Märchenhaft

Endlich wieder an der Oper Leipzig: „Hänsel und Gretel” wiederaufgeführt

Mit ruhigen Melodien der Blechbläser beginnt die lang erwartete Wiederaufnahme von „Hänsel und Gretel“. Auf der Bühne öffnet sich die erste Seite eines großen Bilderbuches mit dem majestätischen, zutiefst ernsten und gerade damit komödiantischen Aufzug der Märchengestalten: Rumpelstilzchen, Aschenputtel, Siebenmeilenstiefel, das tapfere Schneiderlein, Drosselbart und ein König. Langsam setzt das gesamte Orchester ein, erste Fragmente bekannter Kinderlieder werden hörbar und erwecken die Märchengestalten zum Leben. In den folgenden Minuten kommt es zu einem skurrilen Spiel dieser Gestalten, das dem Zuschauer nicht nur eine höchst märchenhafte Einstimmung verschafft, sondern auch Humperdincks Musik jenseits von bloßer Illustration in Bilder und Rhythmen umsetzt.

Was dieser Inszenierung in den ersten Minuten gelingt, bleibt auch in den verbleibenden zwei Stunden erhalten. Ein subtiles Spiel von Andeutungen, welches die Phantasie der Zuschauer herausfordert. Wirklichkeit zu simulieren, wird bewusst verweigert. Der Kuckuck singt sein Lied auf einem in der Luft hängendem Stuhl, ein vom Himmel herabgelassener Baum verwandelt das Zimmer der Kinder in den Märchenwald. Die Andeutung genügt, um eine Situation zu beschreiben. Aber es lässt auch Freiraum, es überrascht, es fordert mit seinen teilweise recht unkonventionellen Umsetzungen Auge und Sinn des Betrachters. Die Mischung von liebevoll und sinnlich inszenierter Märchenhaftigkeit und gleichzeitigem Bruch mit konventionellen Märchenbildern ist vermutlich der Schlüssel, dass es dieser Inszenierung gelingt, Groß und Klein gleichermaßen zu verzaubern. Am kontroversesten ist dabei wohl die Figur der Hexe. Die traditionell männliche Besetzung der Rolle wird hier nicht durch Bösewicht-Attitüden unterstrichen, vielmehr kehrt Alfred Kirchner die Transsexualität der Figur bis ins Lächerliche hervor. Der dabei entstehende Charme, durch Kostümierung und Gestik noch verstärkt, macht die Hexe zu einer eher komisch, denn angsterregend wirkenden Figur. So hält sich denn der Schrecken der Kinder auch in Grenzen. Nun wissen also auch die Kleinen, dass, wer böse ist, nicht unbedingt auch so aussieht und werden dabei, einmal mehr in dieser Inszenierung, sehr ernst genommen.

Zum Teil leiden die schönen Inszenierungsideen an einer etwas unbeholfenen Umsetzung durch die Solisten. Aber insbesondere musikalisch gelingt dem Ensemble ein überzeugender Genuss. Herausragend ist das Finale mit dem Kinderchor der Oper Leipzig sowohl in der spielerischen Konzeption als auch in der musikalischen Qualität.

Hänsel und Gretel

Märchenoper von Engelbert Humperdinck in drei Bildern nach der Dichtung von Adelheid Wette

Musikalische Leitung: Axel Kober
Inszenierung: Alfred Kirchner
Einstudierung der Wiederaufnahme: Gundula Nowack
Bühnenbild: Annette Murschetz
Kostüme: Margit Koppendorfer
Dramaturgie: Vera Sturm

Gewandhausorchester
Chor und Kinderchor der Oper Leipzig

Sonntag, 27.11.05, 16.00 Uhr, Oper Leipzig


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