Weimar inszeniert den „Ring” – und beginnt mit einem verheißungsvollen „Rheingold” (Ingo Rekatzky)

Richard Wagner: „Rheingold“
Musikalische Leitung: Carl St. Clair
Inszenierung: Michael Schulz
Dramaturgie: Wolfgang Willaschek
Bühne: Dirk Becker
Kostüme: Renée Listerdal

Vollendet das ewige Werk – Das deutsche Nationaltheater Weimar beginnt seinen neuen „Ring des Nibelungen“mit einem verheißungsvollen „Rheingold“

Über die Zukunft der in ihrer Dichte einst einzigartigen thüringischen Theaterlandschaft schweigen derzeit wohl selbst die Nornen. Nach Fusionen und überstürzten Spartenabwicklungen der letzten Jahre droht nun mit der für 2009 angekündigten Kürzung des jährlichen Theateretats von derzeit 60 auf nur noch 50 Millionen Euro der Schicksalsfaden abrupt zu reißen. Nicht nur, dass somit die Existenz der kleineren Häuser und Orchester des Freistaates akut gefährdet ist, auch die beiden „Leuchttürme“ Erfurt und Weimar sollen zur Ader gelassen werden, da die Rechnung des Kultusministeriums langfristig nur Platz für ein – wie auch immer bestelltes – Staatstheater vorsieht. Ungeachtet dessen, stellt sich das Deutsche Nationaltheater Weimar der nicht nur angesichts klammer Kassen gewaltigen Herausforderung, mithilfe der materiellen und ideellen Unterstützung eines potenten Technologieunternehmens bis Herbst 2008 Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ auf die Bühne zu bringen. Und fast scheint es, Operndirektor Michael Schulz lasse als Auftakt seiner „Rheingold“-Inszenierung gerade vor dem Hintergrund drohender Subventionskürzungen drei kindliche, mit Handpuppen gewappnete Schicksalsgöttinnen die Nornen-Szene aus „Siegfrieds Tod“, Wagners erstem Libretto-Entwurf zum Nibelungenmythos, spielen: Mögen sie den Stabreim auch noch so gestelzt betonen, ihr naiver Blick in die herandämmernde Zukunft bleibt ungetrübt.

Doch (Rollen-)Spiel dominiert auch das weitere „Rheingold“: In der Weimarer Lesart interessieren weniger die Götter, Riesen und Zwerge, sondern in viel größerem Maße die Menschen hinter ihnen, weshalb Regisseur Schulz und sein Dramaturg Wolfgang Willascheck den ersten „Ring“-Abend als psychologisch durchdachtes, dabei ironisch unterhaltsames Kammerspiel konsequent entmythologisieren. Zwar tänzeln die Rheintöchter lasziv mit ihren Nixenschwänzen, kommt Wotan nicht ohne Augenklappe und Speer daher, erscheint der Nibelung Alberich als Zwerg, die Riesen Fafner und Fasolt (Hidekazu Tsumaya und Renatus Mészár) hingegen auf Stelzen, doch wer sich nun Rheingründe und Bergeshöhen, Zwergenhöhlen und Götterburgen erhoffte, dürfte bitter enttäuscht sein. Denn während diese Wagner-Klischees häufig im allein Romantisierend-Dekorativen verharren, so werden sie im Weimarer „Rheingold“ – maßgeblich unterstützt durch Dirk Beckers einfache wie subtile Bühnenbilder und Renée Listerdals kongeniale Kostüme – als Requisiten und Theaterzauber desillusioniert und in das Gesamtkonzept der Inszenierung eingebunden. Die ewigen Antipoden Wotan und Alberich schlüpfen erst mithilfe der bereitliegenden Requisiten während des Orchestervorspiels in die ihnen zugedachten Rollen und verheddern sich beide in dem allzu rasch in bitteren Ernst umkippenden Spiel um die Macht, was zuerst die drei Rheintöchter (Silona Michel, Marietta Zumbült, Christiane Bassek) schmerzlich am eigenen Leibe erfahren müssen.

