Die Welt als Wille und Wahnvorstellung

Oskar Roehler vergeht sich an Houellebecqs „Elementarteilchen“

Angesichts von Oskar Roehlers neuem Film, der Adaption von Michel Houellebecqs Roman „Elementarteilchen“ (1998) ließe sich wieder einmal trefflich über Sinn und Unsinn von Literaturverfilmungen streiten. Wer einen Roman verfilmt, lässt sich immerhin auf ein gewagtes Unterfangen ein, wenn es darum geht, die Handlung filmisch zu straffen, den Protagonisten ein Gesicht zu geben, ohne das literarische Subjekt aus den Augen zu verlieren, zu erzählen und dabei Längen oder Untiefen zu vermeiden. Soviel vorab: Oskar Roehler ist das mit seiner Verfilmung misslungen – allerdings nicht so, wie Literaturverfilmungen im herkömmlichen Sinne misslingen. In Anlehnung an einen Terminus, den das bürgerliche Lager in Deutschland seit den vorgezogenen Bundestagswahlen im September gebraucht: wenn Angela Merkel eine konservative Kanzlerin einer sozialdemokratischen Regierung ist, ließe sich Roehler im Kontext seines neuen Films getrost als Filmkünstler in einer Bernd-Eichinger-Produktion bezeichnen. Die Frage ist, ob das gut geht.

Unter kommerziellen Aspekten wird dies bisher nicht bezweifelt. „Elementarteilchen“ lief vielgelobt auf der Berlinale, wurde bereits in über dreißig Länder verkauft, Hauptdarsteller Moritz Bleibtreu mit einem Silbernen Bären für seine Darstellung des Bruno ausgezeichnet. Was die Fachwelt geflissentlich übersieht, ist die eigentlich unmögliche Kooperation von Deutschlands erster Schauspielergarde, dem ambitionierten Regisseur Roehler und Erfolgsproduzent Eichinger. Roehler ist in seinen bisherigen Filmen als großer Erzähler, aber auch als kompromissloser Chronist menschlicher Abgründe aufgefallen, Eichinger produziert große Produktionen, die in der Mehrzahl nicht großes Kino sind. „Elementarteilchen“ merkt man an, dass eine solche Allianz nicht unproblematisch ist.

Die Handlung des Buches wurde für den Film in einen deutschen Kontext gezerrt: die beiden Brüder Mich(a)el und Bruno, beide Ende Dreißig und vom Leben nicht unbedingt verwöhnt, geraten an Wendepunkte in Karriere und Familienleben. Einst von einer freizügigen Mutter mit Hippie-Allüren (Nina Hoss) in den sechziger Jahren in diese Welt „geworfen“, wird Michael (Christian Ulmen) ein erfolgreicher Molekularbiologe, der weitestgehend autistisch und asexuell sein Dasein fristet und dessen Triebfeder die Überwindung der Sexualität für den genetischen Code kommender Generationen zu sein scheint. Bruno hingegen kann sich über einen Mangel an Libido nicht beklagen, kann diese aber immer unzureichender kanalisieren. Als Lehrer und Autor rassistischer Pamphlete findet er in der Ehe keine Befriedigung mehr und fühlt sich zu einer attraktiven Schülerin hingezogen. Seine eindeutigen Annäherungsversuche weist diese brüsk zurück, Bruno lässt die Familie zurück und erholt sich erst einmal in einer geschlossenen Anstalt von seiner Identitätskrise. Währenddessen trifft Michael -nach dem Ausscheiden aus seinem Forschungsinstitut und bei einem kurzen Abstecher in heimatliche Gefilde- seine Jugendliebe Annabelle (Franka Potente), mit der er in der Folge seine sexuelle Initiation erlebt und seine bisherige Lebensplanung überdenken muss. Es wendet sich scheinbar alles zum Guten: Bruno triff in einem Nudistencamp die desillusionierte Lehrerin Christiane (Martina Gedeck), die wie er auf der Suche nach einem tieferen Sinn im Leben ist. Aus einer zunächst flüchtigen sexuellen Begegnung erwächst eine tiefe Bindung. Nach der Rückkehr ins „normale“ Leben besuchen die beiden zusammen Swingerclubs und freuen sich der revitalisierten Lebenslust wie kleine Kinder. Michael kehrt unterdessen ohne Annabelle nach Irland zurück, wo er einst Forschungen über die Reproduktion des menschlichen Erbguts – scheinbar erfolglos – abgebrochen hatte. Tatsächlich waren seine Berechnungen aber korrekt und einer glänzenden Karriere an der irischen Küste steht nichts im Wege. Zwar erleidet Annabelle in seiner Abwesenheit eine Fehlgeburt und wird in Folge eines Tumors unfruchtbar, doch kümmert sich Michael liebevoll um sie, macht ihr einen Heiratsantrag und nimmt ihr das Versprechen ab, mit ihr nach Irland zu gehen – man denkt bei diesen Bildern des kuschelnden Pärchens und der rauen irischen Küstenlandschaft an Rosamunde Pilcher.
Bruno ergeht es weniger gut: Christiane erleidet auf einer Sexparty einen Zusammenbruch, und wird mit der Diagnose einer Steißbeinnekrose und einem Leben im Rollstuhl konfrontiert. Verzweifelt nimmt sie sich das Leben. Bruno hat einen neuerlichen Zusammenbruch, der dieses Mal eine unheilbare Psychose nach sich zieht. Doch – ach – Michael und Annabelle nehmen sich des armen Menschen fürsorglich an. Zum Schluss sieht man die Drei bei einer Fahrt im offenen Cabrio und am Badestrand – ein Happy End für Michael und Annabelle, auch Bruno scheint ganz zufrieden zu sein.

Das alles klingt ganz nett und unterhaltsam, und tatsächlich hat man über weite Strecken des Films das Gefühl, eine schöne, mit etwas Tragik gewürzte Komödie serviert zu bekommen. Die Darsteller tun alles dafür. Moritz Bleibtreu als kaspernder Bruno spielt einmal mehr sich selbst, Christian Ulmen in seiner Rolle als Michael könnte auch einen Charakter seiner skurrilen Show „Mein neuer Freund“ spielen. Cameos von Uwe Ochsenknecht als Brunos versoffener Vater und Herbert Knaup als zynischer Rowohlt-Lektor runden das Vergnügen ab. Nur hat dieser Film mit der Kühle und Teilnahmslosigkeit von Houellebecqs Roman nichts mehr gemein. Dessen Verachtung für die allerorten kommerzialisierte Sexualität und den geheuchelten Liberalismus der akademischen Mittelschichten thematisiert Roehlers Film in keiner Einstellung. Man muss mit Houellebecqs Vorstellungen von Liebe und dem Niedergang derselben nicht konform gehen, mit einer bloßen Reproduktion der literarischen Fabel und ihrer Verkürzung auf das Paarungsverhalten zweier ungleicher Brüder greift der Film aber eindeutig zu kurz. Auch vor dem Hintergrund seines kommerziellen Erfolges an den Kinokassen darf das Konzept von Roehler und Eichinger angezweifelt werden: was sie mit „Elementarteilchen“ abliefern, wird den Cineasten zu oberflächlich und dem Superkinodienstagsgänger nach einem arbeitsreichen Tag wohl zu abgehoben erscheinen.

„Elementarteilchen“

Deutschland 2005
Regie und Drehbuch: Oskar Roehler
Produziert von Bernd Eichinger und Oliver Berben
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Christian Ulmen, Martina Gedeck, Franka Potente, Nina Hoss u.a.

Kinostart: 23. Februar 2006

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