Richard Strauß: „Der Rosenkavalier“
Inszenierung: Alfred Kirchner
Bühne: Marcel Keller
Musikalische Leitung: Peter Schneider
Gewandhausorchster
Chor der Oper Leipzig
Wiederaufnahme an der Oper Leipzig
25.12.2005
„Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.“ – Anmerkungen zur Wiederaufnahme des „Rosenkavalier“
Als die Wiener Öffentlichkeit Hofmannsthals erste literarische Werke mit Bewunderung zur Kenntnis nahm, glaubte man – wie sich Stefan Zweig erinnert -, nur ein Greis von großer Lebenserfahrung könne dies geschrieben haben – und war mehr als überrascht, bei einer Lesung einen Adoleszenten in Primanermütze vor sich zu haben.
Aus dem Blick dieses alterslosen, ewig jungen „Dichterauges“ ist auch der Rosenkavalier geschrieben – es wurde höchste Zeit, dass ein Libretto und eine Partitur in dieser Form entstand: als ironischer Abgesang auf die Glanzzeit der Oper im 18. und 19. Jahrhundert, als schwereloser, schwungvoll-melancholischer Übergang zur Moderne, als erster Schritt in ihre vielfach gebrochene Doppeldeutigkeit. Gerade weil manche Passage heute wirkt als sei sie mit Sirup übergossen ist die Oper wegen ihrer Tendenz zur Ironie und wegen des feinsinnigen Psychologismus der Figurencharakteristik ein dramaturgisch ausgefeiltes Meisterstück der versteckten Bedeutung.
Zahlreich sind die Klippen, die diese Oper in sich birgt und beachtlich ist die Leichtigkeit, mit der diese Klippen in der Leipziger Inszenierung von Alfred Kirchner umfahren werden, die 1998 Premiere feierte und am 25. Dezember 2005 nach ein paar Jahren Pause erfolgreich im fast ausverkauften Haus am Augustusplatz wieder aufgenommen wurde.
Alfred Kirchner trägt zunächst detailgenau sämtliche Klischees zusammen, die Musik und Libretto erlauben. Die Kostüme von Joachim Herzog und das Rokoko-Bühnenbild von Marcel Keller unterstützen ihn dabei. Doch diese nachgeahmte Welt des 18. Jahrhunderts wird durch ihre glasklare und messerscharfe Genauigkeit suspekt. Die grotesken Affekte der Ausführenden wirken derart überzeichnet, das alles zusammen wirkt wie ein doppelter Boden, unter dem sich ein Abgrund befindet. Dadurch gelingt der gewagte Balanceakt vom Klischee zum Absurden und Fragwürdigen. Die große Stärke der Inszenierung liegt deshalb in der abwechslungsreichen, grundsoliden darstellerischen Arbeit mit den Sängern, dem Chor und der Komparserie, die durch Gundula Nowacks szenische Einstudierung der Wiederaufnahme noch einmal bedeutend gewonnen hat. Allen Sängern wird hier endlich einmal die so oft völlig verschenkte Möglichkeit geboten, ihre schauspielerischen Talente ganz zu entfalten – das betrifft nicht zuletzt den Chor, der gerade in den sechs Lerchenauern und in den großen, reibungslos verlaufenden Massenszenen beweist, welches darstellerische Potential realisierbar ist, das nur – wie hier geschehen als Ironisierung – gründlich herausgearbeitet werden muss. Die Vielfalt der Vorlage wird bis zur bitteren Neige ausgeschöpft und mit Akkuratesse umgesetzt. Es entsteht dadurch eine kurzweilige, anregende und schwungvolle Spiel- und Handlungsoper, reich an pointierten Einlagen, geschickt eingebauten theatralischen Momenten und einer bunten Palette an gelungenen Figurencharakteristiken. Unter diesen empfiehlt sich insbesondere Kathrin Göring für Weiteres, die ihre Chance als Octavian vorzüglich zu nutzen verstand, durch ihre geschmackvolle Interpretation zwischen Würde und treffsicherer Komik. In der Titelpartie der Fürstin gab Gabriele Fontana ein Bild der reifen, gehaltvollen grande dame, mit berückender Stimmkraft, konzentrierten Aufgängen, eleganter Melodienführung und einer beneidenswerten Textverständlichkeit. Michael Eder als Ochs auf Lerchenau bestätigt auch in der Wiederaufnahme, dass ihm die Rolle geradezu auf den Leib geschneidert zu sein scheint und er geradezu als eine Idealbesetzung gelten kann, da er die Wage hält im Wechselspiel vom Burlesken zum durchdacht Mephistophelischem.
Das Gewandhausorchester zeigte sich einigen Anlaufschwierigkeiten zum Trotz und ungeachtet einiger dynamischer Differenzen insbesondere in den choristischen Passagen im dritten Aufzug unter der Leitung von Peter Schneider in bester Feiertagsstimmung. Insbesondere, dass der unwirkliche, flirrende letzte Ton der Violine im ersten Aufzug endlich einmal die wünschenswerte Geschmeidigkeit erfuhr, war eine Genugtuung für den Zuhörer und stand pars pro toto für die ganze Aufführung. Die Oper zeigt sich damit auf dem besten Weg, auch ohne „Pomps and Circumstances“.
(Sebastian Schmideler)
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