Neuvorstellungen für den Winter – die 6. Filmkunstmesse Leipzig (Tobias Prüwer & Maike Schmidt)

6. Filmkunstmesse Leipzig
11.-15. September 2006

Bilder: Filmkunstmesse
1. Winterreise
2. The Fountain
3. Scoop

Die 6. Filmkunstmesse Leipzig war ein voller Erfolg!
Das konnten die Veranstalter dieses langsam ins Kulturprogramm der Stadt dazugehörige Festival in diesem Jahr konstatieren. Die AG Kino-Gilde lud ein und mehr als erhofft reiste das Fachpublikum an, um sich zu informieren und Kontakte zu knüpfen. Über 1000 Akkreditierte (2005: 850) und mehr als 4.000 Kinozuschauer in den öffentlichen Vorführungen (2005: 4.000) ließen sich vom 11. bis 15.9.2006 von der hohen Qualität der Filme und der enormen Auswahl begeistern. Die Leipziger hatten erneut die einzigartige Möglichkeit, Filme verschiedenster Couleur schon vor Bundesstart zu sehen und sich einen Eindruck über den kommenden Kinowinter zu machen. Eine Chance, die man gerne ergriffen hat und nicht enttäuscht wurde. Der Almanach hat eine kleine Auswahl getroffen und will von Filmen berichten, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Der Winter mag kalt werden – auf ins Kino!

Wie wärs denn mit einer „Winterreise“ – als einem Vorgeschmack auf die kommende Jahrezeit?

Regie: Hans Steinbichler
Deutschland – 96 Min
X -Verleih
Start: 23. 11. 2006

Franz Brenninger (Josef Bierbichler) müsste verzweifelt sein. Seine Eisenwarenhandlung ist bankrott, die Rechnungen häufen sich, und dank seines ausschweifenden Lebens droht auch die private Pleite, von der teuren aber notwendigen Augenoperation seiner Ehefrau (Hanna Schygulla) ganz abgesehen. Zum Glück aber hat er dieses Angebot aus Kenia, sein Konto für einen Millionentransfer zur Verfügung zu stellen. Er muss nur eine relativ geringe Summe als Sicherheit hinterlegen und schon lockt der Profit. Man ahnt die Falle und kennt die Masche. Der Pleitier jedoch willigt in den Deal ein, und welch Wunder: Das Geld ist weg. Das aber lässt ein Franz Brenninger nicht auf sitzen. Gemeinsam mit der dolmetschenden Schülerin Leyla (Sibel Kekilli) bricht er auf und reist aus der süddeutschen Provinz nach Afrika, wild entschlossen seines Geldes wieder habhaft zu werden. Was er dort findet sei hier dahingestellt; dem Publikum jedenfalls begegnet ein sehr emotionaler Film, der in seiner Balance aus Schwere und Heiterkeit gefällt und besonders durch den großartigen Hauptdarsteller getragen wird. Seinem misanthropischen Lebemann und ewigen Grantler muss man trotz aller Flüche und Poltereien („Neger und Notare, alles Arschlöscher!“) einfach eine große Portion Sympathie entgegenbringen. Geschickt ist in die „Winterreise“ auch inhaltlich der gleichnamige Liedzyklus von Franz Schubert hineingewoben, der dem melancholischen Part des Filmes auch in der musikalischen Dimension Intensität verleiht.

Oder mit einer Reise in kulinarische wie cineastische Hochgenüsse in dem Film „Eden“?

Regie: Michael Hofmann
Deutschland Schweiz – 98 Min
Pandora Film
Start: 19. 10. 2007

Irgendwo im Schwarzwald gibt sich Serviererin Eden (Charlotte Roche) ihrem biederen Alltag hin. Der Ehemann ist Vortänzer beim Tanztee und sitzt lieber am Stammtisch, als sich um die behinderte Tochter zu kümmern, die Schwiegereltern sind ätzend. Als Eden jedoch den übergewichtigen Gregor (Josef Ostendorf) kennen lernt, zeigt sich ihr plötzlich das Leben von der sinnlichen Seite. Denn der Sternekoch versteht meisterlich sich auf die Erotik der Küche. Zwischen dem ungleichen Duo entwickelt sich eine innige Freundschaft und der Chef de cuisine begeistert Eden fortan bei wöchentlichen Treffen mit seinen Kreationen. Ob dieser kulinarischen Entführung in bisher unbekannte Welten blüht Eden auf, spürt Lebens- und Liebenslust, wovon auch ihre Ehe profitiert. Bis im Ort die Kunde von dieser platonischen Freundschaft umgeht. Denn für solcherlei ist dort kein Platz.
Dramaturgisch gekonnt inszeniert, sind es die skurril-heiteren Dialoge zwischen den jeweils sehr eigenen Hauptfiguren, die „Eden“ als sehr sehenswert gestalten. Durch lukullische Aufnahmen kulinarischer Arrangements entfaltet der Film neben der charmant erzählten Geschichte die Wirkung eines starken Aperitifs.

