„Leben in mir”, ein Film von Malgosia Szumowska (Josephine Heide)

Leben in mir
(Orig.-Titel: Ono)
Polen/D 2005, 95 Min.
Regie: Malgosia Szumowska
Drehbuch: Malgosia Szumowska, Przemek Nowakowski
Darsteller: Malgosia Bela, Marek Walczewski, Teresa Budzisz-Krzyzanowska, Barbara Kurzaj, Marcin Brzozowski, Andrzej Chyra
Kinostart: 29. Juni 2006Leben in mir – ein Film

„Ganz allein auf der Welt. Ich liebe dich.“
Stille. Dunkelheit. Ende. Was diesen letzten Worten Evas vorausgeht, sind 95 Minuten, die beeindrucken, erstaunen, erschüttern, begeistern.

Eva (Malgosia Bela) ist 22 und ohne Perspektive. Noch wohnt sie bei ihren Eltern – einer Mutter, die nie zuhört und einem Vater, der scheinbar nur Ohren für die Musik hat. Die Arbeit an einer Tankstelle frustriert sie. Das Leben scheint wie ein Zug an ihr vorbeizufahren, und irgendwie hat sie ihn verpasst, ihren Zug des Lebens. Etwas unbeholfen steht sie am Bahnhof und schaut ihm hinterher.

Und plötzlich ist Eva schwanger. Von einem Mann, der in ihrem Leben keine Rolle mehr spielt. Schockiert über diese Erkenntnis stolpert sie durch die Straßen. Eigentlich selbst noch ein Kind, will sie abtreiben. Doch das Schicksal, ein vermeintlich ärgerlicher Zufall, macht ihr einen Strich durch die Rechnung – das Geld für die Abtreibung wird ihr im Bus von einem seltsamen Fremden gestohlen. Und so konfrontiert sich Eva, völlig alleingelassen, mit einem Problem, das sich nicht so einfach „aus der Welt schaffen lässt“. Doch dann passiert etwas, dass sie davor bewahrt, zu verzweifeln – sie erlebt, dass ihr ungeborenes Kind sie hören kann. Fasziniert von dieser Erkenntnis verändert sich von einer Minute auf die andere alles für sie. Zunächst etwas zögerlich und unbeholfen, beginnt sie, ihrem Kind die Welt zu erklären. „Hallo Du. Ich bin Eva. Und ich bin deine Mama. Und ich will dir mal was von der Welt erzählen. Doch weiß ich nicht, wo ich anfangen soll.“
Auf eine unglaublich sensible Art und Weise wird hier gezeigt, wie Eva anfängt, die Welt, in der sie lebt, das Land, die Menschen, die Natur, alles, was sie umgibt, mit anderen Augen zu sehen und vor allem, „mit anderen Ohren zu hören“.

Und das Schicksal trifft sie ein zweites Mal. Der Fremde aus dem Bus, ein Junkie und Drogenkurier, begegnet ihr erneut und sie beschließt, es sich zur Aufgabe zu machen, ihm die schönen Dinge des Lebens zu zeigen, ihn dafür zu sensibilisieren, ihm Mut zu machen. Dabei entwickelt sich zwischen den beiden eine ganz zarte Beziehung. Sie nähern sich Schritt für Schritt aneinander an. Aber so einfach ist es nicht, die Realität holt Michal (Marcin Brzozowski) immer wieder ein.

Während Evas Vater (Marek Walczewski) mit Freude beobachtet, wie seine Tochter zu einer schönen jungen Frau heranwächst, die trotz ihrer Schwangerschaft doch so manches Mal noch ein unbeschwertes Kind ist, schottet sich Evas Mutter (Teresa Budzisz-Krzyzanowska) vollkommen ab, will nichts wissen von der Schwangerschaft ihrer Tochter. Sie verschließt die Augen vor allen Problemen, die ihre heile Welt erschüttern könnten, der Vater hingegen, der mehr und mehr sein Gedächtnis verliert, wird im gleichen Zug für Eva eine Vertrauensperson, ein Ratgeber und Wegbegleiter.

Eine weitere zwischenmenschliche Beziehung spielt in Malgosia Szumowskas Drama ebenfalls eine große Rolle: die Freundschaft Evas mit der jungen Prostituierten Ivona (Barbara Kurzaj) – einer Frau, die viel Temperament und Turbulenzen mit ins Geschehen bringt und deren Geschichte am Rande ebenso dafür sorgt, dass man jede Sekunde mit Spannung dabei ist; die Handlung atemlos verfolgt.

Überhaupt besticht dieser Film nicht nur durch sein Drehbuch und die eingängigen Dialoge. Schon die ersten Minuten lassen erahnen, dass man sich freuen darf auf einen filmischen Leckerbissen.
Als würde man ihr direkt gegenüberstehen, zeigt die Anfangssequenz das Gesicht der Protagonistin in Großaufnahme. Es fühlt sich an wie 3D-Kino – und das ohne großen technischen Aufwand. Mit einfachen Mitteln flackern da vielfältigste Bilder über die Leinwand, die durch immer wieder wechselnde Kameraeinstellungen entstehen und den Blick des Zuschauers an den Bildschirm fesseln. Mit ihrem Gespür fürs Detail beweist die Regisseurin enormes Fingerspitzengefühl.
Auch der Soundtrack trägt zur Rundumbefriedigung des Publikums bei. Er trägt den Film buchstäblich, wirkt weder aufdringlich, noch durchschaubar. Er transportiert die Emotionen und Stimmungen ohne zu dramatisieren.

In ihrem Filmdebüt glänzt Malgosia Bela. Beeindruckend verkörpert sie mal das unbeschwerte Kind, mal eine verzweifelte Frau am Rande des Abgrundes. Ihr natürliches Spiel kann in jeder Hinsicht überzeugen und sie schafft es immer wieder zu überraschen.
Dies gilt auch für die anderen Darsteller – Malgosia Szumowska beweist tatsächlich ein glückliches Händchen bei der Auswahl dieser hoch talentierten Besetzung, deren aufwühlendes, emotionsgeladenes oder auch unbeschwertes und ruhiges Spiel zu faszinieren vermag.

Behutsam und zugleich brutal erzählt dieser Film nicht nur von der Beziehung einer werdenden Mutter zu ihrem Ungeborenen. Er durchleuchtet diese Strukturen, wird bisweilen gesellschaftskritisch und schreckt vor der schonungslosen Konfrontation des Publikums mit Problemen nicht zurück. Er macht vor keiner Thematik halt – sei es Abtreibung, Prostitution, Tod, Abschied, Krankheit oder Abhängigkeit. Aber auch die schönen Dinge des Lebens kommen nicht zu kurz – der Zuschauer kann sie beim zusehen genauso genießen, wie die Protagonisten auf der Leinwand.
Die große Stärke des Films liegt in der differenzierten und tiefgehenden Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen und der Herausforderungen, die solche mit sich bringen. Und ganz nebenbei gibt er wohl jedem einzelnen Kinogänger eine brauchbare Lebensweisheit mit auf den Weg.

(Josephine Heide)

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