Denkwürdige Aufführung

Das Gewandhaus ehrt Schostakowitsch mit einem Konzert zum 100. Geburtstag

Es ist schön, dass das Gewandhaus Dmitri Schostakowitsch zu seinem 100. Geburtstag mit einer Reihe von großen und kleineren Konzerten ehrt. An diesem Abend steht neben seiner „Leningrader“ Sinfonie das 5. Klavierkonzert von Beethoven auf dem Programm. Letzteres erfreut sich bis heute größter Beliebtheit; ob es dramaturgisch zum Schostakowitsch passt, steht auf einem anderen Blatt…

Lars Vogt präsentiert uns keinen glatten Beethoven – vielmehr zeigt er uns den Revolutionär der Eroica-Zeit. Entsprechend wirkt Vogts Spiel eher emotional als intellektuell. Das soll nicht heißen, er spiele unreflektiert, aber dennoch: Es sind große Emotionen, die Vogt dem Publikum übermittelt, keine bis ins letzte Teil durchgestalteten Beethoven-Analysen. Wie das heutige Konzert wieder einmal beweist, ist diese Herangehensweise auch völlig legitim, wenn das Ergebnis künstlerisch überzeugt. Vogt ist selbst sichtlich ergriffen von der Musik und seine Begeisterung prägt auch den Vortrag. Das Pathos des Kopfsatzes, die Lyrik des Mittelsatzes und der Jubel des Finales werden von Vogt mit durchlebt und damit auch dem Publikum erlebbar gemacht, zumal Vogt über eine beeindruckende Palette pianistischer Mittel verfügt. So erleben wir einen mitreißenden Beethoven, der zwar stilistisch etwas indifferent wirkt, dessen Unmittelbarkeit und Frische aber zu den großen Vorzügen der Aufführung gehört.

Schostakowitsch‘ 7. Sinfonie ist das, was man gemeinhin ein Bekenntniswerk nennt. Entstanden als Reaktion auf sozialistische und nationalsozialistische Gräueltaten, ist es zugleich ein Sinnbild für die Leiden des Menschen überhaupt. Dmitri Kitajenko kennt diese Musik wie kaum ein anderer, und diesem Umstand verdankt die heutige Aufführung vor allem ihre Größe. Wie Kitajenko Spannung aufbaut und aufrecht hält, wie er Zusammenbrüche inszeniert und aus ihnen Neuanfänge entstehen lässt, wie er Verzweiflung und Hoffnung Ausdruck verleiht, das sucht seinesgleichen. Das Orchester folgt ihm in vorbildlicher Weise und setzt in den hervorragenden Solo-Passagen eigene Akzente. Eine denkwürdige Aufführung.

Anmerkung am Rande: Besonders lange Konzerte sollten nicht erst um 20 Uhr beginnen. Ein derart komplexes Werk wie Schostakowitsch „Leningrader“ Sinfonie lässt sich nach 22.30 Uhr nur noch von ausgesprochenen Nachtmenschen angemessen rezipieren. Die Aufmerksamkeit des Publikums ließ denn auch gegen Ende spürbar nach.

Dmitri Schostakowitsch zum 100. Geburtstag

Gewandhausorchester
Lars Vogt, Klavier
Dmitri Kitajenko, Dirigent
Ludwig van Beethoven: 5. Konzert für Klavier und Orchester Es-Dur op. 73
Dmitri Schostakowitsch: 7. Sinfonie G-Dur op. 60 („Leningrader“)

22. September 2006, Gewandhaus, Großer Saal

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