Das wurde Zeit

Verleihung des Nobelpreises an Cees Nooteboom

Nie ist der Jury die Entscheidung für den Literatur-Nobelpreis so leicht gefallen wie dieses Mal. Lediglich eine Sitzung benötigte das Gremium, dessen Mitglieder sonst für wochenlange Debatten und Beschimpfungen bekannt sind. Der Preis dieses Jahres müsse endlich an einen würdigen und unumstrittenen Preisträger gehen, hatten die Stockholmer Medien gefordert. Nach der Mitteilung, daß Cees Nooteboom nach Harold Pinter (2005), Elfriede Jelinek (2004), John M. Coetze (2003) oder Günter Grass (1999) der Ausgezeichnete sei, wußte jedermann, daß mit ihm der Richtige gefunden ist. Auffällig war eine nicht unbedingt übliche Einigkeit des Gremiums: „Diese Entscheidung ist uns sehr leicht gefallen“.

Der Nobelpreis ist mit 7,9 Millionen Kronen, umgerechnet rund 1,1 Millionen Euro, dotiert. Anders als alle anderen Nobelpreise wurde der Literaturpreis nicht am 10. Dezember überreicht, dem Todestag des Preisstifters, Industriellen und Dynamit-Erfinders Alfred Nobel (1833-1896), sondern am 17. Oktober 2006 im stimmigen Ambiente eines Leipziger Jugendstilhauses in der Kantstraße.

Mit der Verleihung des Literatur-Nobelpreises erhält Nooteboom eine längst überfällige Auszeichnung. Seit Cervantes Don Quijote, Nabokovs Durchsichtige Dinge und Borges Fiktionen gebe es kein Buch, das wie die Die folgende Geschichte schon für sich allein genommen den Nobelpreis verdient habe. Wie kein anderes Werk habe dieses eine, noch dazu schmale Buch „in der Literatur das Ausgezeichnetste in Richtung auf ein Ideal hin hervorgebracht“ und dem Wohle der Menschheit gedient. In der kurzen Laudatio, die dem Preisträger zwischen neueren Computerbildschirmen, Kopierern und Faxgeräten im Reich der Literatur nach mehreren Jahrhunderten Akademiegeschichte gehalten wurde, würdigte man (bevor Nooteboom selbst zu Wort kam) auch seine anderen Werke, Geschichten wie Ein Lied von Schein und Sein und Mokusei und vor allem die Gedichte. Dabei holte man exakt die Zeit ein, stellte den Zeiger der goldenen Uhr, ein Geschenk des Akademiegründers, ein wenig vor, und beim Glockenschlag ein Uhr wurde die Tür zum anschließenden Raum geöffnet und den versammelten Journalisten zu Ehren des neuen Nobelpreisträgers das folgende Gedicht rezitiert:

Das folgende Gedicht

du stehst an den Straßen
wo die Wörter wohnen
um ihnen die Heimat
das Verklingen zu nehmen

zerrst sie aus ihren Behausungen
aus Schall und Rauch
und hältst sie fest in deinem
Geäst, alter Nußbaum

läßt keines entkommen
läßt sie wehen und flehen
und tönen und stöhnen
gebannt an den Ort

es ist längst geschehen: einst
kommst du hier nie wieder fort

Verleihung des Literatur-Nobelpreises 2006
an den niederländischen Schriftsteller Cees Nooteboom

17. Oktober 2006, Leipziger Jugendstilhaus von 1899

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