Karl Ottomar Treibmann

Zum siebzigsten Geburtstag des Komponisten

Der Leipziger Komponist Karl Ottomar Treibmann feierte am 14. Januar 2006 seinen siebzigsten Geburtstag. Bekannt wurde der aus Rauen im Vogtland stammende Tonsetzer vor allem durch seine beiden Opern „Der Preis“ (Erfurt 1980) und „Der Idiot“ nach Fjodor Michailowitsch Dostojewski (Leipzig 1988), durch sein Violinkonzert (Leipzig 1974), seine 4. und 5. Sinfonie (beide Leipzig 1989) und nicht zuletzt wegen seiner äußerst anspruchvollen Kammermusik. Vom Herbst 1966 an bis zur Emeritierung im Jahre 2001 lehrte Treibmann ohne Unterbrechung an der Leipziger Universität Tonsatz und musikalische Analyse für Mu-sikpädagogen und Musikwissenschaftler. In seiner Kunst sah der Komponist immer wieder eine Möglichkeit zur Kommunikation, Eigenbrötelei lag ihm fern.

Karl Ottomar Treibmann brachte nicht nur Tonschöpfungen hervor, nein, er schuf auch Tonloses: kleinformatige Grafiken, auf dem Papier festgehalten mit Kugelschreiber, Bleistift oder Filzstift, neuerdings ergänzt durch zahlreiche Collagen, jener Darstellungsform, dessen Prinzip auf die „Papiers collés“ von Georges Braque (1882-1963) und Pablo Picasso (1881-1973) zurückgeht. Hier fand Treibmann neben seiner Klangkunst eine weitere Möglichkeit, sich gestalterisch zu äußern und Gedankensplitter, vor allem aber Gefühlsregungen festzuhalten. Leipzigs Stadtbibliothek und der Sächsische Musikbund e.V. nahmen infolge des siebzigsten Geburtstags die Bildarbeiten zum Anlass, um im Oberlichtsaal der Bibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz eine Ausstellung zu installieren, die am Montag, dem 16. Januar 2006, unter dem Motto „Begegnungen mit Karl Ottomar Treibmann“ vor zahlreichem Publikum der Öffentlichkeit übergeben wurde. In der Eröffnungsfeierlichkeit kam die Doppelbegabung des zu Ehrenden treffend zum Ausdruck.

Nach Treibmanns eigenem Erzählen entstanden viele seiner Kleinformate in den von Sitzungsbesessenen einberufenen Versammlungen, „die nicht enden wollten und in denen kein Platz für Musik war.“ „Sitzungsblätter“ nannte sie bald der Komponist. Während des Entstehens wandte ihr Schöpfer jene Strukturen an, aus denen auch seine Musik hervorging.

In dem Liniengewirr, unter den sich gegenseitig durchdringenden Motiven kann aber auf den Blättern noch etwas anderes aufgespürt werden: Gekreuzte Balken, sich kreuzförmig überlagernde Schienenstränge, Kreuzungspunkte deuten auf Konfliktzustände und lassen darüber hinaus jenes Symbol vermuten, das jahrhundertelang unsere abendländische Kultur prägte und das zur damaligen Zeit von dem atheistischen Staatswesen verfolgt wurde; eines Tages jedoch – zum Ärger der Mächtigen – immer wieder im Sonnenlichte auf den Kassettenflächen des Berliner Fernsehturmes gegenüber dem Roten Rathaus auftauchte, von vielen, – durchaus mit einer gewissen Häme – als Zeichen der Hoffnung begrüßt. Hatte dieses Sinnbild für Treibmann in der Bedrängnis jener Jahre eine ähnliche Bedeutung? Wie dem auch sei; seine Toch-ter Frauke Hinneburg jedenfalls äußerte zum ersten Satz seiner 5. Sinfonie über diese Frage-stellung folgende Meinung: „Die von individueller Mythologie geprägten Mitteilungen provozieren Gedanken an von äußeren Umständen beherrschte, schicksalsbestimmte Lebensläufe, Lebenszwänge,“ in denen “ sich eine versteckte Symbolik erahnen lässt.“

Wirken die meisten Zeichnungen äußerst abstrakt, hart und unerbittlich, andere in ihrer Feinsinnigkeit hochintellektuell, so ereignet sich in den Collagen für Treibmann plötzlich etwas völlig Neues: Es tauchen weibliche Körper und Formen auf, schamhaft umrankt von Armen und Händen, wie überhaupt immer wieder Arme, Hände oder einzelne Finger (vielleicht als verkapptes männlichen Symbol) sich einem Unbestimmten entgegenrecken und -strecken. Wären es Pflanzen, so ließe sich vermuten, sie strebten dem Licht entgegen, angetrieben von einem unausrottbaren Impuls, dem Willen zum Leben. Hinter diesen Darstellungen könnte sich freilich auch etwas Gütiges, Bergendes, Beschützendes verstecken, oder die Suche nach dem, wovon es nur eine Ahnung gibt, was sich aber selbst noch nicht benennen lässt.

