Mehr Widerspenstigkeit bitte!

Das Erfolgsmusical „Kiss me, Kate“ eröffnet die Saison an der Musikalischen Komödie in einer zahmen Inszenierung

Jenes Premieren-Fieber, von dem Leipzigs Musical-Diva Sabine Töpfer als Garderobiere Hattie mit unverkennbar grooviger Stimme und vollem Körpereinsatz eingangs zu berichten weiß, kann mitunter etwas Grausames sein. Nicht nur die bange Frage, ob das Resultat eines langwierigen Probenprozesses am Ende bei Publikum und Presse auf Gnade stößt, auch die Realität selbst kann diese vermeintliche Schein-Welt gehörig durchkreuzen und alle erträumten Höhenflüge zum Platzen bringen. So geschehen unmittelbar vor der anberaumten Premiere von Cole Porters Erfolgsmusical Kiss me, Kate an Leipzigs Musikalischer Komödie. Mit der Neuinszenierung sollte der Broadway-Klassiker endlich wieder in der Dreilindenstraße heimisch werden und alle Anzeichen standen auf Erfolg, da die bewährten Lindenauer Kräfte von Regisseurin Ana Christine Hafter, deren Rocky Horror Show zu den größten Publikumserfolgen der neueren Leipziger Theatergeschichte zählt, erneut zu Höchstformen animiert werden sollten. Doch kurz vor Erreichen des Ziels machte eine Hiobsbotschaft einen Strich durch die Rechnung: Aufgrund der fiebrigen Erkrankung einer Hauptdarstellerin musste die seit langem ausverkaufte Premiere um zwei Wochen verschoben werden.

Als sich am 14. Oktober endlich der Vorhang für Kiss me, Kate öffnet oder vielmehr schon vor der Aufführung den Blick auf die leere, die Mechanismen der Illusion nicht verbergende Bühne freigibt, scheint sich das lange und bange Warten gelohnt zu haben. Das emsige Durcheinander von Stars und Sternchen, Bühnenarbeitern und Reinigungspersonal verspricht ein kurzweiliges Spiel zwischen Schein und Sein, weshalb die zur Schau gestellten „toi, toi, toi“-Rituale des Ensembles schier überflüssig wirken. Zwar leert sich die Bühne bereits wieder während der ersten Ouvertüren-Akkorde, doch die aus dem Graben tönende Klangkultur ist aller Ehren wert: Stefan Diederich und sein exzellent disponiertes Orchester bieten bereits in diesem Potpouri einen vielversprechenden Vorgeschmack auf das Kommende, changieren mühelos zwischen rhythmisch-schmissigem Broadway-Jazz und lyrischen Anleihen aus der Wiener Operette.

All das lässt einen kurzweiligen, gewitzten Theaterabend erwarten, denn in Cole Porters 1948 uraufgeführtem Musical hat weder die Musik ihren Reiz eingebüßt, noch die Handlung dank ihrer „Theater im Theater“-Situation merklich an Patina angesetzt, denn immerhin stand mit The Taming of the Shrew ein echter Shakespeare Pate: Fred Graham, Regisseur und Schauspieler im besten Mannesalter, inszeniert mit einem zweitklassigen Ensemble Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung, die in seiner Adaption nicht im altehrwürdigen Padua, sondern in einem gleichnamigen, halbseidenen Heirats-Club vollzogen werden soll. Obwohl über den jugendlichen Liebhaber entschieden hinausgereift, besetzt er sich selbst als Petruchio, die titelgebende Katharina soll hingegen von seiner nicht minder widerspenstigen Ex-Frau Lilli Vanessi gespielt werden, während die Premiere sinnigerweise am Jahrestag ihrer Scheidung angesetzt ist. Allerdings wird ein Publikumserfolg nicht nur aufgrund jener ostentativen Animositäten und verdrängten Amuritäten, von denen sich Lilli und Fred im Leben wie auf der Bühne leiten lassen, stets gefährdet: Shakespeares Komödie nimmt auch bedingt durch den Auftritt zweier Gangster, die einen vermeintlich von Fred unterschriebenen Schuldschein einzulösen gedenken, kurzerhand von ihm aber zu einer recht unkonventionellen Zähmung jener Widerspenstigen engagiert werden, einen gänzlich unerwarteten Verlauf.

