Denkanstöße

„Musica Nova” und der Leipziger Musikbetrieb geben Konzerte im Gewandhaus

I.
7. Rundfunkkonzert
Dienstag, 25. April 2006; 20:00 Uhr, Gewandhaus Großer Saal

Im spärlich besetzten Großen Saal des Gewandhauses finden sich neben dem betagten Stammpublikum (Abo?) nur ein paar Interessierte ein, die eher der Generation des heute dirigierenden Komponisten Müller-Wieland angehören und sich sichtbar auf die Neue Musik freuen. Gegenüber auf der Bühne ein eher trostloses Bild. Dienst nach Vorschrift! Ja, einige Musiker des MDR Klangkörpers tragen ihre Langeweile in den solistischen Passagen von Wielands Konzert für Violoncello offen zur Schau. Was mag so ein gutbezahlter MDR-Orchestermusiker wohl in solchen Augenblicken denken: „Was ist das denn wieder für´n Murks heute?“ oder „Warum hab´n die mir denn diesen Dienst heute übergebraten, na ja zum Glück kommt heute eh nichts in der Glotze“. Wie soll es der hochmotivierte Jan Müller-Wieland unter diesen Bedingungen knistern lassen, wie soll er es schaffen, Begeisterung für Neues zu wecken?

II.
MUSICA NOVA – JAPAN!
Mittwoch, 26.04.2006 – 20:00Uhr, Gewandhaus Mendelssohn-Saal

Einen Tag später im Mendelssohn-Saal: Steffen Schleiermacher hat wieder seine treue, aber kleine Musica-Nova-Gemeinde um sich gescharrt. Die Anzahl der Zuhörer scheint sich über die vielen Jahre, die Schleiermacher diese Reihe im Gewandhaus schon macht, nicht zu verringern. Immerhin! Deprimierend ist es trotzdem in dem ewig leerem Mendelssohn-Saal. So wie in einer leeren Kneipe das Bier nicht schmeckt, klingt ein leerer Saal eben anders. Da hilft auch der verschwörerische Eingeweihten-Blick nichts, den man bei diesen Veranstaltungen trägt. Die heutigen Diskussionen und Erläuterungen Schleiermachers und Harneits über das Programm dehnen den Abend in die Länge: „Wie japanisch ist dieser oder jener Komponist?“, „Hörst Du auch immer Messian bei Toru Takemitsu, also Cage höre ich da gar nicht, aber darüber können wir uns dann beim Bier streiten!“. Die lassen sich also im Anschluss das Bier schön schmecken, während wir uns nach dem anstrengenden Programm und den Mono- und Dialogen erschöpft nach Hause schleppen. Der didaktische Ansatz des Abends versäumt das einzulösen, weswegen man Musik eigentlich aufführt: berühren, verwirren, im besten Fall begeistern.

III.

Tatjana Gürbaca, Opernregisseurin der Uraufführung von der „Der schwarze Mönch“ von Philippe Hersant am 6. 5. 06 in der Oper Leipzig, wird im „Kreuzer“ auf die Frage nach dem Sinn von Uraufführungen, sprich Neuer Musik mit den Worten zitiert: „Philippe Hersant aber weiß, wie der Theaterbetrieb funktioniert, beim ´Schwarzen Mönch´ wird es keine flüchtenden Zuschauer geben.“ Keine flüchtenden Zuschauer kann heißen, dass keine Überraschungen zu erwarten sind. Auf verblüffende Weise beschreiben diese Worte von außen, Gürbaca ist international tätig, den Ansatz des hiesigen Musiklebens. Ja nicht wehtun, der Fokus immer schön aufs Mittelfeld: Neue Musik im Gewandhaus ist dann unter dem Chef Chailly mal ein Entdeckerkonzert mit Alban Berg, beim MDR ist es im Großen Konzert Müller-Wieland, ein Komponist mit einem ausgesprochenen klassisch-tonalem Ansatz. Auf der anderen Seite des Augustusplatzes in der Oper gibt es jetzt nach einer deutschen Erstaufführung die erste Uraufführung in fünf Jahren Amtszeit Henri Meier, „Flight“, als auch „Der schwarze Mönch“. – beides aber Stücke ohne experimentelle Ambitionen. Schleiermachers Programme sind da schon Leuchttürme was die Experimentierfreude angeht, nur erreichen diese Neuen Töne immer die gleichen (wenigen) Ohren.
Es wird endlich Zeit, eine Diskussion über Ziele und Inhalte des Leipziger Musiklebens zu beginnen. Öffentlich wahrnehmbar ist nur die ewig gleiche Budgetdebatte, es entsteht der Eindruck, Ziel der sogenannten Hochkultur ist es mit weniger Geld auszukommen, entweder durch Einsparungen oder durch Erhöhung der Auslastungszahlen. Aber das kann doch niemals das Ziel unserer Millionenschweren Hochkultur in Leipzig sein. Wo sind die künstlerischen Visionäre? Wo sind strukturelle Konzepte, um mit den schwindenden Mitteln umzugehen? Außer Schließen oder Fusionieren den immergleichen Reflexen fällt der Kulturpolitik scheinbar nichts ein.