Und dann kam an diesem Abend Treibmann als Komponist zu Wort, in einem Programm, dessen Zusammenstellung sicherlich eine Einmaligkeit darstellte. Aus seinem umfangreichen l´uvre erklangen einzig und allein vier Kompositionen für Schlagwerk, hervorragend dargeboten von Günter Pauli (geb.1938) und Gerd Schenker (1948), zwei Interpreten, die von früheren Konzerten her mit dem Schaffen Karl Ottomars auf das Beste vertraut sind. Beider Meisterschaft brachten Sinngehalt und Absicht treffend zu Gehör. Eine bessere Darbietung war nicht vorstellbar. In der Reihenfolge an diesem Abend erklangen: die Unterhaltung zweier Schlagzeuger aus dem Jahre 1979, Vibraphon-mobil, eine Toccata für Vibraphon solo (2000), Fell-Stück (2005), eine Uraufführung in der virtuosen Bewältigung von Gerd Schenker, dem der Komponist das Werk auch zueignete, und die Schlagsonate. Sechs Blätter für Peter Sylvester (1980), zu der Treibmann selbst anmerkte: „Die Komposition ist dem Grafiker Peter Sylvester gewidmet als Ausdruck von geistiger Verwandtschaft im Umgang mit Räumen, Farben und Zeitverläufen. Sylvesters Bildwelt zeigt phantastische Landschaften und Raumveränderungen zwischen Himmel und Erde.“ Der Grafiker stimmte dieser Aussage durchaus zu und meinte: „In Zeitfolge und Fließen der Klänge empfinde ich auch Parallelen zu meinem Generalthema von Zeit, Raum, Veränderungen.“

Die Bezeichnung „Fellstück“ der Uraufführungsmusik bezieht sich selbstverständlich auf die Fellmembranen der geforderten Schlaginstrumente. Zu den vier Tomtoms, den großen und kleinen Bongos, der großen und kleinen Trommel, gesellt sich die Rührtrommel. Außer dem sachlichen Bezug ermöglicht der Titel aber auch Gedankenverknüpfungen zu archaischen Gegebenheiten.

Erstaunenswert, welcher Gestaltungsreichtum, welche Rhythmenvielfalt der Phantasie des Komponisten entsprang, um ein Werk entstehen zu lassen, das gefühlsstark und naturhaft zugleich die Hörer in hohem Maße faszinierte. Filz- und Gummischlägel, Trommelstöcke und Besen, unmittelbarer Fingereinsatz sowie Reibstöcke als Glissandoerzeuger erbrachten ein Klanggeschehen, das sich in seiner variierten Barform und den Marschanklängen zu einem musikalischen Ereignis verdichtete, das, rational nicht erfassbar, Urtiefen berührte. Verdunkelnde Schrapgeräusche entließen den Hörer aus dem Bann eines Musikereignisses, das ihn sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft entführt hatte. Oder waren es die Schratgeräusche des sich entfernenden zottigen Waldgeistes?

„Ach, aber ach“, – in den goldenen Becher dieser schönen Feier fiel ein Wehrmutstropfen. Die Treibmann-Biografin Ulrike Liedtke hatte es übernommen, die Laudatio zu halten. Ausdruckslos und viel zu schnell trug sie ihren Text vor, akustisch konnte man ihr nur schwer folgen. Auch inhaltlich blieb manches auf der Strecke, vor allem für die Anwesenden, die mit dem Werdegang und dem Gesamtschaffen Treibmanns nicht so vertraut waren; denn der Wortlaut erschien besonders ihnen viel zu abstrakt, gestelzt und unübersichtlich.

Drei Tage später, am 19. Januar 2006, lud die Universität Leipzig zum Festakt für Prof. Dr. Treibmann in den Musiksalon des Mendelssohnhauses ein. Die Festreden hielten der Rektor der Universität, Magnifizenz Prof. Dr. Franz Häuser, der Dekan der Fakultät für Geschichte, Kunst und Orientwissenschaften, Prof. Dr. Markus Denzel, sowie der Institutsdirektor für Musikwissenschaft, Prof. Dr. Helmut Loos. Auch Altmagnifizenz Prof. Dr. Rathmann war der Einladung gefolgt. In seiner Würdigung zum Schaffen des Komponisten hob Prof. Dr. Häuser den Mut hervor, den der Hochschullehrer Treibmann in einer politisch nicht ungefährlichen Zeit bewies, als er zum 575-jährigen Bestehen der Karl-Marx-Universität 1984 die Chorsinfonie „Der Frieden“ in Zusammenarbeit mit Volker Braun (1939), Büchner-Preisträger 2001, herausbrachte, ein Oratorium, das unter den Genossen der Einheitspartei nicht unumstritten blieb. Es war ein Werk entstanden, in dem „gedankenloses Nachplappern von Arbeiter-kampfliedern gegeißelt und aus dem Solidaritätslied ein ´solifari´ herausgelöst“ wurde. Das schrieb am 6. März 1986 die Neue Zürcher Zeitung, aus welcher der Laudator zitierte. Treibmanns Ideologiekritik war also über die Grenzen der DDR hinaus wahrgenommen worden.

Auch diese Feierstunde hielt eine Uraufführung bereit. Widmungsträgerin Waltraut Wächter brachte unter Einsatz ihres hohen Künstlertums die „Ballade für Solovioline“ zu Gehör. Es erklang eine von ihrem Schöpfer zutiefst erlebte Musik, die deshalb in besonderer Weise den Hörer ergriff.

Karl Ottomar Treibmann strebt in seinem Schaffen nach einer in jeder Phase emotional empfundenen Tonsprache, deren Gefühlsausdruck und Gefühlsbewegung immer und überall in der Realität verwurzelt bleibt. Der Kontakt zum Hörer ist ihm ein Lebensbedürfnis.

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