Ceci n\’est pas Paris: Franz Léhars „Die lustige Witwe” (Sebastian Schmideler)

Die lustige Witwe – Franz Lehár
Operette in drei Akten
Musikalische Leitung: Frank Beermann
Inszenierung: Francisco Negrin
Bühne: Rifail Ajdarpasic & Ariane Isabell Unfried
Kostüme: Louis Désiré
Choreographie: Thomas McManus
Chor der Oper Leipzig
Das „Lustige Witwe Ballett“
Gewandhausorchester
Premiere: 9. Dezember 2006


Dieses Stuck du sollen unmoglich verpassen: Die Lustige Witwe als letzte Premiere vor der Schließung des Zuschauerhauses der Oper Leipzig

Es dauert nur noch wenige Tage, bis das Zuschauerhaus der Oper zwecks Umbau geschlossen wird. Dann muss sich das Publikum für mehr als ein halbes Jahr auf die Drehscheibe der Bühne, in das Kellertheater und in andere, mehr oder weniger kuriose Ausweichspielstätten zurückziehen. Verständlicherweise ist in einer solchen Situation die Versuchung groß, vor diesem Interim noch einmal einen Kassenschlager ins Haus zu bekommen. Mit Franz Lehárs Lustige Witwe (1905) lässt sich ganz bestimmt nahtlos an den Leipziger Erfolg des „Pariser Lebens“ anknüpfen, eine Aufführung, die nicht zuletzt eine ganze Reihe Besucher magnetisch anzog, die das Opernhaus ansonsten nicht betreten haben würden und statt dessen für gute Auslastung sorgten. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass dieses besonders erfolgreiche Konzept „Oper für alle“ auch in Francisco Negrins Inszenierung der „Lustigen Witwe“ aufgehen könnte. Denn das Publikum ist von der Premiere am 9. Dezember ziemlich angetan – besonders enthusiasmiert ist Reihe Neun -, die vielen Buhs verhallen fast unerwidert im allgemeinen Applaus.

Wer wilden Opernzirkus mag, wer sich daran weiden kann, wenn bunte und flitterfarbene Dialoge, in denen ein Kalauer den nächsten jagt, im Stechschritt und parademäßig über die Bühne marschieren wie weiland die Tillergirls und wer es liebt, exaltiertes und schräges Theatermilieu in unverholener Selbstdarstellung zu erleben, wer Klamotte und Kalauer nicht scheut, wird in dieser Aufführung gut aufgehoben sein und dem ist diese Inszenierung wirklich sehr und uneingeschränkt zu empfehlen. Denn es wird fast alles geboten, was das Herz der ganz leichten Unterhaltung begehrt.

Äußerst bedauerlich bleibt einzig die Tatsache, dass leider diesmal kein Pferd auf die Bühne kommt und Dan Karlström seine Pistolen betrüblicherweise nicht effektvoll knallen lassen kann. Doch wir sind sehr zuversichtlich, dass sich dieses kleine aber unverzeihliche Manko bis zur Silvestervorstellung noch beheben lässt. Aber ansonsten ist diese Inszenierung einfach nicht mehr zu übertreffen, denn Francisco Negrin setzt – ganz den guten Vorsätzen Lehárs folgend – einfach alle erdenkliche Kraft daran, um der Szenerie und dem Inhalt der Operette einen höheren Sinn zu verleihen und sie zu „veredeln“. Um es in der Sprache der hier dem russisch-deutschen Slang verpflichteten Darsteller zu sagen: Dieses Stuck du sollen unmoglich verpassen! Denn das alles ist – wir schwören es – ganz und gar im Sinne Lehárs und kann wirklich nicht mehr getoppt werden!

Wahrhaft plausibel gestaltet wirkt jedenfalls der Versuch, die Szene in das Gerippe eines künstlichen Eiffelturms zu verlegen, der zugleich als Eingangsbereich einer mondänen und hotelartigen Spielhölle dient – angesiedelt irgendwo in einer Wüste … und dennoch: „Ceci n’est pas Paris“ und „Ceci n’etait pas Las Vegas“, wie die eingebaute Leuchtschrift, die mit der Verneinung und Bejahung der ersten Aussage spielt, eindrücklich vermittelt. Doch leider: So sehr dieser doppelte Boden aus Wüste und mondäner Attitüde zum Weiterdenken verlockt, so sehr bleibt diese Bühnenkonstruktion von Rifail Ajdarpasic und Ariane Isabell Unfried im Ansatz stecken und rangiert schließlich nur noch als passable und pragmatisch konstruierte Kulisse für den weiteren Handlungsverlauf.