Aber auch für die Liebhaber poetischer Filme in epischer Breite ist etwas im Programm: „The Fountain“

Regie: Darren Aronofsky
USA – 96 Min – OmU
Kinowelt Filmverleih
Start: 18. 1. 2007

Was lässt sich über einen Film sagen, der sich begrifflichem Zugriff verweigert, sich cineastischer Logik versperrt und die Zuschauenden bildgewaltig um den Verstand bringt? Gespalten werden die Meinungen sein, „kryptisch“ die einen lauten, „brillant“ die anderen.
Das Gezeigte bewegt sich in folgenden Handlungskoordinaten: Der männliche Protagonist (Hugh Jackman) durchstreift anno 1535 im Auftrag der spanischen Königin (Rachel Weisz) als Konquistador den lateinamerikanischen Dschungel, ringt als Krebsforscher in der us-amerikanischen Gegenwart um das Leben seiner todkranken Frau (dieselbe) und steuert als meditativer Raumreisender im Jahre 2500 einem sterbenden Stern zu, von einer Traumfigur (dieselbe) begleitet. Die drei Zeitebenen finden sich im Film kunstvoll mit einander verflochten. Die Frage, welche davon die Wirkliche und welche Fiktionen sind, stellt sich angesichts der existentiellen Thematik um Leben und Sterben, ewiger Liebe und Endlichkeit, höchstens am Rande. In diesem Spiel um Virtualität und Zeitlichkeit zeigt sich gerade ein entbergender Charakter dieses Werks, in dem vielleicht seine geheime Metaphysik liegt. Symbolisch aufgeladen durch Elemente aus Bibel und anderen Mythen, gelingt Regisseur Aronofsky nach fünfjähriger Arbeit eine Reise durch Bilderwelten, die mit ästhetisch-poetischer Wucht treffen; ein Film, der enigmatisch, faszinierend, unaussprechlich schön ist.

Oder sind Sie eher ein Fan der fernöstlicher Filmkunst, dann empfehlen wir, einen Blick auf „Duelist“ zu werfen.

Regie: Myung-Se Lee
Südkorea – 108 Min – OmU
Rapid Eye Movies
Start: Oktober 2006

Liebhaber artistischer Schwertkämpfe und akrobatischer Waffengänge werden in diesem Film nicht ganz auf ihre Kosten kommen, mag der Titel auch anderes andeuten. Denn das Martial-Arts-Thema dient in der zuweilen krude zusammen gestrickten Story – noch durchaus genretypisch -, als Hintergrund und Kulisse für die Reinszenierung des klassischen Topos der Königskinder oder Romeo und Julia, von den Liebenden, die nicht zusammenkommen können. Im mittelalterlichen Korea hat sich eine Bande Falschmünzer ans Werk gesetzt, das Land in die Inflation zu stürzen. Kaiserliche Beamte sind ihnen auf der Fährte. Darunter befindet sich auch Polizistin Namsoon (Ji-Won Ha), die während der Mission nicht nur eine große Verschwörung entdeckt, sondern sich auch unsterblich in das schwertkundige Phantom „Trauriger Blick“ (Don-Won Kang) verliebt. Der erwidert zwar die Liebe, steht aber auf des Gesetzes anderer Seite; der dramatische Ausgang der Geschichte ist bereits ausgemacht.
Durch die zuweilen (unfreiwillige?) humoristische Note der Spielszenen wird die schwülstige Dramaturgie durchbrochen und das Pathos zu einem erträglichen Maß abgeschwächt. Die Kämpfe sind tänzerisch angelegt und ersetzen den Actionmangel durch Anmut: Musikalisch mit alteuropäischem Klassikerwerk unterlegt, erklingt mal ein Requiem Mozarts, mal ein Walzer. Der Film bewegt sich durch sehr ästhetisierte Tableaus, in denen unzählige Licht- und Farbenspiele kaleidoskopartige Effekte erzeugen. Die hollywoodeske Fabel im Easternstyle begeistert all jene, die große Geschichten in reicher Inszenierung lieben.

