Fäkalkomisch: Mozarts „Bäsle”-Briefe in einer szenischen und musikalischen Lesung (Ingo Rekatzky)

„Allerliebstes Bäsle Häsle“ – Mozarts fäkalkomische Briefkorrespondenz musikalisch und szenisch für das Kellertheater adaptiert

Idee, Szenische Einrichtung:Kathrin Göring
Musikalische Leitung:Hans-Georg Kluge
Choreographie:Mirko Mahr

Kellertheater der Oper Leipzig


„Ma tr?s ch?re Cousine!“ Diese und ähnliche Anredefloskeln sind dem Hörer der lokalen Kulturwelle nur zu gut bekannt, schließlich rauscht seit dem 1. Januar allmorgendlich ein Brief Mozarts durch den Äther und vermittelt ein glattgeschliffenes Komponistenbild, von dem man sich eigentlich im Verlauf des 20. Jahrhunderts allmählich verabschiedet hatte. Doch keine Sorge, die wegen ihres unnachahmlichen Charmes allseits bekannte und seit Jahren als Inbegriff des Wienerischen geltende Stimme ist im Kellertheater nicht zu vernehmen. Auch ließe sich Kathrin Görings mit „Allerliebstes Bäsle Häsle“ betitelte Inszenierung wohl kaum mit dem Morgenjournal eines öffentlich-rechtlichen Radiosenders vereinbaren, denn der aktuelle Beitrag der Leipziger Oper zu Mozarts 250. Geburtstag widmet sich dessen zärtlich-frivolen bis derb-unsittlichen Briefen an seine Augsburger Cousine Anna Maria Thekla Mozart, der Nachwelt besser bekannt als das „Bäsle“.

