„Stay”, der neue Film von Marc Forster (Benjamin Stello)

Stay
USA 2005, 99 Min.
Regie: Marc Forster
Drehbuch: David Benioff
Darsteller: Ewan McGregor, Naomi Watts, Ryan Gosling, Bob Hoskins
Kinostart: 23. Februar 2005

Fotos: KinoweltVerpasste Chancen
„Stay“ – ein Beinahe-Psychothriller

Wohlige Gänsehaut, gepflegtes Gruseln, überraschende Wendungen, innerer Horror statt äußerer Effekte: Wirklich gute Psycho-Thriller können dem Kinobesucher den Atem rauben und ihn im Sessel fesseln. Auch deshalb ist dieses Genre nie derartig zum Stillstand gekommen wie etwa der Western. Viele Meisterwerke des Zelluloids sind psychologische Spannungsfilme dieses Stils. Wer erinnert sich nicht an das verzweifelte Ringen eines Ehepaars um den Verbleib in der Realität, nachdem das gemeinsame Kind gestorben war (Nicholas Roegs „Wenn die Gondeln Trauer tragen“)? Wem lief kein Schauer über den Rücken, als der Teufel selbst eine Schwangere heimsuchte (Roman Polanskis „Rosemaries Baby“)? Und wer litt nicht vor wenigen Jahren mit, als ein Psychiater versuchte, einen Jungen zu behandeln, der Gestorbene zu hören und zu sehen glaubte (M. Night Shyamalans „Sixth Sense“)? Mit „Stay“ kommt nun ein weiterer Film in die Kinos, der an diese künstlerischen und kommerziellen Erfolge anknüpfen möchte.

Der junge Psychiater Sam Foster springt für eine erkrankte Kollegin ein und übernimmt deren Patienten. Unter diesen ragt insbesondere Henry Letham heraus, der nicht nur seltsam genau zutreffende Zukunftsvisionen hat, sondern auch explizit mitteilt, sich in drei Tagen erschießen zu wollen, ohne allerdings Foster näher an sich heranzulassen. Dieser bespricht sich schließlich verzweifelt mit seiner Freundin Lila – die er am Beginn der gemeinsamen Beziehung mit aufgeschnittenen Pulsadern und zweieinhalb Litern Blut zu wenig aus der Badewanne gezogen hatte -, kommt aber dennoch nicht entscheidend weiter. Zugleich scheint Fosters eigene Realität aus den Fugen zu geraten: Er glaubt, bereits Gestorbene zu treffen, Szenen mehrfach zu erleben und ist schließlich soweit, seinen eigenen Sinnen nicht mehr zu trauen. Doch die angekündigte Stunde von Henrys Suizid rückt immer näher…

Handwerklich ist das alles sehr ordentlich gemacht. Die filmische Wirklichkeit ist zunächst mit der Erfahrungswelt der Zuschauer identisch und verschiebt sich so unmerklich, dass sich der gewünschte psychologische Sog tatsächlich einstellt und der Zuschauer in eine aus den Angeln gehobene Welt hineingleitet. Geschickte Überblendungen und Schnitte sowie farblich sich unscheinbar, aber wirkungsvoll verändernde Bilder tragen ihren Teil dazu bei. Dazu ist die Inszenierung selbst stringent und mit einem funktionierenden Spannungsbogen versehen: Regisseur Marc Forster und sein Team haben hier ganze Arbeit geleistet. Forster, in Ulm geboren und in Hollywood vor allem durch den Oscar-Abräumer „Monster’s Ball“ bekannt geworden, schafft es, eine Atmosphäre des Gruselns zu erzeugen. Leider wird ihm vom Drehbuch ein großer Strich durch die Rechnung gemacht: Das erste Script David Benioffs ist nicht nur vorhersehbar und überraschungsfrei, sondern auch in der Zeichnung der Nebenfiguren völlig unausgereift. Neben den drei die Handlung tragenden Protagonisten gehen die Randcharatere schlicht unter. Dadurch leidet dann im Umkehrschluss der gesamte Film: Wo weitgehend klar ist, was passieren soll, wird kein Zuschauer nervös oder angespannt sein müssen, sondern ruhig auf dem Beobachterposten verharren können. Das ist es, was Meisterwerke wie „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ so herausragend macht: Durch das Mitleiden identifiziert sich der Zuschauer mit den Figuren. Die wirklichkeitsnahe und doch spannende Handlung zieht ihn in den Film hinein, und schließlich kann der Grusel von der Leinwand ins Publikum übertragen werden. In „Stay“ fehlt die Komponente des kompletten Hineinziehens, weil das Geschehen langweilig, vorhersehbar und damit weitgehend uninteressant ist.

Zwei der Schauspieler retten den Film dennoch vor dem Absturz in die völlige Mittelmäßigkeit. Ewan McGregor („Trainspotting“, „Star Wars“) liefert eine bravouröse Leistung ab. Insbesondere seiner Glaubwürdigkeit als Psychiater Sam Foster ist es zu verdanken, dass sich dennoch ein Restgrusel einstellt. Tatkräftig unterstützt wird er dabei von Naomi Watts als Lila: Sie zeigt, dass sie weitaus mehr kann als schreiend vor Riesenaffen davonzulaufen. Leider kann dasselbe über Ryan Gosling in der Rolle des Patienten Henry nicht gesagt werden: Schlichtweg überfordert versucht er, sich in treudoofe Hundeblicke zu retten und mit bedeutungsschwangerem Ausdruck Sätze zu sprechen, die normal intoniert die gleiche Wirkung haben würden. Dieses Overacting ist der zweite Grund des Scheiterns von „Stay“: Indem Gosling von McGregor und Watts schlicht an die Wand gespielt wird, fehlt dem Film eine ausgleichende Ebene und Doppelbödigkeit, die eben auch durch die Nebendarsteller mangels Rollen nicht hergestellt wird, obwohl insbesondere Bob Hoskins als alternder Mentor des Psychiaters sich redlich müht.

Insgesamt ist „Stay“ enttäuschend. Nicht einmal das Ende ist eines, an das man sich später erinnern wird, weil es weder eine komplette Auflösung wie in „Sixth Sense“ gibt noch Forster sich traut, einzelne Handlungsstränge wirklich im Raume stehenzulassen, wie es David Lynch beispielsweise getan hätte. Das halbgare Schlussbild passt zu einem missglückten Film: Gute Ansätze, aber noch mehr Störendes. Ein Streifen, der einen die im Kino verbrachten Stunden nicht bereuen lässt, der aber auch keiner ist, den man gesehen haben muss.(Benjamin Stello)

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