Sternstunden der Neuen Musik

Hans Werner Henzes „Go No Eiko” wird bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt

Hans Werner Henze ist einer der bedeutendsten lebenden Komponisten unsere Zeit. Dass er die Uraufführung der japanischen Version (2003/2005) seiner Oper „Gogo no Eiko“ in Salzburg erleben kann, gleicht Presseberichten einem Mirakel: noch bis vor kurzem war der am 1. Juli achtzig Jahre alt gewordene Komponist schwer erkrankt. Würdevoll gespannt sitzt er heute an präsenter Stelle im letzten Drittel des Parterres. Beim Aufstehen erhält er liebevolle Unterstützung, der Weg auf die Bühne im Schlussapplaus aber ist schon zu weit. Was nun passiert, hätte man besser nicht inszenieren können: nachdem das Publikum den hervorragenden Musikern frenetisch zugejubelt hat, ist Hans Werner Henze allein das Epizentrum von zehnminütigen Ovationen. Bewegend wie der physisch zerbrechlich wirkende Hans Werner Henze die Huldigungen des Publikums an sein neues Musikdrama erwidert!

Genau genommen sind nur fünfzig Minuten der heute gehörten Komposition wirklich neu, bereits 1990 wurde das Stück nach dem japanischen Roman „Gogo no Eiko“ von Yukio Mishima in deutscher Sprache unter dem Titel „Das verratene Meer“ an der Deutschen Oper Berlin uraufgeführt. Damals kein Erfolg, weshalb das so war, kann man getrost Musikwissenschaftlern überlassen. Die Überarbeitung des Stückes geht auf ein Treffen von Hans Werner Henze und Gerd Albrecht in Tokio zurück: „Wäre es nicht möglich, das Werk ins Japanische gleichsam zurückzuübersetzen? Mag sein, dass dich das Libretto nicht überzeugt, aber die Musik ist das Stärkste meiner letzten zwanzig Jahre“ (Hans Werner Henze an Gerd Albrecht, 2002). Wer könnte da schon nein sagen! Ein Jahr dauert das anfangs schier unlösbare Projekt: ein deutscher Satz wird im Japanischen mindestens zwei- bis dreimal so lang, eine Germanistin und ein japanischer Komponist, Schüler Henzes übertragen das Libretto, auf Drängen von Gerd Albrecht komponiert Hans Werner Henze erst zwanzig und dann noch mal dreißig Minuten neue Musik.

Der erste Teil – Sommer – beginnt sehr perkussiv, neun Schlagzeuger schärfen die Sinne, eingängige einfache gestrichene Strukturen begleiten das Vorspiel, die Harfen setzen Akzente. Die reiche Witwe Fusako bringt ihren dreizehnjährigen Sohn Noboru zu Bett, sie schließt ihn ein „damit du dich nicht wieder mitten in der Nacht mit deinen Freunden triffst“. Noboru beobachtet später seine Mutter durch ein Loch in der Wand: „Wie schön sie ist?..ihre Brüste?..ihr Bauch? (..)“. Die ausschweifenden Phantasien des Pubertierenden sind von schonungsloser Offenheit. Die Szenen, in einem lyrischen Stil komponiert, sind durch „Verwandlungsmusik“ genannte Abschnitte getrennt. Sie erinnern an den kraftvollen Beginn, schillernde reflexive Strukturen, die den Plot durch einen hohen drive vorandrängen. Am nächsten Tag treffen Fusako und Noboru den Schiffsoffizier Ryuji: der erfahrene Seemann zeigt dem Technik begeisterten Jungen das Schiff, Fusako, die schöne reiche Frau gewinnt er durch seine lyrischen Auslassungen über das Meer, die Harfen flimmern verheißungsvoll. In der folgenden Verwandlungsmusik träumt Ryuji den Traum des einsamen Mannes, aufwühlend türmt sich das Blech….. Hans Werner Henze schafft es auch im weiteren Verlauf von musikalischen Höhepunkten die Spannung langsam abzubauen, ohne den Zuhörer in ein „Loch“ fallen zu lassen. Das ist musikalisch höchst delikat und verhindert, dass das Stück auseinander bricht oder in Eintönigkeit versandet.