Rasch nach dem Tode eines Dichters oder Komponisten setzt mit der Legendenbildung auch die Kanondebatte ein, sodass meist zu Ungunsten des Jugendwerkes entschieden wird, was sich mit dem öffentlichen Bild des Verblichenen vereinbaren lässt und was eher nicht. Doch während man bereits in Mozarts frühen Kompositionen das junge Genie aufblitzen wähnt, tut sich die Nachwelt mit den zwischen 1777 und 1781 entstandenen „Bäsle-Briefen“, vom Verfasser bisweilen mit „Edler von Sauschwanz“ unterzeichnet, schwer. So hat Mozarts Gattin Konstanze die neun erhaltenen Briefe 1799 mit dem Hinweis an den Leipziger Verlag „Breitkopf & Härtel“ geschickt, dass „die freilich geschmacklosen, aber doch sehr witzigen Briefe an seine Base auch wohl eine Erwähnung, aber freilich nicht ganz gedruckt zu werden“ verdienen, wohingegen der gemeinsame Sohn Carl Thomas gar der „derben Späße halber“ eine Vernichtung der Briefe wünschte. Und selbst in der gesamtkritischen Mozartausgabe aus dem Jahre 1914 wurden „aus ästhetischen Rücksichten“ gar zu anrüchige Textstellen eliminiert, da sich die menschlichen, ja allzu menschlichen Bedürfnisse noch nicht mit dem Bild eines Genies vereinbaren ließen.
Somit scheint die Ankündigung, man wolle Wolfgang Amadeus Mozart unzensiert im „fäkalkomischen Klangraum“ ausfindig machen, ihre Wirkung nicht zu verfehlen, denn lange vor Einlassbeginn drängt das eher bürgerlich-situierte Publikum ungeduldig in Richtung Kellertheater, als könne man die in der musikalisch-szenischen Adaption der Bäsle-Briefe versprochenen Pikanterien kaum erwarten. Doch während sich einige Herren recht schnell über das Dargebotene amüsieren, rümpfen ihre um Contenance ringenden Gattinnen anfangs noch ob der dargebotenen Obszönitäten pikiert die Nase, bis auch sie letztendlich dem besonderen „Charme“ dieses etwas anderen Mozartabends erliegen. Zugegeben, die drei häufigsten Wörter der „Bäsle-Briefe“ sind „scheißen“, „Arsch“, „Dreck“, und über die Sprachspielereien würde man heute wohl kaum noch streiten, wenn der Verfasser nicht als eines der größten Genies der Musikgeschichte gälte. Doch dass diese Korrespondenz, in der neben den Briefen Strumpfband und Nachthaferl die bevorzugten Requisiten sind, weniger ordinär, denn vielmehr originell daherkommt, ist vorrangig Kathrin Göring zu verdanken, die nicht nur für Idee und szenische Einrichtung verantwortlich ist, sondern auch in der Rolle des Bäsles brilliert. Dass die Mezzosopranistin Göring eine der vielseitigsten Solistinnen des Leipziger Opernensembles ist, hat sie kürzlich mit einem überragenden Octavian erneut unter Beweis gestellt, so wie jetzt im Kellertheater durfte man sie auf der großen Bühne allerdings noch nie erleben: Im zartseidenen Nachtrock und viel Bein zeigend liest sie als Anna Maria Thekla Mozart bevorzugt vom Himmelbett aus die Briefe ihres immer populärer werdenden Vetters und verleiht diesen – mal durch kindliche Naivität, mal durch laszive Lüsternheit, aber stets freudig sich in das Geschriebene hineinsteigernd – eine subtile, ironische Reflexionsebene, sodass selbst der brummige Postmeister (Peter Makswitat) nach anfänglichem Kopfschütteln recht schnell dem Charme des Bäsles erliegt.
Maßgeblich beigetragen wird zu dieser Doppelbödigkeit natürlich durch die musikalischen Arrangements, geleitet von Hans-Georg Kluge am Hammerklavier und mit sichtlicher Freude unterstützt von Stefan Wünsch am Cello sowie Jürgen Rossberg am Fagott, wobei sich gerade letzteres Instrument als prädestiniert zur adäquaten Kommentierung der Mozartschen Kraftausdrücke erweist. Spielerisch und musikalisch ebenfalls hochmotiviert präsentieren sich Stanley Jackson (Wolfgang Amadeus Mozart), Hendrikje Wangemann (Konstanze Weber) und Erwin Noack (Leopold Mozart), die – selbst wenn die Rollenverteilung nicht immer aufgehen mag – zusammen mit Kathrin Göring in den überwiegend aus der Wiener Zeit stammenden Arien und Liedern die verschiedenen Facetten des schillernden Komponisten Mozart in ein interessantes Licht stellen: Sei es mit „Bona nox! Bist a rechter Ox“ (KV 561) oder „Liebes Mandel wo ist’s Bandel“ (KV 441) ein privater Blick ins Kämmerlein, sei es mit Taminos – signifikanterweise hinter einem goldenen Rahmen vorgetragener – „Bildnisarie“ die nicht ganz ernst gemeinte Pflege des lang tradierten Mozartbildes.
Dass die „Bäsle-Briefe“ nicht nur vor Fäkalwitz strotzen, neben allen dadaistisch-skatologischen Wortspielereien auch die zarten Aspekte der (Brief-)Beziehung zwischen Mozart und seiner Cousine nicht zu kurz kommen, versinnbildlichen vor allem die von Mirko Mahr mit Liebe fürs Detail choreographierten Einlagen. Ekaterina Tumanova und Christoph Böhm, sonst als Protagonisten zahlreicher Scholz-Ballette eher für den erhabenen Ausdruck zuständig, gestalten die koketten Liebesspiele mit einer augenzwinkernden Anmut, die selbst den sittenstrengsten Zuschauer mit den derben Stilblüten der Briefe versöhnt. Einziger Wermutstropfen: Dem Anlass angemessen, bewegen sich die beiden Tänzer überwiegend in Bodennähe, sodass aufgrund der Sichtbedingungen im Kellertheater eigentlich nur die ersten drei Reihen in den Genuss dieser im besten Sinne naiven Pas de deux‘ kommen.
Doch auch den leisen Zwischentönen, die Mozart in seinen Briefen ans Bäsle ausspart, bietet die Adaption genügend Raum. So wird nicht nur mittels eines nahezu kammermusikalischen Requiems Mozarts 1778 auf dem Höhepunkt der Briefkorrespondenz verstorbener Mutter gedacht, sondern auch im fulminanten Finale der Göring die Verletzlichkeit des scheinbar so unbekümmerten Bäsles gezeigt, nachdem mit der Ankunft in Wien bald die Stunde der Konstanze Weber zu schlagen beginnt (von Stanley Jackson und der triumphierenden Hendrikje Wangemann samt blinkendem Herz herrlich ironisch symbolisiert), was Mozart im letzten Bäsle-Brief vom Oktober 1781 nur beiläufig im Nachsatz erwähnt.

Freilich, wer Mozart nun wirklich war, kann und will die musikalisch-szenische Einrichtung der Bäsle-Briefe nicht klären, stellt aber neben der gelungenen Unterhaltung fernab von Mozartkugeln und „Kleiner Nachtmusik“ – nicht nur zum Mozartjahr – eine echte Bereicherung des Opernrepertoires dar. Bleibt zu hoffen, dass sich das Kellertheater auch weiter als Spielwiese für musikalische und szenische Experimente entwickelt, die vor allem in Korrespondenz mit den aktuellen Premieren ihren besonderen Reiz entfalten könnten. Vorerst aber bleiben nur noch zwei Aufführungen der „Bäsle-Briefe“ am 22. und 24. Mai.

(Ingo Rekatzky)

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