Ein professionelles Laienorchester

Das Leipziger Universitätsorchester spielt Mussorgsky, Goldhammer und Bruckner im Gewandhaus Leipzig

Nur wenige Minuten vor Beginn des Konzertes sind überall noch lange Schlangen vor den Garderoben. Die Damen des Gewandhauses versuchen , sichtlich genervt, neben den Jacken und Mänteln all die Taschen und Rucksäcke zu verstauen, welche Ihnen das junge Publikum über die Theke reicht. Wo die älteren Generationen sonst längst, gern nach einem Gläschen Sekt, ihre Plätze eingenommen haben, kommt heute immer noch eine Traube von fröhlich plaudernden jungen Menschen durch den Eingang gestolpert.
Das Laienorchester der Universität existiert seit Oktober 2003, seit 2004 unter dem Namen Leipziger Universitätsorchester. In jedem Semester wird von den fast einhundert Studenten aller Fachrichtungen ein sinfonisches Programm einstudiert. Heute hat man sogar eine Uraufführung ins Programm genommen, doch davor etwas russische Romantik:
Nahe Kiew, auf dem Kahlen Berg versammeln sich nach einer alten russischen Sage in der Johannisnacht Hexen und andere gruselige Gestalten des Untergrundes. Mussorgskys musikalische Interpretation ist nahe am Stoff, genüsslich hat er Orchestereffekt an Orchestereffekt gereiht. Es beginnt mit „Unterirdischem Lärm“ flimmernde, flirrende Streicher, akzentuiert von Holzbläsern. Juri Lebedev gelingt es die Stimmen transparent zu führen, Satan tritt in Form der dunklen Blechbläser auf. Das Hauptthema wird von Mussorgsky mannigfaltig variiert und immer wieder ins bedrohliche Tutti gesteigert. Lebedev hat das hoch motivierte Orchester sehr gut im Griff. Richtig gruselig wird es angesichts der Ausgelassenheit und Spielfreude der jungen Musiker nicht, es entsteht eher die Stimmung eines fröhlichen Hexentanzfestes. Die hohe Frauenquote des Orchesters, geschätzte 80 %, verstärkt diesen Endruck noch. Im letzten Teil „Tagesanbruch“ wird es dann ruhig, die Geister haben sich verzogen, zarte Harfensoli werden von Querflöten und Klarinetten umschmeichelt.

Siegmund Goldhammer erzählt im Interview, dass sein 1968 fertiggeselltes Concertino in der DDR wegen der „ungewöhnlichen“ Instrumentierung nicht aufgeführt wurde. Der Saxophonsatz war den staatlichen Hohepriestern nach Aussage Goldhammers ein Dorn im Auge, wahrscheinlich roch es dadurch irgendwie amerikanisch und damit nach dem Klassenfeind. Die Uraufführung deshalb heute fast vierzig Jahre später.
Eine Freude zu beobachten, mit welcher Ernsthaftigkeit die Musiker um die hervorragende Konzertmeisterin Muriel Baum bei der Sache sind. Gespannt auf der Stuhlkante sitzend wird jede Regung Lebedevs genauestens registriert. Fanfarenhaft beginnt Goldhammers Stück, ausschweifende Variationen der Saxophone bevor die Solistin einsetzt. Anfangs geht die Klarinette in den thematischen Entwicklungen etwas unter. Im zweiten, ruhigeren Teil kann sich Felicitas Ressel dann besser entfalten, lange rezitative Abschnitte loten die Klangmöglichkeiten des Soloinstrumentes aus. Das Klangbild ist klassisch-konventionell, lediglich die kommentierenden Saxophone versuchen etwas American spirit á la George Gershwin zu verbreiten. Das Finale dann thematisch wieder eng am ersten Teil, manchmal sehr formal werden Themen variiert und vorgestellt, in einer einfachen dualen Struktur kommentieren sich Klarinette und Orchester. Überzeugen kann die Komposition nicht, unentschieden zwischen klassischem Aufbau und freier Form, klassisch tonaler Entwicklung und Jazzelementen bleibt ein zwar interessanter, aber letztendlich beliebiger Eindruck zurück.
Nach der Pause Bruckner: Am Anfang gelingt dem Orchester ein bezaubernd geschlossener Streicherklang, auch die Klarinette kommt in ruhigen Passagen der sehr anekdotischen Musik auf ihre Kosten bevor dann Mahlers gewaltiger Bläsersatz einsetzt. Lebedev betont die mannigfaltigen Kontraste der Partitur: Rhythmen, Dynamik, Dichte werden durch alle Register konjugiert. Im Andante dann erste Ermüdungserscheinungen des jungen Klangkörpers, der subtilen Variation der Klangfarben vermögen nicht alle Stimmen zu folgen. Aber der selbstbewusst nach jedem Satz einsetzende Applaus feuert das Orchester dann immer wieder an. Im dynamischen Finale glänzt Michael Kroutil an den Pauken. Der Saal ist begeistert vom effektvollen Schluss und bekommt nach tosendem Beifall auch noch eine jazzige Zugabe mit szenischen Einlagen der Musiker.

Sinfoniekonzert

Leipziger Universitätsorchester
Dirigent Juri Lebedev
Solistin Felicitas Ressel, Klarinette
Modest Mussorgsky (1839-1881)
„Johannisnacht auf dem kahlen Berge“ 1867
Orchesterfassung „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“ von Nikolai Rimsky-Korsakov

Sigmund Goldhammer (geb. 1932)
Concertino für Klarinette und Orchester
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Anton Bruckner (1824-1896)
Sinfonie d-Moll „Nullte“

Samstag, 21. 1. 06, 20.00 Uhr, Gewandhaus Leipzig – Großer Saal


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