„I\’m into Murders and Executions!”: Bret Easton Ellis liest in Leipzig (Roland Leithäuser)

Leipziger Buchmesse 2006:
Bret Easton Ellis liest aus „Lunar Park“
Deutsche Fassung: Alexander Radenkovic
Moderation: Stefan Maelck
Haus des Buches Leipzig, Großer Saal
Samstag, 18.3.2006

Bret Easton Ellis: „Lunar Park“. Roman
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006
? 22,90

Bilder: © Kiepenheuer & Witsch, Michael Oreal


Die Geister, die er rief
Denn alles will Kontrollverlust: Bret Easton Ellis in Leipzig

Die eigentliche Überraschung des Abends liefert das Leipziger Lesepublikum: vorab als ein Höhepunkt der diesjährigen Bücherschau angekündigt, füllt sich der Große Saal des Haus des Buches am Buchmessensamstag um kurz nach 20 Uhr gerade einmal zu zwei Dritteln. Mehr Enthusiasten sind nicht erschienen, um einen der wahren Popstars des zeitgenössischen globalen Literaturbetriebs lesen zu hören und zu sehen. Bret Easton Ellis hat es mit Anfang Vierzig bereits in den Dichterolymp geschafft, spätestens seit seinem höchst umstrittenen Roman „American Psycho“ (1991) gilt er als einer der ganz großen amerikanischen novelists, provokativ, bildreich und immer mit einem Ohr an Mainstream wie Gegenkultur seiner Zeit.

Nach Leipzig hat er seinen neuen Roman „Lunar Park“ mitgebracht, den ersten seit „Glamorama“ (1998) und einen vordergründig autobiographischen. Mit etwas Verspätung trifft der Großmeister ein. Etwas müde wirkt Ellis, der immer wie ein großes Kind aussieht, pausbäckig und mit verschmitztem Lächeln. Der Publizist Stefan Maelck hält sich nicht mit großen Einführungen auf und erteilt Ellis und dem Schauspieler Alexander Radenkovic, der aus der deutschen Übersetzung von „Lunar Park“ lesen wird, ohne Umschweife das Wort. Was folgt, ist eine Lesung der unaufgeregten Art. Ellis liest einzelne Kapitel aus dem Roman, schickt einige Worte der Erläuterung voraus, Radenkovic komplettiert die Abschnitte in der deutschsprachigen Fassung. Worum geht es? „Lunar Park“ handelt von dem Schriftsteller Bret Easton Ellis, der im Alter von 21 Jahren zum Wunderkind der amerikanischen Gegenwartsliteratur avancierte, als er sein Debüt „Less than Zero“ („Unter Null“) vorlegte, einen Roman über reiche kalifornische High-School-Kids, die sich zur Weihnachtszeit in ihrem Heimatort in wilden Drogen- und Sexexzessen ergehen, tatsächlich aber doch nur auf der Flucht sind vor dem Erwachsenwerden, der wachsenden Verantwortung, der buchstäblich tödlichen Langeweile, die ihr Leben ausfüllt. Dieser Bret Easton Ellis ist nach weiteren Romanerfolgen wie „The Informers“ („Die Informanten“), dem Skandalerfolg „American Psycho“ und dem vorläufig letzten Roman „Glamorama“ an einem Tiefpunkt seiner Karriere angelangt. Jahrelange Drogen- und Alkoholabhängigkeit haben deutliche Spuren hinterlassen, die familiäre Situation mit dem ehemaligen Model Jayne Dennis und den beiden Kindern Robby und Sarah gestaltet sich schwierig, die Arbeit an dem neuen Roman „Teenage Pussy“ kommt nicht so recht voran. Dazu kommt die immer noch unverarbeitete Beziehung zu dem verstorbenen Vater und das Verschwinden kleiner Jungen in dem kalifornischen Suburbia nahe L.A., das sich der Autor zur Heimat erkoren hat. Ellis schwankt zwischen Euphorie und Depression, begibt sich in Therapie und in eine Liaison mit einer Studentin an dem College, wo er zeitweise Kurse für Kreatives Schreiben erteilt. Plötzlich tauchen auch noch Protagonisten seiner früheren Romane in seinem Umfeld auf. Ein Schriftsteller am Abgrund?

