WIEN MODERN 2006: „I hate Mozart” (Steffen Kühn)

WIEN MODERN 2006: I HATE MOZART
Theater an der Wien
von Bernhard Lang (Musik) & Michael Sturminger (Libretto)
Uraufführung 8. November 2006

Inszenierung: Michael Sturminger
Musikalische Leitung: Johannes Kalitzke
Ausstattung: Renate Martin & Andreas Donhauser
Klangforum Wien
Turntable-Solisten: Dieter Kovacic & Wolfgang Fuchs
Mit: Florian Boesch, Dagmar Schellenberger,
Andrea Lauren Brown, Salome Kammer, Mathias Zachariassen,
David Pittman-Jennings & Rupert Bergmann
Vokalensemble NOVA
Leitung: Colin Mason

György Kurtág: New Messages op. 34a (seit 1998)
Gerd Kührs: Movimenti (2006) für Violine und Orchester
Hans Werner Henze: Sinfonia N. 10 (1997-2000)
Radio-Symphonieorchester Wien
Dirigent: Stefan Asbury


WIEN MODERN 2006: I HATE MOZART

WIEN MODERN 2006: das sind 140 Werke von 60 Künstlern und Komponisten. Regelmäßig im November manifestiert die Welthauptstadt der Musik ihren Anspruch auf aktuellste Entwicklungen in der neuen Musik. Innerhalb von vier Wochen ergreifen die Neutöner Besitz von den etablierten Spielstädten der Stadt. Dramaturgisch setzten Odo Polzer und Thomas Schäfer den monografischen Ansatz des Festivals fort. In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt auf dem achtzigjährigen Ungarn György Kurtág, einem Komponisten der kleinen Form, der seit seinem ersten Portraitkonzert bei den Berliner Festspielen Ende der 80ziger Jahre mit seiner sehr emotionalen Musik Unruhe in die geordneten Fronten der musikalischen Avantgarde gebracht hat. Im Bereich der allerneuesten Entwicklungen fällt in diesem Jahr der Fokus auf Bernhard Lang. In der Tradition des amerikanischen Minimalismus arbeitet Lang am Thema Wiederholung und Differenz. In der Wiederholung einfachster Formen wird die Spannung in der subjektiven Wahrnehmung der Zuhörer gesucht – eine Musik der Innerlichkeit.

Nie im Leben würde man diese Musik mit I hate Mozart einem Musiktheaterprojekt der Stadt Wien zum Mozartjahr 2006 in Verbindung bringen. I hate Mozart – ein Opera buffa von heute wirft einen genüsslichen Blick auf das Vorher und Nachher einer Opernaufführung: Nichts als Machtspiele, Intrigen unter den Musikern, Mozart nur als Instrument, um persönliche Eitelkeiten und Bosheiten ausleben zu können. Auch der peinliche Blick durchs Schlüsselloch bleibt nicht aus: Adriano im Bett mit der osteuropäischen (!) Sopranistin Simona. Adrianos Ehefrau erhält auf direktes Nachfragen „Did you fuck her?“ ein „Why would you care?“ entgegengeschleudert. Das Spiel mit dem Klischee gerät hier außer Kontrolle, der Tenor – Sarastro ist natürlich schwul!

Die Musik kann sich da nur zurückziehen, einzig Bernhard Langs Erfahrungen mit avancierter Rockmusik werden in rhythmischen Aktionen deutlich, die perkussiven Einspielungen und Geräusche verdichten sich leider nie zu sinfonischer Dichte. Das Klangforum Wien unter der Leitung von Johannes Kalitzke nähert sich mit größter Offenheit der Partitur. Das Ensemble singt auf zauberhaftem Niveau und spielt sich in szenische Höhen, auch hier die größte Bereitschaft sich auf das von Michael Sturminger erdachte Spektakel einzulassen. Das Bühnenbild überrascht mit atemberaubenden Versenkungen und Drehungen der Bühne, freilich nutzt sich dieser Effekt auch bald ab. Dramaturgisch versteht man diesen Festivalbeitrag im Theater an der Wien nicht, aber auch als Abschluss des Mozartjahres der Stadt Wien kann die Produktion nicht überzeugen.

