessen Schatten, wie der Löwe hinter ihrem Zelt vorbeischleicht. Hinter diesem ist aber, wie sofort nach dem Schnitt zu sehen ist, nur eine Felswand und keine Beleuchtung irgendwelcher Art vorhanden: Sowohl optisch als auch räumlich ist der Effekt des Schattens mithin unmöglich. Auch die Stunts sind teilweise extrem unprofessionell ausgeführt, wenn etwa klar zu sehen ist, wie bei einem Reitunfall ein Stuntman vom Pferd fällt und in einer anderen Lage auf dem Boden liegen bleibt als derjenigen, aus welcher der kindliche Darsteller nach dem Schnitt wieder aufsteht.

Dass es die Schauspieler in so einer Umgebung schwer haben, ist klar. Die vier Kinder (Georgie Henley, Skandar Keynes, William Moseley, Anna Popplewell), von denen drei mit „Narnia“ bei ihrem Leinwanddebüt zu erleben sind, schlagen sich aber wacker. Ihnen ist wenig vorzuwerfen angesichts der offensichtlich mehr als mangelhaften Personenregie. Aus einem ordentlichen Ensemble ragt dazu klar Tilda Swinton als Hexe heraus: Sie unterstreicht ihre bisherigen intensiven Leistungen, etwa in „The Deep End“ oder „Orlando“, erneut nachdrücklich. Doch auch sie wird von der Inszenierung mehr oder weniger alleine gelassen, muss viel über die Sprache arbeiten – und in der deutschen Synchronisation wird wohl auch dieses letzte positive Merkmal verschwunden sein. Aber an den Darstellern liegt es definitiv nicht, dass „Narnia“ nicht über Mittelmaß herauskommt.

Die Musik dagegen kupfert schamlos bei Howard Shores Soundtrack ab. Ähnlich wie in dessen „Herr der Ringe“ lässt Harry Gregson-Williams, bisher eher im Action-Fach daheim, in „Narnia“ über eine elegische Orchestrierung sphärische Chöre und Frauenstimmen schweben. Das passt beispielsweise zu den Kampf- und Schlachtszenen schlicht überhaupt nicht, vor allem aber werden die Schnitte des Films teilweise kein bisschen auf die Musik abgestimmt, so dass der Rhythmus der Einstellungen völlig verloren geht. Solche handwerklichen Mängel erwartet man nicht in einem Film, der als Kinohit des Jahres vermarktet wird.

Insgesamt bleibt nach dem Sehen von „Narnia“ ein extrem schales Gefühl zurück. Viel zu häufig sind die Déj?-vu-Erlebnisse zum „Herrn der Ringe“, viel zu ungünstig fällt der Vergleich mit Peter Jacksons Filmen für „Narnia“ auf fast allen Ebenen aus. Nur visuell kann letzterer ansatzweise mithalten, und das ist für zweieinhalb Stunden doch sehr wenig. Was „Narnia“ aber insbesondere fehlt, ist Phantasie, Vision und Fingerspitzengefühl: Ordentliche Schauspieler stolpern durch eine uninspiriert inszenierte Geschichte mit schlechten Effekten. Es passt zwar zum äußerst schlechten Kinojahr 2005, dass sein potentieller Kinohit derartig schwach ist. Wenn aber mit „Batman Begins“ und „Harry Potter“ künstlerisch zwei Serienfolgen die von der Geschichte her weitaus originelleren „Narnia“ und „Krieg der Welten“ hinter sich lassen, spricht das wirklich Bände. Von einem Besuch „Narnias“ muss man nun sicher insgesamt nicht abraten, die Schauwerte sind schon beachtlich. Aber man braucht den Film eben auch nicht gesehen zu haben, um nichts zu verpassen. Von den Voraussetzungen her wäre wesentlich mehr zu erwarten gewesen. Schade!(Benjamin Stello)

Der Film startet u.a. im CineStar und den Passage-Kinos Leipzig.

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