Negrin seinerseits bleibt immerhin der Verdienst zugute zu halten, das Milieu und die Szene rückhaltlos aktualisiert zu haben. Das Spiel mit sexuellen Mutationen – Frauenballet in der Männerlobeshymne und umgekehrt – erreicht seinen unübertroffenen Höhepunkt im immerhin etwas provozierenden und in der Tat sehr, sehr energievollen Schwulenballet, das sehr eindrucksvoll zu kletternden Schimpansen mutiert. Wirklich sehr beachtlich ist auch die exzessive Kopulationsszene am Schluss, in der die Spielhölle in einen gewaltigen, besonders schön anzusehenden Swingerclub verwandelt wird, mit dem das Liebespaar des Grafen Danilo und der Witwe Hanna Glawari unvergesslich kontrastiert. So etwas Tolles wollten wir schon immer mal sehen! Das hebt die Operette – tatsächlich – aus dem Braven und Banalen heraus!

Dass der Rest des Abends in dem mehr oder minder müden Versuch endet, durch sehr, sehr meisterhaft simulierte Partylaune eine ganz effektvolle Stimmung in den Saal zu zaubern, stört nicht weiter, ist kaum erheblich und eigentlich auch ganz egal. Hauptsache bleibt: Hier wird das Publikum endlich einmal nach allen und – wie wir gestehen müssen – ganz besonders geschickt beherrschten Regeln der Unterhaltungskunst bei Laune gehalten. Und natürlich wird in dieser Oper endlich auch wieder gespielt – was sonst selten genug vorkommt -, und es wird sogar gut bis sehr gut gespielt, aber leider ohne erkennbares und klares Konzept, das den im Ansatz versprochenen Anspruch einlösen könnte. Man hangelt sich kichernd, aber betrüblicherweise ein kleines bisschen mühsam von einem Kalauer zum nächsten. Dass dabei kaum einer auf die Idee kommen würde, es in dieser Inszenierung mit demselben Regisseur des zum Bachfest 2005 gefeierten Temistocles zu tun zu haben, fällt eigentlich nicht weiter auf…

Dass die Inszenierung schließlich vollends ihren eigenen Anspruch übertrifft, ist nicht zuletzt der genialen Dialogbearbeitung von Thorsten Duit zu verdanken. Es ist lobenswert, den Sprachskeptizismus der Jahrhundertwende zu thematisieren und die Sprachunfähigkeit der Moderne in diesem Stück zu reflektieren. Besonders gelungen ist es, diese Idee dadurch umzusetzen, dass die Dialoge durchgängig in einem zusammengenuschelten Russlanddeutschslang heruntergestoppelt werden. Das ist schon deshalb einfach genial, weil in dieser Operette trotz aller Skepsis gegenüber der Ausdrucksfähigkeit von Gefühlen dennoch durch die Sprache Handlung vermittelt und vorangetrieben wird. Die Sprache bleibt tragende Säule des Ganzen. Was liegt da näher, als diese Säule durch Dialogbearbeitung in stammelndes Russlanddeutsch künstlich zum Stürzen zu bringen? Erst durch diesen schlauen Schachzug fällt das ganze Konzept unrettbar in sich zusammen und die Agierenden spielen und singen nun erst so richtig mit ganzer Leidenschaft in den Trümmern dieser Idee, was dem Stück erst den eigentlichen und so noch nie dagewesenen Reiz des Genialischen verleiht. Dass die Konversation zudem überquillt vor Bühnenrasseln in den Stimmen, vor hohlem Pathos in den Gebärden und im Ausdruck, sobald einer nur den Mund aufmacht, das gehört einfach dazu und passt sich wunderbar in dieses herrliche Konzept ein.

Auf musikalischer Seite dagegen wird unter der Leitung von Frank Beermann sehr solide gearbeitet. Wie gesagt: Schön, dass nicht nur gesungen, sondern auch gespielt wird, lobenswert ebenso, dass die Stimmen kraftvoll und energisch genug sind, den großen, für die Operette viel zu großen Saal auszufüllen. Gabriele Fontana als Hanna Glawari tischt den Zuschauern geschickt die kokette Jugendliche auf, Robin Adams als demotivierter Dandy Graf Danilo Danilowitsch überspielt nicht minder geschickt seine Indisponiertheit. Alles Stimmliche und Orchestrale ist ziemlich rund geschliffen und gut gemacht.

Summa summarum: Die Intendanz und die Verwaltung können wirklich zufrieden sein: Noch einmal ist das große Haus voll, die Oper nun endgültig reif für den Umbau. Und wir können sagen, wir sind dabei gewesen! Wer weiß: Vielleicht entsteigt ja ein Phönix aus der Asche…

(Sebastian Schmideler)

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