Die Liebesbeziehung zwischen Fusako und Ryuji wird nun auch physisch vollzogen, Noboru beobachtet von nun an das intime Beisammensein der Beiden durch das besagte Loch in der Wand. Die emotionale Spannung ist kaum zu überbieten: Fusakos Hoffnung die acht Jahre quälende Einsamkeit zu beenden, aber auch die Angst Noboru durch einen „neuen“ Papa zu verletzen. Ryujis endlich erfüllte Liebe zu einer Frau, neben der Gewissheit seine Sehnsucht zum Meer verraten zu müssen. Schließlich Noboru, der auf der einen Seite den starken Seemann bewundert andererseits die (physische) Inbesitznahme seiner Mutter völlig irritiert. Hans Werner Henze gestaltet den Stoff und die Musik streckenweise linear, um durch anschließende Brechungen die Spannung wieder zu steigern. So ist die Szene mit dem Heiratsantrag, Neujahrsmorgen und aufgehende Sonne (!), musikalisch bis zum Klischee ausgemalt, nachdem Ryuji seinen Antrag aber noch mal lauter wiederholen muss, entsteht eine komische Situation, im Orchester setzt ein Tango ein.

Noboru verbringt den Tag in seiner Jugendbande: die seelische Verfassung von pubertierenden Jungen wird anhand ihrer widersprüchlichen Gefühle, ihren gefährlichen ja perfiden Ideen und Handlungen thematisiert. Die fünf Jungen ergehen sich in düsteren Anklagen gegen die Welt der Erwachsenen, in Ryji projizieren sie ihren ganzen Hass. Penibel genau werden seine „Vergehen“ dokumentiert: er hat das Meer verraten, um bei Fusako sein zu können, er erschmeichelt sich Noborus Vertrauen als Stiefvater, er hat Noboru das heimliche Beobachten verziehen u.s.w. Fröstelnd begreift man die subjektive Wahrheit, die in diesen Szenen steckt! Aber auch dieser Eindimensionalität setzt Henze Brechungen entgegen: die unreifen Dialoge stecken voll unfreiwilliger Komik, Noborus Stimme die dem Orchesterklavier zugeordnet ist, erinnert an die kindliche Klavierstunde, das pseudo-militärischen Gehabe wird durch trockene Schlagsätze karikiert.

Wo am Ende des ersten Teils in einer Art Mutprobe eine Katze erschlagen wird, die Musik in brachialen Ausbrüchen, sind die Jungen am Ende des zweiten und letzten Teils bereit, Ryji zu ermorden. Sie haben ihn auf einen verlassenen Berg gelockt. Nachdem sie ihn narkotisiert haben, stehen sie hinter ihm, mit Säge, Hammer, Seil und Messer bewaffnet. Einen schwärzeren Schluss kann man wohl kaum denken, doch der mythische Orchesterklang reflektiert jenseits der Schuldfrage über das Warum dieser Entwicklungen. Der Ernsthaftigkeit der Jungen wird zum Appell, die Gefühle und Wünsche der Jugendlichen, ihre subjektive, aber doch so wahre Welt ernst zu nehmen.

„Gogo no Eiko“ ist eine Komposition, der man unbedingt weitere Aufführungen und vor allem die szenische Umsetzung wünscht. Mit welcher elementaren Kraft Hans Werner Henze hier Themen mit gesellschaftlicher Brisanz in Musik gesetzt hat, stärkt die Gewissheit wie wichtig es ist, aktuelle Kunstwerke zu schaffen, die sich mit den jetzigen Lebensumständen- und bedingungen auseinander setzten. Dem Uraufführungsteam unter dem sehr überzeugenden Gerd Albrecht ist es gelungen, den ganzen Mozartwahn dieses Jahres nicht nur zu vergessen, sondern mindestens 250 Jahre hinter sich zu lassen.

Salzburger Festspiele 2006:

Hans Werner Henze (*1926)

GOGO NO EIKO
„Das verratene Meer“, Revision 2003
Musikdrama in zwei Akten von Hans-Ulrich Treichel
nach dem Roman Gogo no Eiko („Der Seemann, der die See verriet“) von Yukio Mishima
Übertragung und Adaption des japanischen Textes von Ikuni Warangai und Toshiro Saruya

Uraufführung, in japanischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Konzertante Aufführung

Dirigent Gerd Albrecht

Ryuji Tsuyoshi Mihara

Fusako Mari Midorikawa

Noboru Jun Takahashi

Jungenbande, Anführer Teruhiko Komori

Jungenbande, Nummer Zwei Zvi Emanuel-Marial

Jungenbande, Nummer Vier Kwang-Il Kim

Jungenbande, Nummer Fünf Yasushi Hirano

Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai

Samstag, 26. 8. 06, 11.00 Uhr, Großes Festspielhaus

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