Doch die berechtigten Hoffnungen, dass sich diese Interaktion zwischen dem Theater auf der Bühne und jenem nicht weniger spannenden Theater des alltäglichen Lebens in der Inszenierung widerspiegelt, werden bereits im ersten Bild jäh enttäuscht, da die schleppende Probe der Applausordnung auf das Hauptmanko der jüngsten Lindenauer Premiere verweist: Zu selten sind die originellen und subtilen Regieeinfälle neben den altbewährten Gags, zu lang geraten die Dialoge gegenüber den musikalischen Nummern, zu unverwoben erscheinen hingegen die Handlungsszenen mit den wirkungsvoll einstudierten Showelementen. Ohne Zweifel besitzt auch diese Produktion Szenen, die in allerbester Musical-Manier aufwarten können: So springt der Funke unmittelbar aufs Publikum über, wenn in „Es ist viel zu heiß“ Alexander Voigts herrlich neurotischer Garderobier Paul mit den Herren von Ballett und Chor in einer fulminanten, dabei äußerst witzigen Choreographie die knisternde Atmosphäre förmlich in der Luft spüren lässt, während Sabine Töpfer als besungene „Süße“ im Leoparden-Mini mit betörendem Hüftschwung ein sehr krudes Sexappeal ausstrahlt. Zur Handlung trägt dieses rare szenische Highlight allerdings in keiner Weise bei, es dient stattdessen lediglich einer momentanen Unterhaltung und lässt schmerzlich bewusst werden, wie wenig Rahmen- und Binnenhandlung in der Inszenierung aufeinander Bezug nehmen. Denn während Regisseurin Haffter Ende der vergangenen Saison Hair auf der großen Opernbühne als atmosphärische Hippie-Retrospektive anlegte und mit den hart an der Grenze zur Peinlichkeit entlangsegelnden Dialogpassagen nichts Rechtes anzufangen wusste, verlässt sie sich in Kiss me, Kate zu sehr auf die Zugkraft der musikalischen Nummern, ohne diese in ein deutlich zutage tretendes dramaturgisches Gesamtkonzept einzubinden. Reibungsfläche bietet ihre Inszenierung somit kaum: Zwar ist es durchaus originell, wenn sich im „Club Padua“ die Heiratswütigen beiderlei Geschlechts auf einer riesigen rosa Hochzeitstorte mustern dürfen und das widerspenstige Mannsweib Lilly/Kate die Gelegenheit nutzt, um ihre lästigen Freier mit vergifteten Rosenpfeilen aus dem Weg zu räumen, während Fred/Petruchio von diesem Spektakel ungerührt weiter in seine Zeitungslektüre vertieft ist und seelenruhig die ihm geltende Pfeile auffängt. Allerdings fehlt dem Verkupplungs-Etablissement jegliche Aura des Verruchten, da diese zwielichtige Lokalität trotz des brünftig röhrenden, selbstredend ebenfalls rosafarbenen Vierzehnenders so handzahm daherkommt wie eine Single-Show im öffentlich rechtlichen Vorabendprogramm. Auf Aktualisierungen, für die sich in Kiss me, Kate gerade die nicht gänzlich reibungslos über die Bühne gehende Premiere von Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung geeignet hätte, wird weitgehend verzichtet. Stattdessen wirkt die ohnehin schon schwülstige Schlegel-Tiecksche-Shakespeareromantik durch den alles dominierenden Farbton noch blumiger. Sie kränkelt darunter, dass Hafter die ironische Brechung in Cole Porters Libretto offensichtlich in einer Zurschaustellung jenes Dilettantismus erfüllt sieht, der in Freds Truppe vorherrscht. Erschwerend kommt hinzu, dass sämtliche Dialogpassagen über Mikroports gesprochen werden, was den Protagonisten zwar eine bessere Stimmökonomie gestattet, alles in allem aber für weitere Distanzierungen und somit Längen in den Handlungsszenen sorgt, obwohl gerade Ulrich Graichen als von lockeren Zahnprothesen geplagter Harry/Baptista und Karl Zugowsky als liebestoller Alter Harrison – „Hase“ – Howell eine vorbildliche Sprechkultur pflegen.

