Bestenfalls Durchschnitt

Kurt Masur dirigiert das London Philharmonic Orchestra beim Gastkonzert im Rahmen der Gewandhaus-Festwochen

Es war wirklich nicht herausragend, was Kurt Masur und das London Philharmonic Orchestra dem Gewandhauspublikum am 3. Oktober zu bieten hatten – sinfonische Durchschnittskost allenfalls, teilweise nicht einmal das. Wenn Masur als Ehrendirigent des Gewandhausorchesters am Tag der Deutschen Einheit zur Eröffnung der Gewandhaus-Festwochen ein Konzert dirigiert, sind ihm die Standing Ovations natürlich gewiss. Ohne ihn wäre das neue Gewandhaus in dieser Form wohl nicht gebaut worden. Auch Masurs Verdienste zur Zeit der politischen Wende, die ihm auch jenseits der Musikliebhaber einen hohen Bekanntheitsgrad verschafft haben, mögen mit zum frenetischen Beifall beigetragen haben – musikalisch war er jedenfalls nicht zu rechtfertigen.

Schon das Programm war Durchschnitt. Ein Londoner Orchester kommt nach Leipzig und spielt Mendelssohn, Schumann und Brahms – ausgerechnet! Eulen nach Athen zu tragen scheint mir da noch eine sinnvollere Beschäftigung zu sein. Zugegeben, das Orchester spielt dieses Programm auch in anderen deutschen Städten, aber in Leipzig ist die Musik dieses Dreigestirns nun einmal mehr als ausreichend vertreten. Und: Hier wird sie gespielt, wie sonst fast nirgends auf der Welt.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Gewandhausorchester gewinnt den Vergleich mit den Londonern ganz klar, sowohl was den runden, vollen Gesamtklang angeht, als auch in Bezug auf die Leistungen einzelner Musikerinnen und Musiker. Ein übermäßiges Vibrato in der Soloflöte, scharf bis grell klingende Trompeten und Posaunen – von den Hörnern gar nicht zu reden – lassen das Gastorchester nicht gerade überragend aussehen. Masurs Dirigat ist solide, gibt an den entscheidenden Stellen die wichtigsten Impulse (wobei das Orchester durchaus nicht nur aus Streichern besteht!), wirkt dabei aber wenig inspiriert – als sei der Maestro der gespielten Musik schon selbst überdrüssig geworden. All das wäre kaum erwähnenswert, wenn es sich um irgendein Orchester und irgendeinen Dirigenten gehandelt hätte – was aber eben nicht der Fall war.

Auch Helen Huang bewies, dass tastensichere Ex-Wunderkinder noch lange keine überragenden Schumann-Interpretinnen werden müssen. Ähnlich unpersönlich gespielt habe ich das Konzert a-Moll bisher kaum gehört. Masur, der Entdecker der jungen Musikerin, umarmte diese nach der Aufführung mit sichtlicher Zuneigung, hatte zuvor aber eher neben ihr her dirigiert. Ein wirklicher Dialog, auf den es Schumann ja gerade ankam, entspann sich kaum einmal. Besonders schlimm kam es im dritten Satz: Fast prophetisch wies das Programmheft darauf hin, wie heikel der Satz rhythmisch für Solisten, Orchester und Dirigenten sei – was Huang, Masur und sein Orchester prompt bewiesen, indem sie über mehrere Takte hin nicht zusammen bringen konnten, was doch zusammen gehört. So etwas darf einfach nicht sein.

Das Konzert war also eine Enttäuschung auf der ganzen Linie – zumindest für mich. Ich will niemandem seinen Kunstgenuss verderben: Wer dieses Konzert als musikalische Sternstunde erlebt hat, möge es stets in bester Erinnerung behalten. Ich für meinen Teil kann mich jedoch an eine Vielzahl hervorragender Konzerte erinnern, deren weitgehend unbekannte Dirigenten allenfalls mit einem Gefälligkeitsapplaus „belohnt“ wurden. Und so etwas stimmt mich doch nachdenklich.

Gastkonzert im Rahmen der Gewandhaus-Festwochen

London Philharmonic Orchestra
Kurt Masur, Dirigent
Helen Huang, Klavier
Felix Mendelssohn-Bartholdy: „Hebriden“-Ouvertüre op. 26
Robert Schumann: Klavierkonzert op. 54
Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 2 op. 73

3. Oktober 2006, Gewandhaus, Großer Saal

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