Ein Lob dem Flavoristen: Tykwers „Parfum” nach Patrick Süskind in den deutschen Kinos (Julie Kaiser)

Das Parfum
Regie: Tom Tykwer
Mit: Ben Whishaw, Alan Rickman, Dustin Hoffman, Otto Sander, Jessica Schwartz u.a.
Kinostart: 14. September 2006Das Parfum – oder wie man mit 2, 5 Tonnen Fisch Barcelona in Paris verwandelt

Mit derselben Konstanz, mit der Tom Tykwer rothaarige Schönheiten durch Bilderwelten hetzt, bleibt ihm der Erfolg treu. Der Grund dafür ist im jüngsten Fall klar: „Das Parfum“ ist ein opulentes Meisterwerk mit Starensemble. Neben dem engagiertem Jungtalent Ben Whishaw sticht vor allem der Altmeister Dustin Hoffman als Baldini heraus, der Parfumeurlegende, der nicht nur vom Puder blass um die Nase wird und dessen Altern sich im bröckelndem Putz seiner Residenz widerspiegelt.

Die Umsetzung des Bestellers von Patrick Süskind ist rundum geglückt. Der Film verspricht „Das Parfum“, und dieses Versprechen wird eingelöst. Zum einen hält sich das Drehbuch an die Romanvorlage, um deren Filmrechte der Produzent Bernd Eichinger immerhin 20 Jahre verhandelt hat; zum anderen verströmt der Film dank seiner berauschenden Bilder eine besondere Lust auf Gerüche, erweitert die Wahrnehmung und regt die Fantasie an. Wo zuerst nur der Geruch von Popcorn und dem Kinonachbarn den dunklen Saal erfüllt, werden bald lebhafte und emotionale Erinnerungen an die verschiedensten Düfte geweckt: Nasses Gras, Lavendel, fauler Fisch und frische Mirabellen entschweben dem Gedächtnis.

Das Paris des 18. Jahrhunderts war ein Ort der olfaktorischen Reizüberflutung. 2,5 Tonen Fisch waren nötig um den Drehort in Barcelona mitsamt der Anwohner authentisch stinkig zu machen, denn allgegenwärtiger Dreck und der damit verbundene Gestank umhüllte und prägte das Paris jener Zeit. Das Zentrum des Gestanks ist zweifellos der Pariser Fischmarkt. Auf ihm, dem „allerstinkendsten Ort in ganz Frankreich“ wird Jean-Baptiste Grenouille geboren. Ausgestattet mit einem phänomenalen Geruchsinn kämpft er sich durch die Brutalität und den Ekel der größten Stadt des 18 Jahrhunderts. Bis zu jenem Tag, an dem ein ganz anderer Duft die Nase des Hauptdarstellers umschmeichelt: der Duft eines zarten und reinen Mädchens, dem Grenouille hoffnungslos verfällt. Doch Gerüche sind flüchtig, ihr Vergänglichkeit ihre Essenz, was der Antiheld Grenouille nicht akzeptieren kann. Tragisch-ironisch verfällt er daher der Idee aus einer Collage von 13 Einzelessenzen, die er von ermordeten Mädchen gewinnt, -das- Parfum der Parfums zu kreieren. Damit schlägt die Geburtsstunde des fanatischen Sammlers.

Übrigens – für eben jene Spezies Mensch des Sammlers hat Thierry Mugler ein limitiertes Duftset zum Film geschaffen. Laut Presseheft sucht die Kreation „kühn und mutig ihre Inspiration in der Vergangenheit, um ihre Zukunft zu gestalten.“ Was angesichts der Mädchen, die im Film ihr Leben für das Parfum lassen mussten, ein wenig pietätlos klingen mag, zeigt andererseits die grenzenlose Faszination die von diesem unglaublichen Stoff ausgeht.

Der Schlüssel für den Erfolg des Films liegt in der Intimität zur Hauptfigur Jean-Baptiste Grenouille (Ben Whishaw), dem Duftlosen im stinkenden Paris, und dessen Obsession für Gerüche. Der Zuschauer folgt Grenouille treu auf seinem autistischen Weg, der keine sozialen Bindungen kennt, sondern einzig der Nase nach geht. Als Mitwisser schwankt das Publikum dabei zwischen Ekel und Bewunderung. Auf der Reise von Frankreichs Hauptstadt über das Zentralmassiv in die Provence verschmelzen Roadmovie und Psychothriller. Ähnlich wie in der erfolgreichen Buchverfilmung „Der Name der Rose“ steigt der Zuschauer hinab in eine fremde und düstere Seelenwelt der Vergangenheit, mit der er erschreckend vertraut wird.

„Unser Film hat eine eindeutige Ästhetik, die ziemlich dunkel ist und von einem Schattenwesen erzählt wird. Wir haben uns an Malern orientiert die stark mit Dunkelheit gearbeitet haben und nur wenige Lichtquellen nutzen wie etwa Rembrandt.“, so Tom Tykwer und resümiert: „Außerhalb des Lichts war ihre Welt total schwarz.“

Im Gegensatz zu vielen Historienfilmen wirkt die Welt aus „Das Parfum“ auf den Zuschauer nicht fremd und künstlich. Es gibt keine Sterilität der Kulissen und keine Affektiertheit der Darsteller. Symbolisch dafür scheint die Orgie auf dem Richtplatz, in der nicht nur Konventionen sondern auch Kleider fallen. Satt Glitzer und Moral sieht man Fleisch und Lust. Das Charakteristische des Films ist jedoch, dass über diesen wundersamen Liebesrauch indem die nackten Körper wie ein Sternenhaufen aufleuchten, nachdem einmal enthüllt, sogleich wieder die Nacht hereinbricht.
(Julie Kaier)

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