MaerzMusik 2006: „L\’Amour de loin” von Kaija Saariaho, dirigiert von Kent Nagano (Steffen Kühn)

MaerzMusik in Rahmen der Berliner Festspiele 2006

„L’Amour de loin“ (2000)

Oper von Kaija Saariaho (geb. 1952)
Libretto von Amin Maalouf

Konzertante Aufführung mit einer medienkünstlerischen Gestaltung
von Jean-Baptiste Barri?re

Deutsches Sinfonieorchester Berlin
Kent Nagano – Dirigent

Samstag, 4.03.2006, 20 Uhr
Haus der Berliner Festspiele


Auftakt MaerzMusik 2006

Während ihres Studiums in Helsinki war Kaija Saariaho Mitbegründerin der Gruppe „Korvat auki“. Was übersetzt soviel wie „Ohren auf“ bedeutet, war den Studenten an der Sibelius-Akademie Programm. Neue Hörerlebnisse einem breiten Publikum bekannt zu machen, war das mit missionarischem Eifer verfolgte Ziel. Nach Studien in Freiburg i. Br. und Teilnahme an den Darmstädter Ferienkursen landete Kaija Saariaho 1982 am ICRAM in Paris, wo sie seitdem lebt und arbeitet. Bei ihren ersten Kompositionen wurden die Ohren der Zuhörer meist durch eruptive klangliche Strukturen geöffnet. Ihre ersten großen sinfonischen Werke „Du cristal“ und „….? la fumée“ aus dem Jahr 1990 sind funkensprühende Partituren. Chaos und Ordnung werden gegeneinander ausgespielt, die klanglichen Momente, die Farbigkeit der Komposition stehen im Vordergrund. Eine von konkreten Naturphänomenen wie Feuer, Kristallen oder Polarlichtern inspirierte Musik, man sprach damals von „spektraler“ Kompositionsweise. In den letzten Jahren tauchen in ihren Kompositionen immer öfter melodische Linien auf. Mit Ihrer ersten Oper ist sie fast bei einer Art Klassizismus angelangt.

Kent Nagano dirigierte bereits die Uraufführung von „L’Amour de loin“ zu den Salzburger Festspielen im August 2000. Auch Kaija Saariaho ist heute wieder zugegen, um die Aufführung ihrer bisher einzigen Oper zu verfolgen. Das Publikum ist zahlreich, allerdings hätten noch gut zweihundert weitere Neue-Musik-gierige die „Ohren auf“ sperren können.
Das Libretto von Amin Maalouf hat alles, was ein klassischer Opernstoff braucht: zuallererst die Liebe, natürlich unerfüllbar. Dann Verzweiflung und Verwirrungen, am Ende der Tod. Jaufré Rudel ein französischer Prinz und Troubadour ist am Leben verzweifelt, er fühlt sich nutzlos, im immer gleichen Alltag gefangen. Erzählungen von der Gräfin von Tripolis – Clémence lösen in ihm eine schwärmerische Liebe zu der Unerreichbaren aus. Clémence erfährt durch den Bericht eines Pilgers von ihrem fernen Verehrer. Als sich Jaufré auf die Reise zu ihr macht, ist sie entzückt und entsetzt zugleich. Jaufré allerdings erkrankt auf der langen Schiffsreise vom Okzident in den Orient und stirbt in den Armen der Angebeteten.

Der Plot verläuft völlig linear, das einzig Überraschende daran, dass er nicht überraschen kann und will. Ähnliches lässt sich auch über die Komposition sagen. Handwerklich zwar äußerst exzellent können nur wenige Momente wirklich fesselnde Spannung erzeugen. Mit flächigen gestrichen Strukturen beginnt der erste Akt. Daniel Belcher als Troubadour, leider durch eine Erkältung geschwächt hat es schwer, sich gegen das Orchester zu behaupten. Den Chor, im ersten Akt ausschließlich Männer, hält Nagano schon subtil im Hintergrund. Gegen diese in allem doch sehr zarten Strukturen kontrastieren erfrischende Harfenfiguren, durch Assoziationen an höfische Lautenmusik erhält die Handlung ihren Ort. Der zweite Akt im Orient: Clémence im Dialog mit Frauenchor – ihrem Hofstaat. Magali de Prelle nutzt die zurückhaltende Partitur für eine eindrückliche Darstellung der Gräfin von Tripolis, sicher und stimmlich sehr ausdrucksstark erfüllt sie die Figur auch szenisch mit Leben. Auch hier erhält der Plot durch Anleihen an arabischer Musik einen geografischen Rahmen. Die insgesamt nicht überzeugenden Videoprojektionen übersetzten das wenig überraschend in grafische Muster oder Bilder von Wüstenpalästen.

Nach der Pause beginnt der finale vierte Satz und endlich bekommt die Partitur die erwartete impulsive Kraft. Fanfarenhaft beginnen die Trompeten. Zur stürmischen Fahrt des Troubadours über das Meer steuert der Chor nur Laute und Geräusche bei, wird Teil der Instrumentierung, unterbrochen nur von eruptiven Aktionen. Wie eine Kompassnadel gibt eine rhythmische Cellostruktur der dichten dynamischen Musik eine Richtung. Nagano steuert sichert durch sich entfernende und wieder annähernde Figuren unterstützt jetzt von einem ausgezeichneten geschlossenen Chor. Das Ende eine eindrückliche Anrufung Gottes, Magali de Prelle verleiht der Verzweiflung von Clémence eine kribbelnde Präsenz.

Mit „L’Amour de loin“ hat sich Kaija Saariaho von ihren Anfängen weit entfernt. Die einst splitterhafte spannungsgeladene Musik ist akademisch-höflich geworden. „Korvat auki“ möchte man ihr zurufen, zurück zu den Anfängen, wo ihre Musik die postmoderne Lebenswahrnehmung unserer Zeit reflektierte und den Zuhörer etwas anging.

(Steffen Kühn)

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