Das vergebliche Warten auf die Jugend

Das 3. Leipziger Jugendorchester-Konzert spricht die Jugend nicht an

Der Gewandhausdirektor Andreas Schulz freut sich im Grußwort auf ein junges Publikum: „Gleichaltrige spielen für Gleichaltrige und lassen erkennen, dass klassische Musik nicht langweilig und verstaubt ist, sondern höchst emotional und lebendig.“ Ganz auf geht das dann nicht: dem jungen Waseda Symphony Orchestra sitzt im nur halb gefülltem Gewandhaus die ewig gleiche alte Generation gegenüber. Was an sich nicht schlimm ist, nur wünscht sich immer irgend jemand, dass die Jugend den Weg in die Konzertsäle findet. Zumindest das heutige Programm passt zum Altersdurchschnitt des Publikums: „Don Juan“, Richard Strauss´ erster großer sinfonischer Wurf aus dem Jahre 1888, Igor Strawinskys „Sacre“, erregte zur Uraufführung 1913 bekanntermaßen die Gemüter, auch Strauss´ „Salome“ polarisierte 1905 die Musikwelt. Zwischen „….perverser Musik….“ und eine „…..revolutionäre, geistsprühende Musik in einer selbstverständlichen Schönheit…..“ urteilten damals die Rezensenten. Am Ende dann, und wie üblich an den Schluss des Abends „verbannt“, heutiges Musikschaffen: Maki Ishiis „Mono Prism“ aus dem Jahr 1976.

Auch Hortensia Völkers, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, weiß in ihrem Grußwort, dass „Orchestermusik unter jungen Menschen ein hohes und zur Zeit sogar deutlich wachsendes Ansehen“ genießt. Sie sieht sogar einen weltweiten Boom der Jugendlichen auf alte und neue Musik. Na wenn das mal gut geht! Millionen von Jugendlichen stürmen die klassischen Konzertsäle. Jetzt muss sie uns nur noch sagen wo sie die vielen Jugendlichen in den Konzerthäusern gesehen hat und vor allem, wo sie die Musik gehört hat, welche die heutige Jugend etwas angeht. Handelt es sich bei Völkers blumigen Worten etwa nur um eine Vision? Dann sollte sie dies auch so rüberbringen! Was nützt es die Augen vor den immer leerer werdenden Konzertsälen zu verschließen und die aktuellen statischen Erhebungen zu ignorieren, die einhellig konstatieren, dass sich die Jugend aus dem bürgerlichen Konzertleben stetig zurückzieht.

Am heutigen Abend sind die hehren Ansätze die Jugend zu erreichen erst mal grandios gescheitert! Weswegen sollten sich junge Menschen auch für das heutige Programm interessieren? Mit ihrer Weltwahrnehmung hat diese Musik nichts gemein, bestenfalls im historischen Sinne können die Stücke interessieren, doch das setzt schon mal ein gutes Stück Interesse voraus, welches ja gerade erst durch Veranstaltungen wie diese geweckt werden soll. Wie man es anders und besser macht, hat Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern gerade mit dem auch heute gespielten „Sacre“ in Berlin eindrucksvoll demonstriert. Jetzt geht es nicht darum, solch ein Leuchtturmprojekt mit dem anschließenden Kinoerfolg „Rythm is it“ kopieren zu wollen. Es geht um den Ansatz! Das Reflektieren und Nachdenken um Inhalte eines Jugendorchesterzyklus´. Was nützt ein mit viel Geld der Kulturstiftung des Bundes gefördertes Prestigeprojekt, wenn sich am Ende nur die beteiligten Institutionen und Personen im Spiegel ihrer Hochglanzbroschüren sonnen.

Zumindest das letzte Stück hätte das Zeug gehabt die Jugend zu erreichen. Das 1976 von Maki Ishii komponierte „Mono-Prism“ verbreitet visuell etwas von japanischer Kulturtradition. Sieben Trommler lässt er vor dem Orchester niederknien, Zwei wechseln im Laufe des Stücks zu einer hinter dem Orchester thronenden Riesentrommel. Es beginnt das Orchester mit einer dunklen sich aus der Tiefe entwickelnden Grundstimmung. Am Höhepunkt bricht die Musik ab, nach einer Pause beginnen die Trommler. Die sehr hellen Trommeln erzeugen vorerst nur eine zarte Stimmung, wie Geräusche von Regentropfen, allmählich wird die Dichte und die Intensivität gesteigert. Das Orchester mit großem percussivem Klangapparat reagiert auf die rhythmischen Figuren. Fernöstliche Ritualmusik trifft abendländisch tradierte Konzertmusik. Kiyotaka Teraoka gelingt es sehr gut, die grundsätzlich verschiedenen Ansätze transparent werden zu lassen. Äußerste Konzentration auf elementare klangliche Ereignisse auf der einen und sinfonisch geprägte strukturelle Entwicklungen auf der anderen Seite. Zum Teil verschwinden aber auch die Gegensätze, sich in winzigen Verschiebungen entwickelnde Rhythmen erinnern dann wieder an westliche Neutöner wie Xenakis oder Reich. Sehr, sehr anregend dieses Stück, up to date ist es auch noch, MaerzMusik – das Festival für aktuelle Musik, welches gerade in Berlin stattfindet, hat in diesem Jahr Japan als Schwerpunkt gewählt.

Immerhin ein zarter Ansatz könnte man meinen, doch gerade dieser Ansatz, je Programm ein modernes Stück ansonsten die guten alten bekannten Klassiker, hat die Jugend aus den Konzertsälen getrieben. Gewiss wird auf der anderen Seite auch mal das Publikum durch akademisch sterile Neue Musik verärgert. Wie hat man doch gleich über „Salome“ geurteilt: „……perverse Musik…….“. Doch die Möglichkeit des Scheiterns ist ein immanenter Bestandteil von Kunst, ja unterscheidet sie erst vom (Kunst)Handwerk. Und manchmal ändern sich ja auch die Urteile und Meinungen, siehe „Salome“.

Jugendorchester im Gewandhaus – Konzert 3

Richard Strauss (1864-1949)
Don Juan op. 20

Igor Strawinsky (1882-1971)
Le Sacre du Printemps

Richard Strauss
Salomes Tanz

Maiki Ishii
„Mono Prism“
Für japanische Trommeln und Orchester

Waseda Symphony Orchestra Tokyo
Kiyotaka Teraoka, Leitung

Mittwoch, 8.03.2006, 20 Uhr, Gewandhaus, Großer Saal

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