„Lichter der Vorstadt” – Kaurismäki vollendet die Verlierertrilogie (Vicky Noack)

Lichter der Vorstadt
Buch & Regie: Aki Kaurismäki
Kamera: Timo Salminen
Mit: Janne Hyytiäinen, Maria Järvenhelmi
& Maria Heiskanen
Finnland/Deutschland 2006
Länge: 80 Min.
Kinostart: 21. Dezember 2006
www.pandorafilmverleih.deFinnische Vorort-Melancholie: Die Geschichte eines geduldigen Verlierers

Einsame Betonkolosse reihen sich endlos aneinander. Kalt und abweisend zeigt sich Finnlands Metropole Helsinki im reichen Büro- und Geschäftsviertel Ruoholahti. Hier arbeitet der Außenseiter Koistinen (Janne Hyytiäinen) als Wachmann in einer Shopping Mall. Umgeben von funkelnden Vermögenswerten fristet er Nacht für Nacht sein Dasein. Erst die attraktive Mirja (Maria Järvenhelmi) bringt Licht in sein karges Leben. Leider ist das Glück ebenso unerwartet wie kurz. Zuerst macht sich die Unbekannte seine Sehnsucht nach Wärme und Liebe zunutze. Zuletzt steht seine gesamte Existenz auf dem Spiel.Die Unabwendbarkeit des Schicksals

Die Geschichte eines tiefen Falles nimmt ihren Anfang darin, dass sich Mirja in Koistinens Leben drängt. Still und heimlich, doch mit der Eiseskälte einer Femme Fatale setzt sie den Sicherheitsangestellten außer Gefecht und ebnet damit einer kriminellen Gang den Weg für einen Millionenraub. Währenddessen mimt Koistinen äußerst glaubhaft den „romantischen Trottel“, den Träumer, der ehrfürchtig und beständig auf etwas hofft, das ihm nicht zusteht. Er ist die Marionette, der Verlierer schlechthin. Nahezu grotesk wirken seine wirkungslosen – zudem recht späten – Versuche, sich gegen die ihm widerfahrenen Ungerechtigkeiten zur Wehr zu setzen. Ohne dass er eine reale Chance erhält, lässt Regisseur Kaurismäki den unermüdlich Hoffenden in den größten Abgrund rennen. Für die Polizei wird er schnell zum Verdächtigen und muss schon bald die heimische Blümchentapete gegen vergitterte Aussichten eintauschen. Dort leidet er sichtbar und ausdauernd. Und trotzdem schweigt er. Nach dem Grund frage man sich an dieser Stelle lieber nicht. Denn darauf gibt der Antiheld keine Antworten, er blickt ins Leere. Viel mehr wird ihm nicht bleiben. Bis auf die Verkäuferin einer Imbissbude, die er zuvor aus Gewohnheit allabendlich aufsuchte. Und doch ist er nicht dazu imstande, sie wirklich wahrzunehmen. Getreu nach dem Motto: Wer sich selbst nicht kennt, wird auch die anderen nicht verstehen. Fast schon tragisch.Krasse Gegensätze und kleine Gesten

Während das Scheitern des Protagonisten unabwendbar naht, erzeugen vor allem die Bilder eine extreme Ambivalenz und Symbolkraft. Kleinbürgerliche Bescheidenheit trifft auf kriminelles Machtstreben, aufopfernde Menschlichkeit und Glauben auf gänzlich abwesende Moral – all dies sind Widersprüche und gleichzeitig Triebkräfte in der modernen Gesellschaft. Deren unverschleierte Darstellung verleiht dem Film seinen schwermütigen Charakter. Durch die Stille und die in Grau getauchten Straßen, Hafen- und Fabrikanlagen entspringt den Bildern eine schmerzende Melancholie. In dieses Ensemble fügt sich der oft wie erstarrt wirkende Koistinen perfekt ein. Er agiert so lethargisch, als würde ihm erst durch die Berührung des Scheinwerferlichts Leben eingehaucht. Das macht sein schweres Los sicht- und mit der Zeit sogar spürbar. Demgegenüber erhebt sich die lichte und zugleich kalte Erscheinung der Mirja.

Mit Lichter der Vorstadt vollendet Kaurismäki seine Trilogie der Verlierer, die er mit Wolken ziehen vorrüber und Der Mann ohne Vergangenheit begann. Nachdem er zuvor Arbeitplatzverlust und dann Obdachlosigkeit fokussierte, raubt er nun seinem Helden all dies und mehr, nämlich die gesamte soziale Existenz. Und obwohl Lichter der Vorstadt um einiges härter und erbarmungsloser wirkt als seine Vorgänger, bleibt Kaurismäkis eigenwillige Art des Filmens unverkennbar. Dass er diesmal näher als gewöhnlich an der Realität bleibt, schadet dem Ergebnis keinesfalls. Ansonsten dominiert auch hier die Stille. Wie man von ihm gewohnt ist, zeigt er vielmehr, als dass er etwas sagen lässt und bevorzugt die intensive Inszenierung der Blicke. Und genau diese Dinge machen die enorme Ausdrucksstärke seines filmischen Schaffens aus.

Ohne zu beschönigen zeichnet Kaurismäkis neuester Streich – wie sollte es anders sein – die negativen, vernichtenden Seiten unserer Gesellschaft, derer es leider zu viele gibt. Selbst der mitschwingende, leicht ironische Unterton kann der entstehenden Melancholie nur schwer etwas entgegenhalten. Kaum noch hoffend und doch sehr erleichtert, erblickt man dann in den letzten Bildern endlich eine rettende Geste, so dass das offene Ende zwei Optionen bereithält. Hocherfreut, dass Kaurismäki zu derartigen Kunstgriffen fähig ist, entscheiden wir uns für die optimistische. (Vicky Noack)

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