IV.

Warum aber trotzdem immer wieder Moderne Musik?
Konzentriert lassen sich die Musiker der Sinfonietta Leipzig auf Toshio Hosokawas Komposition ein. Wenige (europäische) Instrumente – Violine, Cello, Querflöte, Klarinette und Percussion reichen Hosokawa, um verschlungene musikalische Gebilde zu zeichnen. Die Strukturen entwickeln sich nicht linear, kein Anfang und kein Ende. Eine Suche mit offenem Ausgang in einem sphärischen Raum. Johannes Harneit genießt die Rolle des Klangzauberers. Genüsslich lässt er in die Klänge hineinhorchen, lässt oszillierenden Strukturen in den Pausen genügend Zeit sich auszuschwingen. Töne oder Geräusche, harmonisch oder dissonant, tonal oder atonal diese Gegensätzen, diese Kontraste sind essentielle Mittel der europäischen Musiktradition. Hosokawas Annäherung an Musik ist in diesem Sinne völlig untradiert. Im Vordergrund stehen Bewegungen, Richtungen, der Umgang mit dem Klang als Instrument ist dabei völlig frei. Momente der konzentrierten Spannung entstehen beim Zuhörer. Immer wieder wird man überrascht und so bestens unterhalten.
Die Frage der Ästhetik ist da ebenso unerheblich wie die Frage, wie japanisch diese Musik ist, oder mit den Worten des heute anwesenden Atsuhiko Gondai: „I´m not interested in japanese music at all“. Diese Antwort überrascht dann auch Steffen Schleiermacher.

7. Rundfunkkonzert

Jan Müller-Wieland (geb. 1966)
Triptychon

Jan Müller-Wieland
Konzert für Violoncello und Orchester

Jean Sibelius (1865 – 1957)
„Tapiola“ Sinfonische Dichtung op. 112

Aribert Reimann (geb. 1936)
„Zeit-Inseln“ für Orchester – Deutsche Erstaufführung

MDR SINFONIEORCHESTER
Jan Müller-Wieland, Dirigent
Jens Peter Maintz, Violoncello

Dienstag, 25. April 2006; 20:00 Uhr, Gewandhaus, Großer Saal

MUSICA NOVA – JAPAN!

Joji Yuasa (geb. 1929)
Projection (1955)

Jo Kondo (geb. 1947)
Aquarelle (1990)

Toshio Hosokawa (geb. 1955)
A Song from far away – In Nomine (2001)

Atsuhiko Gondai (geb. 195)
Rapid Welcoming Descent (2003)

Jo Kondo
Three Songs from „New Buds on the Elderberry Tree“ (1992)

Toru Takemitsu (1930 – 1996)
Rain Coming (1982)

Sinfonietta Leipzig
Johannes Harneit, Leitung

Mittwoch, 26.04.2006 – 20:00Uhr, Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

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