Diskurs um Neue Musik

Ein Gespräch mit Hannes Pohlit vom Ensemble Leipzig 21

In den Diskurs über Neue Musik in Leipzig scheint Bewegung zu kommen. Am 1. Juli dieses Jahres fanddas Gründungskonzert des ensemble leipzig 21 im Zimeliensaal des Grassimuseums statt. Über einhundert Besucher im damals fußballtrunkenen Land, das ist, selbst wenn man mal die Freunde und Förderer abzieht doch noch eine beachtliche Anzahl Interessierter und Enthusiasten. Ein Beitrag im Forum des leipzig-almanach beschreibt das Programm des Konzert als sehr gelungen und das in einer musikalischen Qualität, welche durch das Publikum ausgiebig gewürdigt wurde. Am 28. Oktober 2006 findet das nächste Konzert mit Werken von Hans Werner Henze, Andrés Maupoint, Alexander Strauch und Franz Schreker im Bundesverwaltungsgericht statt. Anlass für ein Gespräch mit dem Dirigenten und Leiter von ensemble leipzig 21 Hannes Pohlit.



Steffen Kühn: Seit vielen Jahren ist Neue Musik in Leipzig fest mit musica nova und dem Komponisten und Interpreten Steffen Schleiermacher verbunden. Können wir uns in Zukunft auf eine spannende Konkurrenz freuen?

Hannes Pohlit: Keinesfalls sehen wir uns in einer Konkurrenzsituation in dem Sinne, dass wir vorhandene Strukturen verdrängen möchten. Vielmehr wollen unsere Programme in ihrer sorgsamen Konzentration klar verständliche inhaltliche Zusammenhänge schaffen. Das Repertoire des 20. Jahrhunderts soll gleichsam aufgearbeitet und im Dialog sowohl mit der Musik vergangener Epochen als auch junger, noch kaum etablierter Komponisten in einen historischen Kontext gestellt werden. Ich glaube, dass das Wissen um den ästhetischen wie historischen Hintergrund eine unerlässliche Grundlage darstellt für die Verständlichkeit eines „neuen“ Werkes.

Steffen Kühn: Das macht neugierig, liegt doch nach meiner Meinung das Problem der Neuen Musik oft nicht im Inhalt sondern in der Art der VermittlungHannes Pohlit: Ich glaube, es ist aber auch an der Zeit, die statistischen Denkmodelle des Postserialismus zu überwinden. So verlieren beispielsweise gerade im Zeitalter der Globalisierung nationale Einordnungen stetig an Bedeutung. Insbesondere unser Konzert am 11. 11. im Grassi-Museum mit dem Titel „Pythagoras‘ Erben“ bemüht sich um eine hochaktuelle und neuartige Auseinandersetzung mit den gemeinsamen antiken Wurzeln der abendländischen und der vorderorientalischen, der osmanischen Musiktradition. Hier ist vielleicht allein die Musik in der Lage, echte zivilisatorische und geistige Zusammenhänge aufzudecken. Wir möchten verhindern, dass unsere Programme anderen Ordnungsprinzipien unterstellt werden als den musikalischen.
So haben Franz Schreker und Hans-Werner Henze rein äußerlich kaum etwas miteinander gemein. Ihre Musik jedoch spricht von starken ästhetischen Beziehungen, und für diese haben wir im kommenden nachträglichen Geburtstags-Konzert für Hans-Werner Henze am 28.10. einen Rahmen geschaffen.Steffen Kühn: Damit sprechen Sie ja sicher ein spezielles Publikum an. Wie wichtig ist Ihnen die Moderation eines Konzertes?

Hannes Pohlit: Ich finde es wichtig, dem Publikum spezielle Hinweise auf das Hörerlebnis zu geben. Vielleicht gibt es da ein Idealmaß in Dauer und Ausrichtung einer Moderation, aber wir sind stetig dabei, neue Wege für die Vermittlung zu erschließen, ohne das Publikum zu sehr vom Hören abzulenken.

Steffen Kühn: Warum wird immer versucht klassische Musik zu erklären? Ich denke, das sind auch noch die Überreste der klassischen Moderne, die ja zum Teil die Tendenz hatte, dem Zuhörer vorzuschreiben was im ästhetischen Sinn schön ist. Da wurden Schranken zwischen Künstler und Publikum aufgebaut, die wir erst wieder überwinden müssen.

Hannes Pohlit: Das ist sicher ein Problem, aber durch Hinweise auf spezielle Zusammenhänge verbessert sich die Erkennbarkeit einer Komposition. Letztlich bleibt mehr beim Hörer zurück, er kann sich daran erinnern, sich darüber austauschen. Er ist auf das im meisten Falle noch nie gehörte Stück Musik besser vorbereitet und kann somit auch mehr dabei erleben.

Steffen Kühn: Ich würde mich immer gegen zuviel theoretische Erläuterungen entscheiden, für mich leidet dabei das spontane autonome Erlebnis des Hörers. Ihre Konzerte finden bisher in klassischen Aufführungspraxis statt: vorn die aktiven Interpreten, das Publikum passiv, sitzend sozusagen Frontalunterricht. Ich denke, dass diese Praxis gerade bei Neuer Musik ein Grund für die schlechte Resonanz ist, weil sie nicht der Lebenswirklichkeit entspricht, denen die Komponisten und die Hörer heute ausgesetzt sind.

Hannes Pohlit: Wie das? Sicherlich hat uns das 20. Jahrhundert da vielfache neue Möglichkeiten erschlossen. Aber Menschen gehen nun mal ins Konzert, um gute Musik zu hören, außerdem gibt es beim Musizieren nun einmal auch ganz natürliche Gesetzmäßigkeiten. Die Rechteckform des Saales resultiert vor allem aus ihren akustischen Vorteilen. Musiker und Publikum stehen so in direktestem Kontakt.

Steffen Kühn: Ich sehe das Potential da eher auf der Hörerseite. Beispielsweise erinnere ich mich an ein Konzert in der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig, wo der Hörer die Möglichkeit hatte sich im Haus zu bewegen, die Musik mal von allen Seiten, auch von oben zu hören, es gibt da diesen phantastischen zweigeschossigen Raum, das war ein spannendes Erlebnis.

Hannes Pohlit: Ja, es bestehen viele faszinierende Ansätze über neue Raumstrukturen und Konzertformen für Musik. Nur wie gesagt, wir betrachten ein verständliches Programm und eine zutreffende Interpretation als einen ebenso unerlässlichen Weg in die Erschließung musikalischer, hier eben innerlich-musikalischer Räume.

ensemble leipzig 21

www.ensembleleipzig21.de

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