Dass sich das Theater auf und hinter der Bühne allerdings in Hafters Inszenierung nicht zu einem Ganzen zusammenfügen mag, ist nicht zuletzt deshalb bedauerlich, da die Musikalische Komödie neben dem Ballett, das sich unter Mirko Mahrs Leitung prächtig entwickelt hat, und dem spielfreudigen, von Wolfgang Horn bestens präparierten Chor auch über eine formidable Solistenriege verfügt, wobei gerade die Hauptpartien mit Cornelia Horak und Uwe-Tobias Hieronimi in jeglicher Hinsicht ideal besetzt sind: Bereits im ersten Duett zwischen Lilli Vanessi und Fred Graham, jenem wahrlich wunderbaren „Wunderbar“, erweisen sie nicht nur in schwelgender musikalischer Harmonie dem Wiener Walzer eine augenzwinkernde Reminiszenz, sie können auch glaubhaft verkörpern, dass bei allen zur Schau gestellten narzistischen Eitelkeiten und gehässigen Spitzen ihre Herzen noch für einander schlagen. Somit lebt Lillis legendäre, auf offener Bühne vollzogene Zähmung allein von der Bühnenpräsenz der Protagonisten. Außerdem gelingt es Horak, ihrer Lilli/Kate selbst in den kratzbürstigsten Ausbrüchen einen gewissen anmutigen Charme zu verleihen und stimmlich mit einem lupenreinen lyrischen Timbre zu bezaubern, während Hieronimi als gewitzter, im doppelten Wortsinne schlagfertiger Fred/Petruchio zwar mit baritonalem Wohlklang aufwartet, allerdings nicht immer verheimlichen kann, dass er sich gesangstechnisch prinzipiell eher in der Oper als im Mikroport verstärkten Musical beheimatet fühlt.
Unter den weiteren Protagonisten stechen vor allem die beiden Ganoven ins Auge, deren Auftritt schon rein optisch für gelungene Lacher sorgt, denn Ralph Morgenstern, Deutschlands berühmteste TV-Klatschtante, und der Lindenauer Erzkomödiant Folker Herterich bilden allein wegen ihrer körperlichen Gegensätze ein herrliches Paar, deren komisches Talent jedoch bald in brachialem Slapstick und den albernen rosa Brautjungfernkostümen erschöpft wird. Im Gassenhauer „Schlag nach bei Shakespeare“ hilft hingegen selbst der technisch verstärkte Prominenten-Bonus nicht weiter: Morgenstern schlägt sich zwar wacker, wird aber – gerade in der vom Premierenpublikum heftig herbeigeklatschen Wiederholung – von dem sonoren Herterich gnadenlos an die Wand gesungen.

Doch selbst die gewieftesten Darsteller wirken verloren, wenn die Regie ein deutliches Konzept vermissen lässt. So mag es nicht verwundern, dass nach einem ziemlich zahmen Finale, in dem Lilli und Fred wieder zueinander gefunden haben, gerade beim nunmehr ,realen‘, von einer Wiederholung der musikalischen Zugnummern begleiteten Applaus deutlich wird, wer der wahre Star des Abends gewesen ist: das Orchester der Musikalischen Komödie unter seinem engagierten Kapellmeister Stefan Diederich, die zusammen mit den Solisten und Ensembles über so manche Durststrecke der Inszenierung hinweggeholfen haben. Allerdings treten die vertanen Chancen in Kiss me, Kate um so deutlicher zutage, wenn man bedenkt, dass gerade die drei Lindenauer Neuproduktionen der letzten, noch vom jetzigen Chemnitzer Generalintendanten Bernhard Helmich geplanten Saison nicht nur um Einiges unterhaltsamer waren, sondern trotz weniger zugkräftigerer Werke auch entschieden mehr Esprit und satirischen, teils widerspenstigen Biss besaßen. Helmich hat bei seiner Erneuerung des Repertoires die Latte hoch gelegt, nun liegt es auch am neuen MuKo-Direktor Volker Mattern, dieses Niveau in den kommenden Spielzeiten zu halten.

KISS ME KATE

Musikalische Leitung: Stefan Diederich
Inszenierung: Ana Christine Hafter
Ausstattung: Stefani Klie
Choreographie: Mirko Mahr
Choreinstudierung: Wolfgang Horn

Premiere: 14. Oktober 2006

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