Klassenziel erreicht: „Der schwarze Mönch” nach Tschechow als Uraufführung in Leipzig (Steffen Kühn)

„Der schwarze Mönch“
Oper in acht Szenen nach der Erzählung von Anton Tschechow

Musik Philippe Hersant
Libretto Yves Hersant
Deutsch von Bettina Bartz und Werner Hintze

Uraufführung
Auftragswerk der Oper Leipzig

Musikalische Leitung:Axel Kober
Inszenierung:Tatjana Gürbaca
Bühne, Licht:Klaus Grünberg
Kostüme:Florence von Gerkan

Andrej:Tuomas Pursio
Tanja:Marika Schönberg
Pessotski:Martin Petzold
Mönch:Ulrich Dünnebach
Tanja als Mädchen:Rosalyn Stürzer

Herren des Chores der Oper Leipzig
Gewandhausorchester / Akkordeon Jean Pacalet

Samstag, 7.05.2006, 20 Uhr
Oper Leipzig

Klassenziel erreicht!

Endlich! Die erste Uraufführung in der fünfjährigen Intendanz von Henri Meier. Er selbst ist danach, in seiner Ansprache sichtlich erregt. Er beschwört die Schönheit der Oper im allgemeinen, das phantastische Leipziger Publikum im speziellen und das „großartige Uraufführungsteam“ und seinen langjährigen Freund „Philippe“. Zum Stück sagt er außer „dass wir das gerne in Deutsch haben wollten“ nichts!

Andrej, ein Philosoph und Lebenskünstler, kehrt nach Jahren in seine Heimat zurück. Tanja das Mädchen ist eine Frau geworden. Gemeinsam mit ihrem Vater Pessotski pflegt sie einen wunderbaren Garten. Tschechow und die Gärten! Der Garten im „Kirschgarten“ ist Ausdruck einer bestimmten Zeit, steht für die untergehende Epoche der philanthropischen Adligen. Der Garten im „Mönch“ ist Metapher für Schönheit und Beständigkeit, er steht für sich – zeitlos und als materieller Gegenentwurf zur philosophischen Welt Andrejs.

Die Bühne in einen Garten zu verwandeln, lag auf der Hand, einen zeitlosen look zu finden auch. Klaus Grünberg hat eine absolut statische, hügelige weiße Landschaft mit weißen Kugelbäumen erfunden. Überraschend, aber nicht überzeugend ist das, außerdem entsteht eine unfreiwillige Komik, wenn Pessotski seinen einzigartigen Garten beschwört, der heute eher an eine vereiste Skipiste erinnert. Tatjana Gürbaca ist nach eigenen Bekunden nach anfänglichen Schwierigkeiten sehr gut mit dem Stoff zurechtgekommen. Für jede Figur gibt es mehrere Doubles: Tanja das Mädchen, Tanja die junge Frau, Tanja Andrejs Ehefrau. Nebeneinander sind die verschiedenen Bilder von Tanja präsent. Mit diesem Kunstgriff gelingt es ihr auch, neben der inhaltlichen Spannung, eine lebendige Choreografie zu entwickeln. Der Nachteil dieser Konzeption: die Figuren werden auf die visuell gebotenen „Schubladen“ reduziert, Zwischentöne und Entwicklungen gehen verloren. Höchst reizvoll ist, dass genau an diesem Punkt die Musik Philippe Hersants ansetzt.

Hersants Musik ist sehr assoziativ, Klang und Harmonie stehen im Vordergrund seiner Debussys oder auch Janaceks verbundenen Tonsprache. Im „Schwarzen Mönch“ spielt er mit dem Wiedererkennungswert bekannter Melodien. Fürst Gremins Ansprache an Eugen Onegin über die Liebe auf Erden wird eins zu eins zitiert. In der Erinnerung der Figuren werden diese musikalischen Bilder dann verfremdet wiederholt. So wie es von einem Ereignis immer so viele Sichtweisen wie subjektive Berichte darüber gibt, erfährt die Geschichte schon Veränderungen in der bloßen Beschäftigung mit ihr. Das ist interessant, unterhaltsam und handwerklich sehr gut ausgeführt. Die klassische Instrumentierung des Orchesters ist durch ein Akkordeon erweitert, mit dem Auftreten des Mönchs verknüpft entwickeln sich um das Akkordeon aktuelle musikalische Momente, wirklich überraschen im modernen Sinne möchte Hersant damit aber nicht.

Der schwarze Mönch ist das schlechte Gewissen Andrejs: „Die wirkliche Freude gewinnst Du durch Erkenntnis“. Doch der Charme Tanjas ist vorerst stärker. Zu groovigen Melodien lockt sie ihren Andrej zum Tanz. Marika Schönberg überzeugt nicht nur stimmlich an diesem Abend, szenisch sehr intensiv werden zu jazzigen Elementen auch mal die Hüften geschwungen. Andrejs Rolle ist eine Schwierige, sie lebt mehr in den Reflexionen der Anderen, wie unterschiedlich gekrümmte Spiegel zeichnen die Figuren verschiedene Bilder Andrejs. Umso erstaunlicher ist, welche Intensität Tuomas Pursios als Andrej erreicht. Die Zerrissenheit zwischen der Kunst und dem Leben, die Gefahr im Erreichen von Glück eigentlich zu scheitern alles Themen, welche Pursio plausibel auf die Bühne bringt. Martin Petzold als Pessotski wird durch das eigenartige Bühnenbild fast auf einen Hofnarren reduziert. Er macht das aber ausgezeichnet, beim Publikum kommen seine verzweifelten Versuche „Idioten“ daran zu hindern, seinen Garten zu missbrauchen sehr gut an. Die tiefe Dimension der Rolle geht dabei allerdings verloren: der Garten als Metapher für Wiederkehr, für Leben und Sterben, die Beschäftigung mit Natur und Landschaft als kontemplative philosophische Erkenntnis! Weshalb die Inszenierung diesen Ansatz Tschechows ausblendet wird nicht deutlich.

Fazit, wie schon so oft in den letzten Jahren: Klassenziel erreicht! Henri Meier hat seine erste Uraufführung. Philippe Hersant hat eine Oper geschrieben, die sicher noch viele verschiedene Regieansätze verträgt und deshalb die Chance hat, den Weg in andere Häuser zu finden. Die Musik ist handwerklich exzellent und unterhaltend. Die deutsche Übersetzung hat die üblichen Verrenkungen ganz gut gemeistert, plausibel ist es nicht, auf der Grundlage einer russischen Novelle eine französische Oper zu schreiben, deren Uraufführung dann in deutscher Übersetzung gegeben wird. Die Regiekonzeption schafft inhaltlich und choreografisch eine spannende Inszenierung, welche sogar das hölzerne Bühnenbild verträgt.
Die Solisten, bis auf den Mönch alles Ensemblemitglieder, haben durch tolle Leistungen überzeugt. Das Gewandhausorchester unter dem designierten Musikdirektor der Oper Leipzig Axel Kober lieferte gewohnte Qualität, aber auch nicht mehr.

Reicht das alles zusammen für ein Haus, welches überregional in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist? Diese Fragen müssen sein, auch wenn sie Tatjana Gürbaca, dem Gast von außen verständlicherweise auf die Nerven gehen. Es wäre doch schlimm, wenn die Leipziger von ihrer Oper nicht das Allerbeste erwarten würden. Dass man das nicht immer erreichen kann ist ein immanenter Bestandteil von Kunst. Doch die Durststrecke dauert jetzt schon viele Jahre!

(Steffen Kühn)

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