Charlize Theron und Frances McDormand in „Kaltes Land” (Tobias Prüwer)

Kaltes Land
(North Country)
Regie: Niki Caro
Drehbuch: Michael Seitzman
Darsteller: Frances McDormand, Charlize Theron, Jeremy Renner
Kinostart: 9. Februar 2006

Fotos: WarnerDie Nutte und die Puderdose
Niki Caros neuer Film „Kaltes Land“

Ein klassischer Plot: Eine Frau entflieht mit ihren Kindern den gewalttätigen Übergriffen ihres Mannes. Ihr Versuch neu zu beginnen scheitert an den Schikanen, die einer Alleinerziehenden allerorts begegnen. Insbesondere, wenn sie es wagt, einen so genannten „Männerberuf“ zu ergreifen, ist sie fortwährend sexuellen Belästigungen ausgesetzt.

Ein klassisches Drama, das auch Josey Aimes im Kinofilm „Kaltes Land“ widerfährt. Um den wiederholten Prügelattacken ihres Mannes entkommen, findet sie Unterschlupf bei ihren Eltern in der Provinz Minnesotas. Sie will sich und ihren beiden Kindern und eine Zukunft aufbauen und benötigt dafür eine Arbeit, die lukrativer ist als ein Gelegenheitsjob beim örtlichen Barbier. Eine Jugendfreundin vermittelt Aimes eine Anstellung in einem Erztagebau, in dem nur eine Handvoll weiterer Frauen arbeitet. Als größter regionaler Arbeitgeber stellt das Bergwerk die Lohnchecks der ortsansässigen Familienväter seit Generationen aus.

In diesem traditionellen Gefüge haben Frauen keinen Platz. Für sie ist die harte, ehrliche Männerarbeit an Baggern, Förderbändern und Trucksteuern nichts, was die Arbeiterinnen intensiv zu spüren bekommen. In der Männerwelt der Grube sind sie permanenten Erniedrigungen ausgesetzt. An den Wänden prangen sexistische Sprüche, ein Betriebsteil heißt „Die Puderdose“ – und „Nutte“ ist die normale Form der Anrede. Mann zotet und grabscht, ejakuliert in die Spinde der Frauen, versucht zu vergewaltigen. Die Arbeiterinnen versuchen, die Diskriminierungen und sexuellen Belästigungen zu ignorieren und stoisch zu ertragen – es könnte ja noch schlimmer kommen und schließlich brauchen sie den Job.

Nur Aimes folgt dieser Logik nicht und beklagt sich bei Vorgesetzten und Gewerkschaft, allesamt Männerbünde. Doch anstatt ihr zu helfen, antwortet der Chauvinistenmob unisono: „Männer kennen manchmal ihre Grenzen nicht. Frauen schlagen ihnen deshalb ab und an auf die Finger, und die Männer kennen die Grenze wieder. Auf diese Weise lösen sie ihre Konflikte doch seit Adam und Eva.“ Aufgrund ihrer Beschwerde verschlimmert sich Aimes‘ Lage nur noch. Als Außenseiterin wird sie im Ort gemieden und ihr Vater wendet sich ab, arbeitet er doch ebenfalls in der Grube. Letztlich findet sie sich selbst von ihren Kolleginnen isoliert. Die Schuld an den Diskriminierungen bereits internalisiert, sehen sie in Aimes‘ Protest nur Anlass für weitere Übergriffe. Öffentlich als Hure gebrandmarkt und wie Freiwild am Arbeitsplatz, droht für Aimes auch die ohnehin schwierige Beziehung zu ihrem Sohn vollends zu zerbrechen. In dieser Situation tut sie das Aussichtsloseste und einzig Richtige: Sie zieht gegen die Firma vor Gericht.

Mit „Kaltes Land“ hat Regisseurin Niki Caro ein eindringliches Drama inszeniert. Ihre Fiktionalisierung einer wahren Begebenheit handelt von Macht und Ohnmacht, struktureller Gewalt und alltäglichem Sexismus. Mit Charlize Theron in der Rolle der Josey Aimes sehr gut besetzt, erzählt der Film glaubwürdig von der Hilflosigkeit und Wut einer Frau, die – bereits als Jugendliche vergewaltigt – nur Opfer ist in einer patriarchalischen Welt, aber dieses Schicksal nicht länger hinnehmen will. Der Film gibt eine bedrückende Atmosphäre wieder. Die Menschen dieser Provinz sind Zombies. Sie gehen der täglichen Arbeit im Bergwerk oder am Herd nach, inszenieren beim Kirchgang Gemeinschaft und suchen alle paar Wochen bei Karaoke und Bier Amüsement. Die Männer johlen, die Frauen ducken. In dieser Welt muss ein Mann tun, was ein Mann tun muss, eine Frau aber nicht darf. Sehr plastisch wird hier die Enge tradierter Rollenmuster aufgezeigt und auch ihre reziproke Zuschreibung nicht ausgeblendet. So wird in einer Szene ein Mann, der das Angebot einer jungen Frau, mit ihr zu tanzen, ausschlägt, von ihr als „schwul“ beschimpft. Die Beschreibung dieses Geflechts sozialer Imperative ist die Stärke des Films.

Zu gewollt allerdings ist die Optik dieses kalten Landes in Szene gesetzt. Spröde und Kühle dominieren, die schönen Bilder zeigen sich oftmals leer und der Film bleibt am Ende zu glatt. Dabei hätte er diese Überästhetisierung gar nicht benötigt, schließlich reicht die soziale Kälte zur Rechtfertigung des Titels vollends aus. Zudem reproduziert die Darstellung vom gigantischen Raubbau in der Erzmine das schiefe Bild jungfräulicher Natur und ihrer männlich-technischen Ausbeutung. Dieses Klischee dient der filmischen Wirkung ebenso wenig wie die Elemente des übertriebenen Hollywood-Kinos.

Als ob die Situation Aimes‘ nicht berührend genug wäre, muten einige Szenen zu pathetisch und theatralisch an. Wenn zum finalen Gefecht vor Gericht nicht nur die ehemaligen Kolleginnen, sondern auch Aimes‘ Vater und Mutter und schließlich der halbe Gerichtssaal als ZeugInnen aufstehen, vermeint man sie rufen zu hören: „Oh Captain, mein Captain!“ Diese „Alles wird gut“-Romantik schadet der Authentizität und wird mit der Schlusssequenz vollends vergeben. Neben der obligatorischen Einblendung „Nach einer wahren Begebenheit“ ist dort zu lesen, dass der juristische Siegeszug weltweit Nachhall fand und die Situation der Frauen entscheidend verbesserte.

Sicherlich ist im historischen Fall der Schutz vor sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz in den Vereinigten Staaten in Form eines Präzedenzfalles gerichtlich verankert worden. Dies ist aber nicht das Ende der Geschichte vom Chauvinismus, schon gar nicht in globaler Perspektive. Allein in Deutschland zum Beispiel wird jede siebte Frau Opfer sexueller Gewalt.

„Kaltes Land“ zwingt zum zwiespältigen Urteil. Er ist ein guter Film, der sein Potenzial verspielt. Indem er den authentischen Fall nicht paradigmatisch für das Schicksal vieler abbildet, sondern durch Historisierung auf einen fernen und überwundenen Missstand reduziert, verfehlt er jene Aktualität und Brisanz, welche das Thema verlangt. Sexismus ist auch in den heutigen Gesellschaften gegenwärtig, überall und nicht nur in einem fernen „Kalten Land“.(Tobias Prüwer)

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