Mitnichten. „Lunar Park“ begeht zwar einen Tabubruch, indem der Autor scheinbar sein eigenes Leben zum Sujet erhebt, doch welcher Schriftsteller tut das streng genommen nicht? In Ellis‘ Fall ist die Lage noch komplizierter, da die Grenzen zwischen Realität und Fiktionalität permanent verwischt werden. Viele Stellen des Romans enthalten durchaus biographisch verbürgte Züge. Dann wieder ist der Bret Easton Ellis in „Lunar Park“ verheiratet, hat zwei Kinder und einen Hund (von dem im Laufe des Abends noch zu sprechen sein wird), ist stark übergewichtig, hat ein veritables Suchtproblem und einen regelrechten kreativen Block. Der Autor hinter dem Werk gibt unumwunden zu, dass er homosexuell, weder liiert noch Halter eines Haustiers ist. Warum dann aber der literarische Einfall, einen Roman über Bret Easton Ellis zu schreiben. Die Lösung, so stellt sich im Gespräch mit Stefan Maelck im Anschluss an die Lesung heraus, hat mit einer literarischen Hommage zu tun – und dem ureigensten Instinkt eines guten Schriftstellers.

Die Fragen Maelcks sind zwar wenig pfiffig, doch nimmt Ellis den groben Faden gerne auf und gibt dabei Einblick in die Werkstatt des Autors: der im Roman auftauchende Schriftsteller Jay McInnery, enger Freund auch des realen Bret Easton Ellis, sei gar nicht glücklich darüber gewesen, in „Lunar Park“ aufzutauchen. Ellis wiegelt ab: der Freund habe ihm inzwischen vergeben, und im übrigen sei es doch harmlos, ein Roman sei zuallererst Fiktion und stets eine Auseinandersetzung auch mit dem persönlichen Umfeld des Autors – mit dem Unterschied, dass „Lunar Park“ keine Chiffren für das Autobiographische verwendet und es mitunter grob überzeichnet. Das will Herr Maelck, der immerhin berichten kann, einst das College, an dem Ellis studierte, besucht zu haben (Bennington College, Vermont – bei Ellis ist stets von „Camden College“ die Rede), nun aber genauer wissen. Die Tatsache, dass in „Lunar Park“ manche Figur aus Ellis‘ früheren Werken, so der Investmentbanker und Serienkiller Patrick Bateman wieder auftauchten – sei dies als Hinweis zu verstehen, der Autor fühle sich von den Protagonisten seiner Werke regelrecht verfolgt? Ellis wirkt leicht indigniert: Es gehe doch jedem Schriftsteller von Zeit zu Zeit so, dass seine Romanfiguren eine Art Eigenleben entwickelten. Zwar beunruhige ihn bisweilen die extreme Popularität gerade der Figur des Patrick Bateman, doch könne er auch damit leben – „I’ll get over it!“
Maelck hat Blut geleckt: Ist „Lunar Park“ ein Buch über Kontrollverlust? Man meint, Bret Easton Ellis schmunzeln zu sehen: „Alle meine Bücher handeln vom Kontrollverlust.“

Es geht noch eine Weile so weiter. Stefan Maelck fragt höflich, Ellis antwortet höflich, doch eigentlich reden sie aneinander vorbei. Spannend wird es erst am Schluss: tatsächlich gibt Ellis gerne zu, dass die Lektüre von „Lunar Park“ an so manche Romane von Stephen King erinnere, in denen Schriftsteller von merkwürdigen Erscheinungen und gar ihren eigenen Romanfiguren heimgesucht werden. Es habe ihn schon als kleiner Junge gereizt, so Ellis, einmal einen „Stephen-King-Roman“ zu schreiben, weil er Kings Werke sehr mochte. So habe er es eben getan, und nun werde er sich einer Fortsetzung des Debütromans „Unter Null“ widmen: „Ich las es jüngst wieder, zwanzig Jahre nach seinem Erscheinen – und mochte es. Also stellte ich mir vor, wie es wäre zu beschreiben, was aus den Menschen von damals geworden ist.“

Ehrfurchtsvoller Applaus folgt und der Dank vom Literaturhaus Leipzig in Gestalt einer Flasche sächsischen Weins, den der Überbringer mit einem persönlichen Wort an den Schriftsteller „Bret Easton Ellen“ darbrachte. Unruhe im Publikum, doch der Gefeierte nahm auch dies gelassen hin. Auf seiner Homepage schreibt Ellis dieser Tage über Lesereisen: „Niemand hat behauptet, dass es leicht sei, ein Bret Easton Ellis Fan zu sein.“ Bret Easton Ellis zu sein, vielleicht aber auch nicht immer!

(Roland Leithäuser)

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