Der Film zum Freud-Jahr: Dominik Molls „Lemming” im Kino (Julie Kaiser)

„Lemming“
Frankreich 2005, 129 Min
Regie und Drehbuch: Dominik Moll
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Charlotte Rampling, Laurent Lucas, André Dussolier

Filmstart: 13.Juli 2006
(Bilder: Alain mit Alice bzw. Bénédicte)Der Geist der letzten Filmfestspiele von Cannes
Sie wollen ein wenig Hölle auf Erden? – Heiraten Sie!

Oder schauen sie einfach anderen dabei zu. Idealerweise läuft „Lemming“ im Kino. Es beginnt, wie jeder französische Film, mit einem jungen, schönen und gutsituierten Paar, das im folgendem psychisch außer Kontrolle gerät. Alain Getty ist begabter Ingenieur und bastelt fliegende Überwachungskameras. Seine Frau Bénédicte bereitet derweil das Essen, richtet das neue Haus in Südfrankreich ein und macht sich hübsch. Doch Regisseur Dominik Moll hört da noch lange nicht auf. Eine düstere Geistergeschichte tut sich auf. Der Zuschauer schwirrt mit der Kamera hin und her und dissonante Heiratswalzer und nervenzerreißende Langsamkeit lassen das eigene Herz noch lauter als Alains pochen. Der Film zum Freud-Jahr

„Wollen Sie mit mir schlafen?“ „Nein, ich liebe meine Frau und was würde ihr Mann dazu sagen.“ „Ich hasse ihn. Er hat einmal versucht mich umzubringen.“ „Wieso verlassen sie ihn dann nicht?“ „Ich will sehen wie er krepiert!“
Dem Kinozuschauer wird an Emotionen und Beziehungskonflikten praktisch alles geboten, was Freuds rote Couch hergibt. Träume, Verführung durch alte Geisterpatrone, Eifersucht und Todestrieb brechen in den ruhigen Vorort herein wie ein Unwetter. Auf beinahe komische Weise zerbröckelt alles, was Alain als sicher und gut erachtet: Seine Arbeit, seine Beziehung, sein Haus und seine Gesundheit. Einhergehend mit seinem Kontrollverlust verschwimmt im Film die Grenze zwischen Realität und Traum. Ganz und gar ernst dagegen wird es für Bénédicte (Charlotte Gainsbourg) und Alice (Charlotte Rampling), die im Laufe der 129 Minuten des Films aufs spannendste interagieren. Verbündete oder Konkurrentin; alt und verbittert gegen jung und sensibel; eine Wiederholung der gleichen Geschichte in den Generationen? Oder ist doch alles ganz anders? Wunderschöne Frauen tasten sich durch die Finsternis – besser kann ein Horrorfilm nicht sein.Lemming

So wirkt auch der Verwandte des Hamsters im ersten Moment recht possierlich, entpuppt sich aber bald als dämonisch. Wie der Fisch in Die fabelhafte Welt der Amelie begeht er Selbstmord. Nass, kalt und reglos wird er im Abflussrohr gefunden. Doch der Lemming steht am nächsten Morgen als bissiges, teuflisches Monster wieder auf. Was Rosemary ihr Baby ist, ist dem DINKY(double income, no kids yet) der Hamster. Es muss ja nicht immer ein Hund sein fürs aufstrebende Jungehepaar. Das Böse aus dem Untergrund beherrscht fortan das Heim der Gettys. Der Film wird wortwörtlich zunehmend dunkel. Parallel dazu ergreifen die Geister mehr und mehr Besitz von den Gettys. Das Rationale wird verdrängt von Ängsten und Vermutungen. Sinnbild dafür ist der Tierforscher, der wegen des Lemmingfundes vor der Tür steht und die „romantische Geschichte des kollektiven Lemming-Selbstmords“ verbreitet. So bleibt vor allem dem Zuschauer viel Platz zu rätseln, gruseln und umherirren. „Lemming“ ist bis zum Finale ein dunkles Vergnügen.(Julie Kaiser)

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