Gebannt werden sie allesamt weniger durch die vom Rheingold ausgehende Kraft, sondern von ihren eigenen Vorstellungen, die sie auf den Nibelungenring projizieren. So kann sich Alberich nur zum Herrn über Nibelheim erheben, indem er mit seinem Bruder Mime (Frieder Aurich gibt bereits eine Empfehlung für diese Partie im „Siegfried“ ab) ein masochistisches Spiel zwischen Herr und Knecht spielt, und letztendlich ist es auch nicht sein Fluch, der das Ende der Götter heraufbeschwört: Nachdem Wotan und Loge ihr demütigendes Zerrspiel mit dem gefesselten Nibelungen betrieben haben, lässt dieser sich nicht nur gezwungenermaßen den Ring abnehmen, sondern knallt auch fast beleidigt seine Zwergenstiefel auf den Tisch. Er spielt halt – vorerst – nicht mehr mit, wodurch in Wotan erst das göttliche Bewusstsein der Unfehlbarkeit wächst.
In diesem Sinne ist es nur konsequent, dass das Asengeschlecht als kleinbürgerliche Familie erscheint, die selbst wohl am Allerwenigsten weiß, wie sie zu ihrem (Neu-)Reichtum gekommen ist. Obgleich in ihrer bereits zum Umzug ausgeräumten Jugendstilwohnung die Schatten der einst dort hängenden Bilder deutlich an den Wänden zu erkennen sind, auf eine lange Ahnengalerie können diese „Götter“ bei weitem nicht zurückschauen: Als Wahrerin der Ehe dürfte Fricka (herrlich exaltiert: Christine Hansmann), deren Interesse an Wotan erst durch den Gedanken ans Rheingold wieder erwacht, nur am äußeren Schein interessiert sein, während die ewige Jugend in Freya (Catherine Foster) als in die Jahre gekommener, trotziger Backfisch erscheint. Der halbstarke Donner (Alexander Günther) und der versnobte Yuppie Froh (Jean-Noël Briend) bedürfen hingegen gar der Hilfe einiger Bühnenarbeiter, um den anderen Göttern den Weg nach Walhall zu bahnen, wo sie allesamt selbstgefällig im gerahmten Tableau erstarrt einer scheinbar glorreichen Zukunft entgegenblicken, die Mahnungen der arg verwahrlosten Rheintöchter nicht mehr vernehmend.
Das Ende der Götter dämmert also nicht schon im „Rheingold“ heran, vielmehr wähnen sich diese am Beginn einer Ära, indem sie sich – allzu menschlich – im Spiel um die Macht in ihr Versehen erst hineinsteigern, was verheißungsvolle Inszenierungen der drei folgenden Ringabende verspricht.

Doch auch musikalisch braucht die Weimarer „Rheingold“-Aufführung den Vergleich mit finanziell weit besser gestellten Theatern nicht zu scheuen, zumal bei der rundum soliden, mitunter gar idealen Besetzung nahezu ausschließlich auf Ensemble-Mitglieder und ständige Gäste des Weimarer Nationaltheaters zurückgegriffen werden konnte.
Zwar verfügt Mario Hoffs technisch tadellos geführter Bariton in der Tiefe nicht über die schwere Sonorität, die manch Wagnerianer von einem Wotan erwarten würde, doch kommt dieses nicht nur der Rollenkonzeption des eher biederen Göttervaters sehr entgegen, sondern ermöglicht auch in den höheren Lagen stets eine souveräne Meisterung der Partie. Seinen Gegenspieler Alberich legt Thomas Möwes stimmlich mit einem erstaunlich differenzierten Gestaltungsspektrum an und lässt auch darstellerisch keine Zweifel aufkommen, dass der narzisstische, letztendlich nur vorerst gefallene Nibelung der wahre Spielmacher im „Ring“ ist. Gespannt sein darf man bereits jetzt schon auf den „Siegfried“, in dem Hoff und Möwes – entsprechend des Regiekonzeptes – ihre Rollen tauschen sollen.
Ihren kurzen Auftritt als Erda lässt Alexandra Kloose zum Ereignis werden: Gehüllt in eine rote Konzertrobe mahnt sie gleich einer sprichwörtlichen Dea ex Machina mit unverkennbar warmem, dunklem Timbre vor der zweifelhaften Macht des Ringes, wobei diese Zeichen nur der verschlagen-intellektuelle Winkeladvokat Loge verstanden haben dürfte, dessen listiger Gewandtheit Axel Mendrok mit leicht geführtem Tenor auch musikalisch Ausdruck verleiht.
Zum Tragen kommen die Sänger aber vor allem dadurch, dass Carl St. Clair, seit 2005 Generalmusikdirektor der Staatskapelle Weimar, im Gegensatz zu namhaften Ring-Debütanten nicht der Gefahr erliegt, sich und das Orchester in den Vordergrund zu spielen. Sein präzises, klug strukturiertes Dirigat verzichtet auf wirkungsvolle Effekthascherei und lässt stattdessen den Orchesterklang behutsam im Parlando fließen, sodass nicht nur die einzelnen Leitmotive eine erstaunliche Transparenz bewahren, sondern auch die stark beanspruchten Protagonisten ihre Kräfte wohl proportionieren können und keine Ermüdungserscheinungen aufweisen. Darüber hinaus ermöglicht es eine Textverständlichkeit auf beachtlich hohem Niveau, welche die Untertitel am Orchestergraben (übrigens: im Deutschen wird das Genitiv-S bei Eigennamen noch nicht apostrophiert) schier überflüssig erscheinen lassen.

Am Ende spricht der frenetische, ungeteilte Jubel für sich, denn das „Rheingold“ ist womöglich der Auftakt eines Zyklus‘, mit dem – lässt sich die Konzeption der drei folgenden Abende ohne Abstriche umsetzen – in Weimar ein Meilenstein in der Inszenierungsgeschichte des „Ringes“ gesetzt werden könnte.
Allerdings, noch spinnen die Nornen an ihrem Faden. Weißt Du, wie es wird? Nicht nur angesichts einer drohenden thüringischen Theaterdämmerung ist dem Deutschen Nationaltheater Weimar zu wünschen: Vollendet das ewige Werk!


(Ingo Rekatzky)

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