Scheitern als Chance: Paolo Fusis vortreffliches Buch über das Versagen (Tobias Prüwer)

Paolo Fusi
„Prominent Scheitern“
KöPaVerlag
Erfurt 2005
240 Seiten
12,99 ?
www.koepaverlag.de


Kleine Kartographie des Versagens – Paolo Fusi: „Prominent Scheitern“

„Ich weiß keinen besseren Lebenszweck, als am Großen und Unmöglichen zugrunde zu gehen…“
Friedrich Nietzsche

„Erfurt, Rom, Washington, Paris, Zürich, Locarno, Menaggio und zurück“ – In seinem Buch „Prominent Scheitern“ beschreibt Paolo Fusi einen weiten Bogen des menschlichen Misslingens. Der Autor ist viel herumgekommen in seinem Leben, und davon zeugen seine Geschichten. Der „unheilbare Trottel“ (Selbstbezichtigung) entführt in ein biographisches Panoptikum und breitet eine Flut von Anekdoten aus, die betrüblich-traurig, absurd und aberwitzig und doch auch heiter sind. Denn sie zeigen Allzumenschliches und berichten von unseren Versuchen, Spuren zu hinterlassen, welche die eigene Existenz ausstaffieren und überleben sollen.

So sind in faktisch-fiktionaler Mischung furiose Geschichten entstanden, die nicht immer wahr, aber immer wahrhaftig sind. Schließlich sind die Geschichten über Menschen immer spannender als das Leben selbst, das sich zumeist im Alltagsbanalen bewegt und von Monotonie durchwirkt ist. Dabei verleiht gerade Fusis eingeschriebene Subjektivität den Erzählungen pralle Vitalität. Sie handeln von Prominenten, aber auch von Unbekannten, die wohl ohne das Buch niemals zu einer ISBN-Nummer gefunden hätten – und immer wieder von Fußball. Man begegnet Menschen wie John Garcia, dem Stoned-Rock-Sänger von Unida, und einem Wirtschaftsjournalisten, der versehentlich Space-Cookies verzehrte. Fusi informiert über die personellen Strukturen des Großkapitals und den zarten Beginn mafiösen Erfurter Filzes in Form einer Politesse und ihres im Abschleppgewerbe tätigen Mannes. Er schildert, wie Berlusconis Mutter den Medienmogul mit der Lega Nord versöhnt und eine „Partei der Liebe“ am rechten Rand etabliert, und nimmt das Gehabe jener bourgeoiser Linken auf’s Korn, die nur zu gut die Machtgelüste ihrer vermeintlichen Gegenparts im konservativen Lager spiegeln. Besonders schön ist eine Episode, in der Fusi seiner Tochter die Erhaltung der Demokratie am Beispiel von Fischstäbchen erklärt.

Die Anekdoten karikieren insbesondere deutsche, italienische und schweizerische Befindlichkeiten. Sie thematisieren großspurige Verklemmtheit, Hybris und Wirklichkeitsverlust und beruhigen, weil auch die Mächtigen genauso rasch scheitern können wie alle anderen. Man möchte sich bei vielen der dargestellten Gescheiterten dem Urteil des Richters anschließen, der den Skifahrer Alberto Tomba von der Verantwortung an einer Steuerhinterziehung freisprach: durch „Idiotie begründete Unwissenheit über jegliche Grundlage des sozialen Lebens.“

Paolo Fusi dekliniert die Formen des Scheiterns durch und präsentiert eine kleine Kartographie des Versagens. Eine systematische Untersuchung sollte sich dieser empirischen Bestandsaufnahme unbedingt anschließen. Nicht, um dem Scheitern therapeutisch beizukommen, sondern um ihm jenen prominenten Platz endlich auch wissenschaftlich zuzuweisen, den es in unser aller Leben doch längst einnimmt. Auch wenn manche Geschichte nicht ganz aufgeht: „Prominent Scheitern“ ist ein Buch voller Hintersinn, beißender Ironie und fröhlichem Sarkasmus. Neben den amüsanten Anekdoten ist das Buch eine sehr persönliche Hommage an das Leben und an die biographischen Brüche, die unsere Existenz erst ausmachen. Weil Erfolge zwar schön, aber zuweilen weniger relevant als das Misslingen sind: „Weil das Leben an sich zählt. Weil Scheitern, sich wehtun, sich zu spüren, ein Zeichen des Existierens ist, Zeichen und Spuren von sich selbst zu hinterlassen.“

(Tobias Prüwer)

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