„Factotum”, ein Film von Bent Hamer nach Texten von Charles Bukowski (Roland Leithäuser)

Factotum
Norwegen / Deutschland / USA 2005, 93 Min.
Regie: Bent Hamer
Buch: Bent Hamer und Jim Stark nach dem Roman „Factotum“ von Charles Bukowski
Darsteller: Matt Dillon, Lilli Taylor, Marisa Tomei, Didier Flamand
Kinostart: 8.12.2005

Bilder: Pandora Films
„Eine langweilige Sache mit Stil zu betreiben – das nenne ich Kunst“
Von der Schwierigkeit, Bukowski zu verfilmen

Ein exzessives Leben, das nach postumer Würdigung verlangt – Leben und Werk Charles Bukowskis sind so untrennbar miteinander verbunden, dass jede Verfilmung von Bukowski-Texten stets auch eine Verneigung vor dem „dirty old man“ des amerikanischen Literaturbetriebs war. In Henry Chinaski, dem trinkenden, liebenden und raufenden Außenseiter manifestierte sich Bukowskis Alter Ego, in „Post Office“ und „Factotum“ und in zahlreichen seiner Stories hat er Chinaski und sich selbst gleichermaßen ein Denkmal gesetzt. Die Themen dieses wilden Lebens sind dabei stets die gleichen, was einer filmischen Adaption der Stoffe nicht förderlich war und ist. Henry Chinaski arbeitet, um zu trinken, schreibt, um nicht arbeiten zu müssen und trinkt – selten genug alleine – um nicht einsam zu sein. Zum Verfall gesellt sich der Sex, bei Bukowski immer weniger ein Ausdruck von Leidenschaft als eine akute Bedürfnisbefriedigung. Das reicht für schöne, skurrile Szenen. Aber für einen ganzen Film?

Bent Hamer ist bereits der vierte Regisseur, der sich der Geschichten Charles Bukowskis annimmt und versucht, daraus einen kurzweiligen und gleichzeitig poetischen Film zu machen. Es bleibt ein Wagnis, denn bereits nach kurzer Zeit drehen sich die Geschichten um den po?t maudit Chinaski im Kreis. Barbet Schroeders Film „Barfly“ von 1987 gelang der Spagat einigermaßen, da sie die Chinaski-Stories auf eine klassische Erzählstruktur um den Aufstieg des saufenden Outlaws zum gefeierten Schriftsteller und den darauf zwangsläufig folgenden Abstieg zuspitzte und die Hauptrolle treffend mit dem Bukowski nicht unähnlichen Mickey Rourke besetzte. Der Dichter selbst war angetan und steuerte das Drehbuch bei. Verfilmungen wie Marco Ferreris „Tales of Ordinary Madness“ (1981) bleiben dagegen zu nah am Text und schaffen es nicht, aus den Wiederholungen von Rausch und Depression, Eingebung und Sex eine konsistente Handlung zu stricken. Insofern stellte sich Bent Hamer einer Herausforderung. Der für seinen internationalen Erstling „Kitchen Stories“ gefeierte norwegische Regisseur stellt sich dem Problem, indem er formal auf einen Roman Bukowskis zurückgreift, diesen aber durch Szenen aus anderen Chinaski-Stories anreichert. So ergibt sich ein über weite Strecken des Films zusammenhängender Erzählstrang, der zeitliche Brüche respektiert.

