Keine Frage des Alters: „Zeit – Tanz seit 1927” von Heike Hennig (Steffen Kühn)

„Zeit“ – Tanzen seit 1927
Idee und ChoreografieHeike Hennig
TanzUrsula Cain (geb.1927)
Christa Franze (geb.1927)
Siegfried Prölß (geb.1934)
Horst Dittmann (geb.1943)
Bühne / Graphikmiex
AssistenzSolveig Butz
LichtMichael Münster
Dramaturgische BeratungHeike Albrecht
ProduktionsleitungFriedrich Ulrich Minkus

Samstag, 27. 02. 2006
20.00 Uhr, Kellertheater Oper Leipzig

Tanzen sollte keine Frage des Alters sein!

Die Bühne ist leer, Streiflicht von den Seiten, aus den Lautsprechern tönt dichter Applaus. Dann kommen die vier Tänzerinnen und Tänzer: Laufend, suchend, versammeln sich am großen Tisch. Auch das Premierenpublikum applaudiert jetzt. Die vier „Altchen“ beginnen zu strahlen, deutlich spürt man ihre Erleichterung über die freundliche Aufnahme.

Subtil beginnt das Stück von hinten, mit dem Schlussapplaus. Schon mal eine dicke Anerkennung dafür, sich im hohen Alter auf das Abenteuer dieses Tanzabends eingelassen zu haben. Ursula Cain, eine kleine zerbrechliche alte Dame fängt an, uns aus ihrem Leben zu berichten. Seit siebzig Jahren lebt sie für, mit und durch den Tanz. Im Gegensatz zu Ihren drei Mitstreitern hat sie es bis heute geschafft sich in allen Lebensaltern die Beschäftigung mit dem Tanz zu ermöglichen, zuerst als Solotänzerin, danach aufgrund eines „unverschuldeten Bühnenunfalls“ als Tanzpädagogin. Die pulsierenden Hintergrundgeräusche gehen in eine rhythmusbetonte Musik über, ein erstes warming up auf der Bühne. Siegfried Prölß´ Vortrag ist stockender, er sucht und ringt nach Worten. Als er am Ende seine drei Windhunde erwähnt, ist die Unsicherheit aus seinem Gesicht gewichen. Jeder sitzt jetzt auf einem Stuhl auf der Bühne, flächenhafte moderne Musik wird von flimmernden insektenhaften Geräuschen untermalt. Die vier Tänzerinnen und Tänzer beginnen sich zu strecken und zu rekeln, zeigen ihre Fäuste.

Eine wunderbare Idee: vier ehemalige Mitglieder des Leipziger Balletts, inzwischen dreiundsechzig bis neunundsiebzig Jahren alt, noch mal zusammen auf die Bühne zu bringen. Heike Hennigs Choreografie musste sich auf die (verbliebenen) physischen Möglichkeiten der Tänzerinnen und Tänzer einlassen. Die Bewegungen erzählen also nichts über eine „geistreiche“ Choreografie. Die Personen selbst kommen „zu Wort“, ihre Charaktere, ihre Geschichten werden Gestalt. Ursula Cain erreicht die höchste Präsenz auf der Bühne, in mehreren Soli lässt sie die Zuschauer den Atem anhalten – hochkonzentrierte oft flüchtige Bewegungen. Die bange Frage „Hoffentlich hält sie das durch?“ steht im Raum, zusammen mit Horst Dittmann tanzt sie später einfache Figuren, bei den Hebungen ist ihr der Schmerz deutlich ins Gesicht geschrieben. Die moderne Musik vorwiegend mit percussivem Lounge-Charakter, erinnert in weiten Strecken an die Wiener Clubszene um Kruder/Dorfmeister. Sehr subtil auch hier eine Botschaft: seht her wir sind noch da und interessiert an neuen Entwicklungen. Gesteigert wird diese Botschaft in der letzten Szene zu Bachs Brandenburgischem Konzert. Völlig ausgelassen, ja bei Horst Dittmann sogar ein wenig flapsig lässt man diese „alte“ Musik über sich ergehen. Das Ende kommt dann ein wenig plump durch einen inszenierten Ausfall von Ton und Licht. Großer Applaus und Blumensträuße in einer für das Kellertheater wohl sicher noch nie da gewesenen Anzahl.
Heike Hennig ist ein berührender Abend gelungen. Mit dem denkbar simplen Ansatz die Tänzer von einst wieder auf die Bühne zu heben, ergibt sich wie von selbst eine Vielzahl von spannenden Themen. Die Lebensläufe dokumentieren authentisch das harte Leben von Profitänzern, die nach vielen Jahren Ausbildung und Training gerade mal 10 bis 15 Jahre Zeit haben ihren Beruf auszuüben. Danach müssen sich die meisten etwas anderes suchen, da ja nicht jeder Tanzpädagoge werden kann. Auf der anderen Seite ist das Stück ein charmantes Ausrufezeichen gegen einen gedankenlosen Jugendlichkeitswahn. Dass sich die „Altchen“ nicht zurückdrängen lassen müssen, uns „Jungchen“ noch viel erzählen können, haben die vier heute beeindruckend unter Beweis gestellt. Ohne den „Schutz“ von technisch-jugendlicher Perfektion, von auch so aufregenden Kostümen und ohne ein schickes Bühnenbild haben sie uns gezeigt wie man durch konzentrierte Bewegungen spannende Geschichten erzählen kann.


(Steffen Kühn)

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