Let\’s get out of here!: „Heartbreak Hotel” (Fabian Frauendorf)

Heartbreak Hotel
LOFFT
Regie: Mario Keipert
Eine Bühnenproduktion von IDproduction
Koproduziert von LOFFT &
Projekttheater Dresden
Mit: Ingmar Skrinjar, Carsten Wilhelm &
Katinka Wondrak
Premiere: 15. Oktober 2006


Wühltisch der Leitbilder

„Heartbreak Hotel“ war der erste Number-One-Hit von Elvis Presley, der 1956 auf der gleichnamigen Single erschien und sich über 100 Wochen in den Charts behauptete. Inzwischen bietet ein Drei-Sterne Heartbreak Hotel in Memphis den Graceland-Touristen Übernachtung mit Vollpension und Elvis steht für ein allgemein kompatibles Produkt-Image in der Konsumgüter- und Freizeitindustrie. 1988 kam ein Film von Chris Columbus mit gleichem Titel und mit David Keith in der Rolle der Rock’n’Roll-Legende auf die Leinwände. Mitte der 90er schließlich veröffentlichte Mark Childress eine fiktive Elvis-Biographie, die ebenfalls Heartbreak Hotel titelt. Buch und Film dienten vermutlich auch als Anregung für die Bühnenproduktion von IDproduction in Koproduktion mit dem LOFFT und dem Projekttheater Dresden unter der Regie von Mario Keipert, die Mitte Oktober im LOFFT ihre Premiere erlebte.

Die Darsteller Ingmar Skrinjar, Carsten Wilhelm und Katinka Wondrak machen uns die 50er, 60er, und 70er; eine Ära, als Utopie und Sinnsuche junger Menschen, in der Identifikation mit rebellischen Rock-Rabauken lag und die Flucht aus der puritanischen Moral-Presse nordamerikanischer Kleinstädte im Cadillac über endlose Highways in die kalifornische Freiheit führte. Ja, damals, das war eine Zeit des Aufbegehrens gegen die erstarrte Elterngeneration, eine Epoche, da Rock-Musik den Weg in die sexuelle Befreiung ebnete und die persönliche Erfolgsstory ganz bestimmt nur ein paar hundert Meilen hinter’m Horizont beginnen würde … So jedenfalls die Verheißungen eines Jugendstils.

„Let’s get out of here!“, lautet dann auch das Leitmotiv des Abends. Die Akteure begeben sich auf einen vermeintlichen Road-Trip über die Gemeinplätze der Ikone aus Funk und Film dreier mythologisierter Jahrzehnte und bereiten einen bunten Eintopf aus epochalen Songs, Literatur- und Filmzitaten. Dabei wird viel und schön gesungen, gesprungen und mit dem Text gerungen, der stets ausnehmend maniriert daherkommt. Man fragt sich ständig: „Was habt ihr denn bloß? Redet doch mal normal!“ Stattdessen Gedöhns und Gedröhne. Bunte Kostümchen und Perücken. Die Bühnenrückwand wird hin und wieder mit Filmstill-Dias dekoriert. Johnny zupft die E-Gitarre und Bonnie darf auch mal ins Mikro sprechen. Dabei wurden – auf den ersten Blick – wirklich drei interessante Typen gecastet, und es entsteht der Wunsch, dass sie doch mal was erzählten, zum Beispiel von sich. Aber was haben sie zu erzählen?

„In dieser Show werden Geschichten anprobiert wie Kostüme. Im HEARTBREAK HOTEL sind moderne Mythen die Leitbilder für das eigene Leben“, heißt es in der Ankündigung der Inszenierung. Allerdings deutlichen sich die fetischisierten Leitbilder, die da anprobiert werden wie Restposten vom Wühltisch, als Erzeugnisse des modernen Waren-Spektakels (Debord). Die da „Leitbilder für das eigene Leben“ probieren wollen, sind schon längst hypnotisch der über die Realität erhabenen Pseudo-Welt von Oberflächenerscheinungen auf den Leim gegangen und exemplifizieren die bewusstlose Degradierung vom Sein zum Scheinen.

Was die Gruppe um Keipert präsentiert, aber mitnichten reflektiert, beschreibt Guy Debord treffend in § 30 der Gesellschaft des Spektakels:

Die Entfremdung des Zuschauers zugunsten des angeschauten Objekts (das das Ergebnis seiner eigenen bewußtlosen Tätigkeit ist) drückt sich so aus: je mehr er zuschaut, um so weniger lebt er; je mehr er sich in den herrschenden Bildern des Bedürfnisses wiederzuerkennen akzeptiert, um so weniger versteht er seine eigene Existenz und seine eigene Begierde. Die Äußerlichkeit des Spektakels im Verhältnis zum tätigen Menschen erscheint darin, daß seine eigenen Gesten nicht mehr ihm gehören, sondern einem anderen, der sie ihm vorführt. Der Zuschauer fühlt sich daher nirgends zu Hause, denn das Spektakel ist überall.

Es ärgert der gar nicht kurzweilige Reigen übersinnlich sinnentlehrter Spektakel-Bilder eines Theaterschaffenden, der den Eindruck vermittelt, er sei bereits mit seiner Penneler-Lyrik gescheitert und übe sich nun in Bühnen-Prosa, weil die Ressourcen für einen Film nicht genügten und derlei Streifen ja auch schon längst produziert wurden. Wenn die Darsteller ostentativ zu Coke und Marlboro greifen, dann ist das nicht prosaisch, sondern beängstigend, angesichts der Rückwirkung, die die trivialmythischen Bilder aus der Staffelei der Marketing-Strategen tatsächlich haben.

Im Laufe des Abends kommen die Darsteller zu der Erkenntnis: „Das ist doch alles Scheiße mit Sahne!“ Das trifft’s. Und zwar ein ziemlicher Haufen davon. Und es folgt die Frage ans Publikum: „Und was jetzt?“ – ein Moment, in dem die Hoffnung aufkeimt, dass tatsächlich noch etwas Bemerkenswertes geschehen könnte an diesem Abend. Ein Moment, der ertränkt wird im klebrigen Sahne-Häubchen, mit dem Katinka Wondrak dem Produkt-Spektakel ein abgeschmacktes Ende setzt: der unvermeidliche „Love me tender“-Song, der nur eine Reaktion zulässt: „Let’s get out of here!“.


(Fabian Frauendorf)

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