Kein Küchentheater: „Die Caverne ist ein Kosmos” als Gastspiel in Leipzig (Tobias Prüwer)

„Die Caverne ist ein Cosmos“
Théâtre de Cuisine
Westflügel Lindenfels
Christian Carrignon
Regie & Spiel: Cshlezwik Czmarti
Spiel: Yorgos Karakantzas
31. August & 1. September
www.theatredecuisine.com


Sandkasten Gaia: „Die Caverne ist ein Cosmos“


…denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es zugrunde geht…
J. W. Goethe

Die Erde ist eine Scheibe, glaubt man dem Schamanen Cshlezwik Czmarti. In einem zutiefst theatralischen Ritual zelebriert er Beginn und Ende der Zivilisation, erwirkt und verwirkt mit Plastikdinos und Barbiepuppen das Fatum der Menschheit.

Magische Momente finden nicht einfach so statt, sie bedürfen eines besonderen Ortes. So nimmt man, vom Adepten Yorgos Karakantzas durch das Kellerlabyrinth des Westflügels geleitet, in einer räucherstäbchengeschwängerten Jurte Platz, die mit exakt 49 Sitzkissen aufwartet. Während man noch über die numerologische Bedeutung dieser Zahl rätselt und den sandbedeckten tischähnlichen Gegenstand in der Mitte des Zeltes interessiert betrachtet, tritt der Schamane auf. In ausladenden Gesten beschwört er zunächst das seriöse Interesse der am Ritual Teilhabenden und schließlich den Eisprung der Erde. Eine auf die Seite gekippte Kabeltrommel wird nun zum Tableau für einen Salto mortale durch die Erdgeschichte, Geburt und Tod der Menschheit. Wie der Demiurg produziert Czmarti aus dem Sand seine Rollen tragende Geschöpfe und haucht den Figuren für kurze Zeit vitalen Odem ein. Unter archaischen Klängen und quasimeditativem Gesang treten, aus einem Meteor geboren, Schalentiere und Saurier auf. Mammutherden werden vom ersten Menschen verdrängt. Djingis Kahn erobert die Steppen, Kolumbus die Meere, Armstrong das All. Zwischendurch werden Christentum und Fortschritt erfunden, bis sich schließlich im (vermutlich) Dritten Weltkrieg die Menschheit selbst zerstört und die Erde verkohlt zurücklässt.

Das Gastspiel des Marseiller „Théâtre de Cuisine“ präsentiert Objekttheater mit esoterischer Nuance. Diese junge, in der Nische stattfindende Theaterform, dringt analog der Forderung des Phänomenologen Husserl „zu den Sachen selbst“ vor, lässt die Objekte sprechen, sie nicht mehr nur Requisiten sein. Die Zuschauerin wird durch jene Dinge herausgefordert, die eigentlich ihren Alltag stellen; das eingespielte Welt- und Selbstverhältnis wird fragwürdig. Die bespielten Objekte in „Die Caverne ist ein Cosmos“ sind Plaste- und Elastefiguren, wie auch das vermeintliche Ritual aus Kunst-Stoff besteht. Fast ausschließlich Kinderspielzeug findet Einsatz und eine Batterie von Lämpchen, die vielerlei Schattenschabernack ermöglicht. Eine in der Mitte des Tisches befindliche Jurtennachbildung erzeugt im Spiel ums Innen und Außen eine spannende Doppelperspektive. Das Publikum befindet sich in der Position eines ausgeschlossen Dritten, der doch mittendrin ist: In göttlicher Draufschau ist die Menschheitsgeschichte als Ganze überschaubar, die darin hineingeworfen doch nur partikular erfahrbar bleibt.

Und der dramatische Untergang der Gattung Mensch? Die großen Narrativen haben ihre Glaubwürdigkeit verloren und die Erkenntnis, dass Geschichte keine Rolltreppe ist, dringt so langsam durch: Die Menschheit nur eine Episode, die gelobte Zivilisation nur mehr Strandgut im Treibsand kosmischer Gezeiten. In dieser realistisch-trüben Mengelage ist nur folgerichtig, dass auch die rituelle Darbietung Flunkerei ist und der schräge Schamane niemand anderer als der „Altmeister“ des Objekttheaters Christian Carrignon selbst. Die plötzliche Aufforderung, die Spielstatt zu verlassen – die nächste Touristengruppe wartet – lässt manchen Humanisten über die Vorläufigkeit des inszenierten Holozids spekulieren. Vielleicht besteht ja Hoffnung; wer weiß. Adept wie Gaia jedenfalls sind hier einstimmig: „Die nächsten bitte!“

(Tobias Prüwer)

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