Oder wie wärs denn mit einem erhabenen, halluzinatorischen Musical, das „The saddest music of the world“ bietet?

Regie: Guy Maddin
Kanada 2003 – 99 min
Weltecho
Filmstart: 9.11.2006

Sie mögen Stummfilme oder aber sind ein Freund des schrägen Trashfilms, Sie wollen Musik im Film, die diesen nicht nur als Kulisse untermalt oder aber lieben etwa Isabella Rossellini? Dann ist „The saddest music in the world“ genau das richtige, denn dieser Film nimmt sich einem fulminaten Rundumschlag durch die Filmgeschichte an, setzt sich aus Versatzstücken etwaiger Genres zusammen und gibt sich als knallige Hommage aus, die vielleicht irritieren mag, aber vielmehr doch bereichert. Isabella Rossellini darf sich wieder einmal einer äußerst merkwürdigen Frauenfigur annehmen, Lady Port-Huntly, die zur Zeit der Prohibition ein kleines, aber bekanntes Lokal führt, das zur Bereicherung einen Liedwettbewerb veranstaltet, auf der Suche nach dem traurigsten Lied der Welt. Aus aller Welt reisen die Menschen an, unter anderem auch ihr alter Liebhaber und seine Familie. Diese ist sich ganz und gar nicht grün und aus dem Wettbewerb wird ein erbitterter Kampf, um Ruhm, Ehre, Geld und Liebe. Das ist so abgefahren, dass man sich kaum sattsehen möchte. Ein Tipp: Keine Erwartungen, die werden sowieso enttäuscht, sondern einfach mal ganz unvoreingenommen ins Kino gehen – man wird belohnt.

Aber auch ganz bekannte Namen haben wieder einen neuen Film auf dem Markt, der einen Kinobesuch zu keinem Reinfall machen wird, wie der neue Woddy Allen: „Scoop“.

Regie: Woddy Allen
Großbritannien/USA 2006 – 96 min
Concorde Filmverleih
Filmstart: 16.11.2006

Woddy Allen hat sich hier nicht neu erfunden, der Film ist ein typischer neurotischer Bilderrausch, der sich seinem Hauptdarsteller in genügender Form widmet und eindeutig weg von seinem Vorgänger „Matchpoint“ funktioniert. Es wird lustig. Und auch wenn hier kein wirklicher neuer Kniff geboten wird, so wird man aber auch nicht enttäuscht, sondern gewohnt gut unterhalten – und das ist ja manchmal auch ganz angenehm. Zur Geschichte: Während eines Aufenthalts in London meldet sich die amerikanische Journalistin Sondra bei einer Zaubershow als Freiwillige. Während dieser Show nimmt der Geist einer toten Journalistin Kontakt zu ihr auf und verrät ihr die Identiät des berühmt-berüchtigten „Tarot Card Killer“. Mit beruflicher Neugier macht sie sich auf die Suche nach dem vermeintlichen Mörder, immer unterstützt vom Zauberer. Der wird von niemand anderem gespielt als Allen selbst. Die Suche ist dann auch hübsch komisch und locker und romantisch, denn der Mörder sieht ziemlich gut aus und eine Liebesgeschichte lässt nicht lange auf sich warten. Viele Zutaten, die sich ausnehmend gut mischen lassen, auf dass der Zuschauer bis zuletzt eine funktionierende Ablenkung geboten bekommt.

Mit dieser noch recht kleinen Auswahl kann schon beschrieben werden, was die Filmkunstmesse zu bieten und was sie auch 2007 wieder an abwechslungsreichem Programm dem Leipziger Publikum darbieten wird. Für alle, die es dies Jahr nicht geschafft haben, eine Woche voller Filme zu besuchen, sei aber der Trost schnell zur Hand: denn alle Filme laufen in den nächsten Monaten an und so kann nachgeholt werden, was vielleicht verpasst wurde. Da bleibt dem Almanach nur noch allen Lesern und Filmbegeisterten viel Spaß im Kino zu wünschen! (Tobias Prüwer & Maike Schmidt)

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