„Salomé“
Internationaler Theatersommer im Lindenfels Westflügel Leipzig
Eine Koproduktion der Kompania Doomsday
und dem Figurentheater Wilde & Vogel
4. & 5. August
Enthauptetes Begehren, enthauptetes Subjekt: „Salomé“ nach Oscar Wilde im Lindenfels Westflügel
Keats and Yeats are on your side / But you lose / Cause weird lover Wilde is on mine
The Smiths, Cemetary Gates
Prinzessin Salomé ist in den von ihrem Stiefvater gefangen gehaltenen Prediger Johannes verliebt. Er verweigert sich ihrer Liebe – die Zurückgewiesene entwickelt sich zur rücksichtslos Begehrenden, welche den Prediger schließlich im wahrsten Sinne des Wortes um seinen Kopf bringt. Das abgeschlagene Haupt liebkosend, wird sie von den Soldaten des Königs erschlagen.
Zwischen moderner femme fatale und archetypischer Repräsentation des Verhältnisses von Eros und Thanatos ist das Bild angesiedelt, welches sich das Neunzehnte und Zwanzigste Jahrhundert von der biblischen Figur Salomés machten. Der in ihr verkörperte Mythos des Weiblichen ist Verbunden mit Lust, Wahnsinn, Gewalt und Tod. Er wirkt maßlos und pathologisch, aber auch faszinierend. Als Zeugnis dieser Faszination gilt Oscar Wildes tragischer Einakter „Salomé“. Auf dessen Text basiert die Koproduktion des Figurentheaters Wilde & Vogel mit der jungen polnischen Kompania Doomsday.
Eine heutige Inszenierung dieses Mythos steht vor der Herausforderung, auf der einen Seite den in ihm aufgehobenen Gefühlen, Affekten und Emotionen Ausdruck und Intensität verschaffen zu müssen, auf der anderen Seite jedoch den männlichen Blick der Rezeptionsgeschichte nicht unkritisch übernehmen zu können. Nicht zuletzt ist Salomé die Geschichte eines Frauenopfers: Wildes Text endet mit dem Ausruf „Kill that woman! / Man töte dieses Weib!“ Die Prinzessin Judäas ist im wahrsten Sinne des Wortes das Medium eines Begehrens; es geht durch sie hindurch, erfasst sie und die Welt, fordert zuletzt ihren Tod. Nicht dieses ewig-weibliche einer männlich-regressiven (Ohn-)Machtsphantasie, sondern die Lust am Text, seinen Verwerfungen, Abgründen, seinen Bewegungen und Stockungen ist die Grundlage, von welcher ausgehend Michael Vogel (Regie) und die Kompania Doomsday (Spiel) sich der Geschichte des vor Liebe kopflosen und kopflos machenden jungen Mädchens nähern. Sie umgehen dabei geschickt die Fallstricke des Weiblichkeitsklischees, ohne der affektiven Kraft des Mythos im falsch verstandenen Sinne aufklärerisch-kritisch auszuweichen.
Die Inszenierung lässt den Gefühlen im wahrsten Sinne ihren Raum, verteilt Rollen, Text und Stimmen in eben diesem, zerlegt den Fluss des Dramas in einzelne Momente, ja Momentaufnahmen. Deutlich ist eine Freude am Spiel, an einem Verspielen des Pathos, welches sich manchmal selbstständig zu machen beginnt, die dramatische Zeit entspannt und in verräumlichte Spielzeit umwandelt. Dabei bedient sich das Team mit spürbarer Freude und durchaus souverän der Mittel des so genannten postdramatischen Theaters. Natürlich ist manches bei der jungen Truppe erst im Ansatz entwickelt. Beispiele wären die zeitlupenartigen Bewegungen, manchmal die stimmliche Präsenz einzelner Kompaniemitglieder, von Zeit zu Zeit auch die Exaktheit des Spiels.
Dennoch überzeugen Abend und Ästhetik: Nicht die psychologisch-verkörpernde Aneignung von Rollen steht im Vordergrund, vielmehr gilt eine Gleich-Gültigkeit der verschiedenen Elemente aus denen Schauspiel „aufgebaut“ wird. Tendenziell herrscht das bildhafte Arrangement in der Inszenierung vor, erstellt aus einer Vielzahl einzelner, exponierter, sich teilweise überlagernder Wiederholungen, die sich nur bedingt zu einem Ganzen fügen – sich somit aber dem Zuschauer, seiner Phantasie, seiner Skepsis, seiner Faszination und seiner fragmentarischen Erinnerung gegenüber öffnen:
– Der abgeschlagene Kopf Johannes des Täufers singt zusammen mit dem Rest der Gruppe, begleitet von der Musik Charlotte Wildes, ein romantisch-entrücktes „carried away by a moonlight shadow“, welches schließlich in Lärm versinkt, während die nun übertönten weiter singenden Münder noch immer an die Schönheit des Liedes erinnern.
– Die Schauspielerin Ewa Gajewska und die Figurenpuppe der Salomé tanzen simultan im Halbdunkel deren „Tanz der sieben Schleier“.
– Um den auf einem weißen Tisch präsentierten abgeschlagenen Kopf der Salomé verstreut eine Schauspielerin rote Rosenblätter.
– Gegen Ende verlischt das Licht, übrig bleibt ein Theater der Stimmen.
Immer wieder kommen die SchauspielerInnen zusammen, wenden dem Publikum den Rücken zu und singen gemeinsam in nächster Nähe zum Sakralen, nur um sich Sekunden später zum Gesang von „You can ring my bell“ wieder von einander zu entfernen. Die Dichotomie zwischen Trennung und Gemeinsamkeit, Narzissmus und Verausgabung, gespiegelt in den „Mitteln“ des Theaters, setzt den Zuschauer frei und bleibt dennoch nicht unverbindlich.
Salomé ist das monströse Ja-Sagen eines Werdens, welches an die Grenze der Repräsentation geht. Sie ist ein kopfloses Subjekt, sie setzt den Kopf, den Sinn aufs Spiel. Dadurch lebt sie in engster Nachbarschaft zu Antigone und Elektra, den beiden anderen Verkörperungen des jungen Mädchens, die am äußersten Rande der Repräsentation verbrennen. Wilde & Vogel sowie die Kompania Doomsday antworten auf dieses grausame Ja mit einem sinnlichen Theater, in welchem die sich verselbstständigte Zeit der Repräsentation sich dem Opfer des Weiblichen gegenüber, immer wieder als inkommensurabel erweist.
(Michael Wehren)
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