Girls just wanna have fun: Sofia Coppolas „Marie Antoinette” (Julie Kaiser)

Marie Antoinette
Regie: Sofia Coppola
Mit: Kirsten Dunst, Jason Schwartzman,
Steve Coogan, Molly Shannon, Rip Torn
USA 2006 – 118 min.
Sony Pictures Releasing GmbH
Kinostart: 2. November 2006
Sofia Coppolas Marie Antoinette streift mit rosaroter Brille durch Versailles
Das Rokoko, diese überzüchtete und zarteste Blüte uralter
Kultur, das Jahrhundert der feinen und müßigen Hände,
des verspielten und verzärtelten Geistes wollte, ehe es
unterging, sich darstellen in einer Gestalt. Kein König,
kein Mann hätte nun dies Jahrhundert der Dame im
Bilderbuch der Geschichte repräsentieren können – nur in
der Figur einer Frau, einer Königin, konnte es sich abbilden,
und diese Königin … war Marie Antoinette.
Stefan Zweig: Marie Antoinette – Bildnis eines mittleren Charakters

Mit Marie Antoinette dreht Sofia Coppola einen Historienfilm in Bonbonfarben. Der Zuschauer wird unkritisch mit der Welt der jungen Marie Antoinette vertraut gemacht die hauptsächlich aus Sahnebaisers und Champagner zu bestehen scheint. Der Blick des Films beschränkt sich auf die vermeintlichen Interessenfelder der Teeny-Königin selbst und damit auf Modefragen, Musik, Jungs und extravaganten Frisuren.

Unschöne Fakten werden konsequent nicht bebildert. So sieht man weder hungernde Untertanen noch Maries Hinrichtung. Auch die Halsbandaffaire wird in nur einem Satz angedeutet. Das wohl Ironischste im Film ist Marie Antoinettes plötzliche Reflexion über Rousseaus Ideal vom edlen Wilden und der Freiheit im Naturzustand. Dass der einflussreiche Philosoph selbst der Königin den Spruch unterstellte: „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“, übergeht der Film ebenfalls großzügig. Zudem wird dieser gekünstelte Monolog auch noch genregetreu über Bilder von schweren Röcken die durch Grass rascheln gesprochen. Man fühlt sich erinnert an das friedliche Refugium des Gartens in Howards End.
Girls just wanna have fun

Das einzige was anfangs nicht rosig aussieht ist ihre Ehe. Der erste Teil des Films konzentriert sich wie die Buchvorlage von Antonia Fraser auf den grotesken Brautzug, der durch ganz Süddeutschland nach Straßburg zur Übergabe des Mädchens führte. Auf Grenzgebiet angekommen, muss sie sich von Kleidern und Freunden trennen, doch erst als ihr Mops ihr entrissen, weint der Teenager. Unsicher, nur in Strümpfen, steht sie vor dem Zuschauer im Wald und man möchte sie fast bemitleiden. In diesem Moment verwandelt sich die kleine österreichische Erzherzogin Maria Antonia in die französische Dauphine Marie Antoinette. Professionell schreitet sie einem Leben entgegen, dessen einzige Bestimmung die Geburt eines Thronfolgers ist – wie sich herausstellt, kein leichtes Unterfangen. In ihrem Ehebett kriegt die junge Dame höchstens kalte Füße, aber eben kein Kind. Der Druck auf sie wächst und mit ihm der höfische Tratsch. Schnell jedoch findet sie sich in den Kreis der Klatschweiber ein und zelebriert ihre Abneigung gegen die ordinäre Mätresse des regierenden Königs, Madame Dubarry.

In der zweiten Stunde des Films wird das Erzähltempo glücklicherweise angezogen. Denn mit der Geburt ihres ersten Kindes wachsen ihre Freiräume am Hof. Maskenbälle, auf denen jeder mit jedem ungeachtet der sonst so starren gesellschaftlichen Ränge schäkert, Opernbesuch und Müßiggang mit eigener Boygroup folgen. Diese Ausbrüche der jungen Frau sind mit aktueller Rockmusik unterlegt und untermalen ihr Rock-koko Lebensgefühl. Dieser musikalische Kontrast zu der ansonsten klassischen Musik zeigt vielleicht am besten worauf Sofia Coppolas Augenmerk liegt: Dies ist das stilisiertes Portrait eines süßen Mädchens. Dabei setz sie auf Altbewährtes aus ihrem ersten Film, The Virgin Suicide: Kirsten Dunst zum Elektropop von Phoenix.
Statt Geschichte gibt es Stillleben

Die Komposition der Bilder ist sichtlich inspiriert durch Gemälde des 18. Jahrhunderts. Schöne Bilder werden gezeigt, fast wirkt der Film wie ein Daumenkino aus einem Kunstbuch. Die mehr oder weniger bewegten Bilder zeigen alle paar Minuten eine neue kunstvolle Frisur, Detailansichten des Versailler Interieurs oder kulinarische Meisterwerke. Das Team der Fooddesigner und Figaros schafft Atemberaubendes. Das süßeste ist jedoch die keine Marie Antoinette.

Mit reichlich Zuckerguss wird Kirsten Dunst zur Petit Four chaud – einer linguistischen Verschmelzung des französischen aus Törtchen und heißem Ofen. Sofia Coppola hat genau das in Bilder übersetzt. Mal leckt sich Kirsten Dunst auf cremefarbenem Sofa Torte vom Finger, mal verführt sie in weißer Strumpf-Glasur und blauer Strumpfbanddekoration. Es scheint, dass sich Sofia Coppola mit der Dreherlaubnis für Versailles den Schlüssel zur Erfüllung des Kleinmädchentraums vom Prinzessinenleben in den Händen zu haben. So kommt es, dass alles was wir sehen mit den kindlichen, staunenden Augen der kleinen Sofia sehen. Nicht weniger Teenager als die 15-jährige Braut ist ihr Gemahl, der wunderbar von Jason Schwartzman verkörpert wird. Wie er in I love Huckabees besticht er durch tragische Komik. Sein verschrobener, naiv einfältiger Charakter bringt einen Hauch von trockenem Humor in das „Portrait morte“.(Julie Kaiser)

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