Kunst oder Vandalismus im Kino: „Wholetrain” (Florian Fromm)

Wholetrain
Drehbuch & Regie: Florian Gaag
Mit: Mike Adler, Florian Renner,
Elyas M’Barek, Jacob Matschenz
89 Minuten
Verleih: Movienet Film GmbH
Kinostart: 5. Oktober
Kunst oder Vandalismus?

Seit Mitte der siebziger Jahre die ersten Graffitis die grauen Wände New York Citys zierten, entbrannten und entbrennen immer wieder heftige Diskussionen um die noch junge Subkultur und ihr Verständnis von Kunst. Ob es gefällt oder nicht, der Siegeszug der illegalen Malereien konnte nicht aufgehalten werden und so gibt es nur noch wenige Züge, Brücken und Häuser in den urbanen Zentren der Welt, die nicht mit Schriftzügen bemalt sind oder in der Sprache der Szene: „gebombt wurden“.

Florian Gaag, der selbst jahrelang in der Münchner Graffiti-Szene aktiv war, liefert nun mit Wholetrain ein Regiedebüt, das zu weiteren Diskussionen anregt, darüber hinaus aber eine Geschichte erzählt, die den Zuschauer packt, fesselt und die herkömmliche Klischees gekonnt umschifft.

David, Tino und Elyas gehören zur alten Garde der Sprüher ihrer Stadt. Ihr Stil mag nicht mehr der Neueste sein, aber ihre Leidenschaft für die Kunst mit den Dosen brennt noch immer wie am ersten Tag. KSB-Crew ihr Name, gemeinsame Streifzüge durch die Münchner Innenstadt, bewaffnet mit gestohlenen Sprühdosen ihr Leben. Ihr Alltag abseits der nächtlichen Touren verläuft ähnlich turbulent. Der Kopf der Crew, David, ist, wegen Sachbeschädigung, gerade zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt worden, Tino, der sorglose Hitzkopf der Gruppe, ist noch nicht bereit sich seiner Verantwortung im Leben zu stellen, wirkt völlig überfordert als er einen Tag auf seinen kleinen Sohn aufpassen soll und versetzt seine Mutter und Schwester durch seinen turbulenten Lebensstil ständig in Sorge. Der Schüler Achim stößt neu zur Gruppe hinzu. David führt ihn langsam an die Crew heran, fördert sein Talent und verteidigt ihn gegen anfängliche Skepsis des Deutsch-Türken Elyas. Achim ist stolz ein Teil der Crew zu sein. Doch schon bald bekommt auch er, der Junge aus gesittetem Elternhaus, seine ganz eigenen Probleme.

Zu allem Überfluss fordert auch noch eine neue Crew die Ehre der vier Sprüher heraus, die sich von nun an in den Kopf gesetzt haben einen kompletten Zug zu (be)malen, einen sogenannten „Wholetrain“. Bei Joints und HipHop-Musik arbeiten sie gemeinsam an ihren Skizzen bis die Nacht dann endlich gekommen ist. Nach dem Einbruch ins Zugdepot steigt der Adrenalinspiegel an, sie beginnen ihr Werk, doch am Ende kommt alles ganz anders…

Spielfilme, deren Ansprüche in einer möglichst wirklichkeitsgetreuen Darstellung einer Subkultur liegen, haben seit jeher einen schweren Stand. Die Gratwanderung zwischen Erklärstück für die einen und authentischer Umsetzung für diejenigen, die sich dieser Subkultur zugehörig fühlen birgt für jeden Regisseur eine große Gefahr. Das Vorhaben wird zusätzlich erschwert wenn man versucht die Geschichte junger Menschen zu erzählen, deren Leidenschaft in großen Teilen der Gesellschaft verpönt und ständig mit falschen Klischees gefüttert wird. Florian Gaag gelingt es trotzdem.

Vor allem gelingt es ihm, weil er gar nicht erst versucht Verständnis für seine Protagonisten einzufordern. Es werden keine großen Erklärungen geliefert, die Figuren erklären sich selbst. Man wird förmlich hineingeworfen in das Leben dieser jungen Menschen, die Handkamera bringt einen mitten ins Geschehen. Der Zuschauer wird einfach mitgezogen auf eine Reise durch die Betonwüste Münchens. Das Bild der gelangweilten Jugendlichen, die sich zur eigenen Belustigung Spraydosen zur Hand nehmen, um damit Hauswände zu beschmieren, verschwimmt allmählich. Sie sind nicht die Verlierer der Gesellschaft, ihre soziale Herkunft ist sehr verschieden und Graffiti ist für sie mehr als nur ein willkommener Zeitvertreib. Gegen alle Konventionen der geldregierten Welt, haben sie sich mit ihren nächtlichen Kunstwerken einen ganz eigenen Wertekatalog zusammengestellt. Das eine Foto des Zuges, den man vergangene Nacht „gebombt“ hat bedeutet alles, den „Fame“ der Straße, den Respekt und die Anerkennung Gleichgesinnter kann man nicht mit Geld aufwiegen, das macht Graffiti aus.

Unter der Oberfläche liefert Gaag ein beeindruckendes Porträt einer Generation, die versucht ihre eigene Identität zu finden, Gemeinschaftsräume zu schaffen (und Graffiti ist nur einer davon) und der erdrückenden Unpersönlichkeit der schnelllebigen Welt des 21. Jahrhunderts etwas entgegenzusetzen. David, Tino, Elyas und Achim sind wahrlich keine Helden, getrieben von Selbstzweifeln, teilweiser Unreife und auf der Suche nach ihrem Platz im Leben sind sie Abbilder der heutigen Generation zwischen 16 und 26 Jahren, deren Verhalten in kleinbürgerlichen Kreisen häufig auf Unverständnis stößt.(Florian Fromm)

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