Doch weiter, den Blick nach vorn, und das fällt angesichts des übervollen Programms sehr leicht: Im Großen Musikvereinsaal widmet sich das Radio Sinfonieorchester Wien unter der Leitung von Stefan Asbury den Komponisten György Kutág und Hans Werner Henze, außerdem kommt Gerd Kührs Movimenti zur Uraufführung. Im Saal leider eine größere Anzahl leerer Plätze, doch die freudige Erwartung des Publikums liegt greifbar in der Luft, nicht zuletzt auch die Anwesenheit von Helmut Lachenmann unterstreicht den Anspruch eines lebendigen Festivals.

Wie zerbrechliche Fragmente sind die New Messages op. 34a von György Kutág: Ruhig beginnen die Holzbläser, fast malerisch, wenige Töne, nach einem kurzem Tutti endet der erste Teil Merran´s Dream. Einem volksliedhaften hellem Glöckeln werden in Les adieux abstrakte Streicherflächen entgegengesetzt, Akzente geben die Xylophone. Der 3. Teil ….aus tiefer Not….: laut bäumt sich das Blech auf, nach großen Trommeln erhält die Musik genügend Raum auszuklingen. In Schatten bestimmende Bässe, die grummelnde Struktur wird nur von den Trommeln gestört. Nach drückenden Blechaktionen endet der letzte Teil mit zarten Streichern. Auf engstem Raum verbindet Kurtág schneidende Dynamik mit einer lyrischen Sinfonik von hoher emotionaler Dringlichkeit.

Gerd Kührs Movimenti ist Patricia Kopatchinskaja auf den Leib geschrieben. Während des Einstimmen des Orchesters nähert sich Kopatchinskaja spielend von der Seite, so beginnt unmerklich das Stück. In heftigen Aktionen prallen Orchester und Solistin aufeinander. Kopatchinskaja tanzt wie ein Derwisch mit und um ihr Instrument, ihr fehlendes Schuhwerk unterstreicht den verwegenen Ausdruck. Bisweilen gerät das Stück aus den Fugen: auf der Geige wird gekratzt, gescharrt, geklopft, man fragt sich ernsthaft weshalb man diese Geräusche nicht mit einem adäquateren Instrumentarium erzeugen könnte. Nach dem mächtigen ersten Applaus folgt eine weitere Kadenz der Solistin, der Witz der Komposition kommt gut an, Kopatchinskajas Freude am Slapstick lässt den Saal schmunzeln, in melodischen Abschnitten wiegt sie ihre Geige wie ein Kleinkind.

Nach der Pause Henzes 10. Sinfonie. Stefan Asbury meistert diesen gewaltigen Opus mit Anstand. Dem vollen Streicherapparat stehen elf Musiker an den Schlagwerken gegenüber. Aber sehr ruhig, mit Lust, steigert sich das Stück zu einem erste Orchestertutti, die Transparenz geht in diesem Klangkosmos leider verloren. Im zweiten Satz dominiert die Solovioline, sehr tonal und farbig. An jeder Stelle spürt man Henzes Ansatz der gehörten Klänge. Der minimalistische Ansatz amerikanischer Prägung im 3. Satz wird sofort durch rhythmische Aktionen gebrochen. Den 3. Satz noch deutlich spürend, wird es in Ein Traum deutlich assoziativer und sinnlicher, ja fast in der Intensität von Filmmusiken, man würde sich jetzt nicht wundern, wenn Nullnullsieben auf der Bühne erscheinen würde.

Im Anschluss an das Konzert kann man dann in der WIEN MODERN LOUNGE bei einem Glas Rotwein den Abend mit dem Film Hans Werner Henze – Memoiren eines Außenseiters ausklingen lassen.

(Steffen Kühn)

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