Das beste daraus gemacht: „Paganini” (Sebastian Schmideler)

Franz Lehár: Paganini
Text: Paul Knepler und Bela Jenbach
Musikalische Leitung: MD Roland Seiffarth
Inszenierung: Wolfgang Lachnitt
Choreographie: Mirko Mahr
Chor und Ballett der Musikalischen Komödie
Orchester der Musikalischen Komödie
Premiere 25. November 2006


„Zu der Liebe und zum Glück führt am schnellsten die Musik.“ – Franz Lehárs Operette Paganini in der Musikalischen Komödie

Paganini, der Teufelsgeiger, wirkte auf seine romantischen Zeitgenossen wie ein aus E. T. A. Hoffmans Novelle in die Wirklichkeit entsprungener Violinen-Klein-Zaches. Ein dämonischer und fratzenschneidender Kobold, der mit seiner besessenen Virtuosität bis zur Ekstase bezauberte. Paul Knepler und Béla Jenbach schneiderten aus diesem Urtyp des diabolischen Verführers in der Weimarer Republik nach bewährtem Salonoperettenmuster eine Art handzahmen Roy Black des 19. Jahrhunderts. Getreu dem Motto „Du bist ein Virtuos, nicht auf deiner Geige bloß“ avancierte diese markige Spezialanfertigung für Franz Lehár 1925 zum Publikumsrenner. Kein Wunder: mit sicherer Spürnase hatten Librettisten und Komponist genau Maß genommen und wie bei Konvektionsware berechnet, was den Leuten gefällt. Ein bisschen große, elegante Welt, ein Quäntchen halbseidenes Theatermilieu, etwas Wiener Schmäh im italienischen Modekurbad Lucca und vor allem viel Herzschmerz, schwelgende Harmonien, Weibergeschichten, inklusive Liebesszenen en gros et en détail, dazu viel Komik und Kalauer. Und eines durfte natürlich auch nicht fehlen: die musikalische Referenz an das ewige, unverwüstliche Franz-Lehár-Lied aus dem Land des Lächelns: „Dein ist mein ganzes Herz“.

Das war 1925. Einundachtzig Jahre später inspiriert besonders die interessante Partitur, die zum Spätwerk Lehárs zählt und dessen deutlich gereifte Nähe zur Gattung der Oper Note für Note hörbar werden lässt. In dieser Nähe liegt die Größe und die Schwierigkeit der Darstellung des Werkes. Denn es erfordert große Stimmen, die schauspielerisch topfit sein müssen und vor allem ein Orchester, das sich überall hören lassen kann. Und mit allem Respekt darf man sagen: Die Leipziger Musikalische Komödie hat in Wolfgang Lachnitts Inszenierung vom 25. November 2006 das Beste daraus gemacht.

Besonders das Muko-Orchester unter Roland Seiffarth glänzt und glitzert in allen Nuancen, und spätestens wenn der Soloviolinist die virtuosen Paganini-Kadenzen in einer atemberaubenden Interpretation ausformt, als gehöre das zu einer guten Operette ganz normal dazu, dann wissen alle Zuhörer, dass ihr MuKo-Orchester alles kann – nicht zuletzt, da Seiffarth die Fäden auf Bühne und im Graben mit sicherer Hand zusammenführt. Hervorzuheben sind natürlich auch die gewitzten, spielfreudigen, mit Lust an der Sache ausgefeilten Bühnenbilder und Accessoires, die der Sache erst den nötigen Pfiff verleihen: die Schwester Napoleons kommt auf einem riesigen Schaukelpferd angeritten, Paganini entsteigt einer von oben herabgewundenen überdimensionalen Violine, der Fürst macht sein Liebesgeständnis mit einem Luftballon in der Hand … usw. Es mangelt nicht an gewitzen Einfällen. Bernd Frankes Bühnenbild ist bunt und farbenfroh, strahlt in hellen, cremfarbenen Tönen und schmiegt sich ganz elegant in eine schöngefärbte Welt Napoleons I. Um nichts weniger erfreulich auch die Kostüme von Imme Kachel, die besonders durch skurrile und geschickt übertriebene Frisuren hervorstechen.

Dass die Inszenierung dennoch nicht so richtig in die Gänge kommt, kann keinem der daran Beteiligten angekreidet werden. Es liegt vor allem an dem zähen und bis zum unerträglichen Ennui reichenden Konversationston der teils gereimten Zwischentexte. Denn diese Konversation ist flach wie ein Trottoir. Das zweite Manko ist die übermäßige Länge des Stückes, das sich fast über drei Stunden hinzieht. Man muss in der Pause schon einige Martinis getrunken haben, um an dieser Operette bis ganz zum Schluss seine helle und ungetrübte Freude haben zu können. Dabei tun Ballet, Chor und Solisten wirklich alles dafür, um das Publikum bis zum Ende bei Laune zu halten. Allen voran bieten Kathrin Göring als Bella Giretti und Andreas Rainer als Marchese Giacomo Pimpinelli alles Operettenmögliche auf, um schwungvolle Bühnenpräsenz zu garantieren. Doch wie souverän und überzeugend Göring mit der Rolle der intriganten Primaballerina auch zu spielen versteht, so scheint dennoch die eine oder andere übertrieben Bewegung oder exaltierte Lache etwas zu viel des Guten zu sein. Da Göring dessen ungeachtet für das komische Fach unzweifelhaft viel Talent besitzt und die nötige versierte Stimmkraft auch mit darstellerischer Begabung verbindet, beweist sie, wie diese anspruchsvolle Partitur mit Witz und Können umgesetzt werden kann. Mehrzad Montazeri in der Titelpartie scheint die Rolle des Paganini nicht gerade auf den Leib geschneidert, dafür meistert er sie gut. Marion Costa als Fürstin Anna Elisa steigert sich nach einigen anfänglichen Manierismen im Verlauf des Abends in ihre Rolle hinein und leistet Beachtenswertes, so wie auch die Chorszenen wieder zeigen, dass der Chor der MuKo in dieser Aufführung sich agil, leicht und bestens präpariert beweist. Wie immer ganz in ihrem Element: Karl Zugowski als komischer Impressario und Milko Milev als Fürst Bacciocchi.

Die anspruchsvollen Balleteinlagen in der klug ausgearbeiteten Choreographie von Mirko Mar gegen Ende der zweiten Hälfte des Abends sind ein wahrer Höhepunkt der Inszenierung. Hier gelingt es, diese Operette in ihre niveauvollsten und stärksten Höhen zu heben. Die laszive Erotik der Paganini-Figur stattet Mar deutlich mit einem doppelten Boden aus und lässt so die flache Handlung in eine klare Aussage münden. Wie gesagt: das heißt, das Beste daraus zu machen.

(Sebastian Schmideler)

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