Zur euro-scene, die dritte (Michael Wehren)

Konsonanzen ? Dissonanzen: euro-scene Leipzig
16. Festival zeitgenössischen europäischen Theaters
Micro Oper München: Cage Up 2
Alain Platel / Les Ballets C. de la B.: vsprs
Hotel Pro Forma: Theremin
7. ? 12. November 2006


Zur euro-scene, die dritte

Die euro-scene gehört, soviel ist bekannt und Konsens, zu den Highlights des Leipziger Theaterjahres. Abseits der totgetrampelten Wege hohler Eventkultur wird hier seit Jahren eine ebenso überzeugende wie überraschende, hohe künstlerische Qualität geboten, die – und das ist das Wunderbare daran – auch ihr Publikum findet. Aber genug davon, wenden wir uns, zum Abschluss unserer Festivalartikelreihe noch einmal drei konkreten Inszenierungen zu:

Die aus Cornelia Melián und Sabine Liebner bestehende Micro Oper München präsentierte ihre John Cage Performance Cage Up 2 zu später Stunde im Kellertheater der Leipziger Oper. In der Umsetzung der Cageschen Vorgaben durchaus witzig und pointiert, krankte das „inszenierte Konzert“ dann aber doch eben am Szenischen – welches sich manches Mal lediglich als semiprofessionelle Illustration erwies. Merke: auch mit Pferdemaske auf dem Kopf muss man sich bewegen können, beziehungsweise: auch Rumstehen will gelernt sein.

Es folgte dann in den Räumen des Schauspiels das offizielle Highlight des Festivals: Alain Platels vsprs, auf dem euro-scene-grünen Waschzettel schnöde als „Tanz-Musik-Theater“ bezeichnet. Diese Bezeichnung ist nun Gott sei Dank ebenso einfallslos zutreffend wie tiefgestapelt. Zu einer Jazz-Zigeuner-Version der Marienvesper von Claudio Monteverdi, entwickelt der Choreograf Platel einen manchmal kitschigen, manchmal verzweifelten, immer intensiven Gang zwischen Hysterie, Erlösung und Tod. Die geradezu intensive Körperlichkeit seines Tanztheaters verleugnet weder die Gewalt des Zuschnitts, noch die Sehnsucht nach Erlösung. Zuckende, spastische Anfälle, welche immer wieder die Bewegungsabläufe unterbrechen, lassen Gesten, Haltungen hervortreten, zeigen jedoch ebenso den Tanz selbst als (un-)mögliche Arbeit an der Utopie. Nicht zu leugnen ist natürlich, dass auch Platel einen Hang zum Dekorativen hat, die zweite Hälfte der Inszenierung Längen aufweist, jedoch: dies schmälert nicht den Rang der Inszenierung oder die Arbeit der Beteiligten.

Hotel pro Formas Theremin konnte man in den Räumen der Schaubühne bewundern. Die Geschichte des russischen Physikers und Musikinstrumenterfinders gleichen Namens, kam als retrofuturistisches Musiktheater daher: kühle Farben, digitale Projektionen, inszenatorische Zitate von Kraftwerk bis Laurie Anderson. So schön sah mal die Zukunft aus und ein bisschen melancholisch darf man ja die Moderne betrachten. Der Abgesang auf ein Zeitalter in dem Technik gleich Utopie gewesen sein mag, hatte freilich seine besten Momente wenn er in die Nähe früher Arbeiten der slowenischen Künstlergruppe NSK geriet.

(Michael Wehren)


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