Henry Chinaski (Matt Dillon) ist ein Gelegenheitsarbeiter und heimlicher Schriftsteller, der – ständig am Rande des Existenzminimums und dem Alkohol stark zugetan – von einem Leben als gefeierter Künstler träumt, im täglichen Leben aber von einem schlechtbezahlten Job zum nächsten schlittert und sich die Zeiträume dazwischen mit Alkohol und einer Beziehung zu der ebenfalls alkoholabhängigen Jan (Lili Taylor) vertreibt. Chinaski besitzt neben seinen Problemen die Fähigkeit, vom Rande der Gesellschaft aus deren Verlogenheit und Bigotterie treffend zu durchschauen, ohne dass jemanden das aber interessieren würde. Seine Storys schickt er Woche für Woche an die „Black Sparrow Press“, Antwort erhält er nie. Die intensive Beziehung zu Jan zerbricht, als Chinaski durch Pferdewetten zu einigem Geld kommt und seine Ansprüche steigen. Die Trennung und der Abstieg folgen prompt, Chinaski landet in den Armen von Laura (Marisa Tomei), der Muse eines exzentrischen Komponisten und erhofft sich kurzfristig die Chance, ein Libretto für die kommende Oper des alten Musikers schreiben zu dürfen. Diese Pläne zerschlagen sich naturgemäß, Chinaski kehrt zurück zu einem Leben kurzfristiger Arbeit und billiger Alkoholräusche und zu der so sehr begehrten Jan. Doch der Alkohol lässt die Beziehung erneut zerbrechen. Am Schluß steht Chinaski wieder einmal mittellos und nur noch mit billigem Fusel unterm Arm da, die Sonne dämmert und nur der Zuschauer weiß, dass die „Black Sparrow Press“ endlich einen seiner Texte veröffentlichen wird.

So offen wie sein Ende bleibt „Factotum“ in vielen Szenen, die von der traurigen Gestalt Henry Chinaskis erzählen – und der Film tut gut daran. Den Kreislauf aus Job, Sex und Trinkerei begleitet Hamers Film mit ruhigem Blick und ohne Verklärung, aber auch ohne Anklage oder Vision. Zu den schönsten Bildern des Films gehören die Momente, in denen ein maßlos betrunkener Antiheld über neue Taten sinniert, denen früher oder später große oder kleine Katastrophen folgen werden. Hilflos und doch oftmals zum Schreien komisch bewegt sich Chinaski in einer Welt, die er analysiert, ohne ein Teil von ihr zu sein. In seinen besten Momenten erzählt „Factotum“ darüber hinaus von den Absurditäten der Arbeitswelt, von offenen Lohnschecks und einem Gurkenfabrikanten, der seinen Angestellten Chinaski mit einem Freund bekannt machen will, der auch „Schriftsteller“ sei. Nach Momenten unangenehmer Stille zieht sich Henry zurück. So ist der Film immer ganz nah dabei und wahrt doch eine angenehme Distanz zum Objekt Henry Chinaski. Alles erscheint so weniger tragisch, es geht immer weiter, und lakonisch berichtet Bent Hamers Film dem Zuschauer von einem ewig Strauchelnden.

Dabei macht der Zuschauer die Entdeckung, dass ähnlich wie in Barbet Schroeders „Barfly“, die Besetzung der Rolle Chinaskis für das Gelingen der Verfilmung von zentraler Bedeutung ist. Matt Dillon gibt in „Factotum“ wieder einmal den arg Gebeutelten, der mit stoischer Gleichmut sein Schicksal erträgt und stets humorvoll bleibt, auch wenn alles gegen ihn läuft. Seit Coppolas „Outsiders“ oder seiner dem Chinaski verwandten Rolle des Junkies und Tagediebes in Gus van Sants „Drugstore Cowboy“ haftet jeder Rolle Dillons etwas Kaputtes, Leidendes und gleichsam Bauernschlaues an: das Leben spielt seinen Charakteren übel mit, und sie tun ihr übriges dazu, besitzen eine hohe Affinität zum Rausch und sind gleichzeitig große Überlebenskünstler. Ohne Dillon wäre Hamers Film nur halb so intensiv, sein Zusammenspiel mit namhaften Partnern wie Lili Taylor und Marisa Tomei schafft Augenblicke großer Gefühle nahe am Delirium.

Wer weiß, welcher Regisseur sich alsbald an Texte von Bukowski heranwagen wird. Bent Hamer hat es getan und einen unterhaltsamen, mitunter komischen und doch sehr ruhigen Film geschaffen. Er ist nicht der Versuchung erlegen, das Wirken der Figuren Bukowskis knallig und laut zu inszenieren und damit der eigentlichen Intention vieler Stories des Altmeisters wohl näher gekommen, als alle bisherigen Bukowski-Verfilmungen. (Roland Leithäuser)

„Factotum“ läuft seit Donnerstag in den Leipziger Passage Kinos.

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.