Die Gewalt der Gemeinschaft: „The Wind that Shakes the Barley” (Johanna Lemke)

The Wind that Shakes the Barley
Regie: Ken Loach
Drehbuch: Paul Laverty
Mit: Cillian Murphy, Pádraic Delaney, Liam Cunningham & Orla Fitzgerald
Irl / GB / D / S – 124 Minuten
Verleih: Neue Visionen Filmverleih GmbH
Kinostart: 28. Dezember 2006
Die Gewalt der Gemeinschaft

Dies ist ein historischer Film, denn er erzählt die Geschichte des irischen Unabhängigkeitskrieges der Jahre 1920 bis 1922. Es ist ein anti-britischer Film, weil er Sympathien für irische Widerstandskämpfer weckt und Engländer ziemlich schlecht dastehen lässt. Und es ist ein Film über die Kraft, die von eigentlich schwachen Gemeinschaften ausgeht, wenn Menschen ein gemeinsames Ziel haben. Aber gleichzeitig bricht The Wind that Shakes the Barley, der diesjährige Gewinner der Goldenen Palme, mit all diesen Hauptsträngen – und das macht ihn interessant.

Der Film des Briten Ken Loach (Land of Freedom, Just a Kiss) erzählt vom irischen Widerstand um 1920, der gegen die übermächtigen englischen Besatzer entsteht. Hauptfigur ist der junge Arzt Damian, der, anstatt einen lukrativen Job in London anzunehmen, sich in Irland Kämpfern der IRA unter der Führung seines Bruders Teddy anschließt.

Loach schildert die Übergriffe der Engländer in all ihrer Grausamkeit – unweigerlich wird hier Position eingenommen für die irische Seite. Englische Soldaten sind ausschließlich anonyme und brutale Unmenschen. Die Iren hingegen werden dargestellt als eine unterdrückte, aber unter der Oberfläche leidenschaftliche Gemeinschaft, die von ihrer Verbundenheit zur eigenen Sprache und Kultur gezeichnet ist. Erst schrittweise entwickeln sich die einfachen Bauern und Arbeiter zu einer Gruppe von kampfbereiten Guerillas, die zwar voller Willen sind, den englischen Feind zu vertreiben, jedoch immer wieder an den begrenzten Mitteln scheitern. So ist die Sympathie des Zuschauers schnell verteilt, fast entsteht der Eindruck eines allzu anti-britischen Filmes, der die Brutalität des irischen Befreiungskrieges außer Acht lässt. Aber genau hier findet der Bruch statt: Je stärker der irische Widerstandskampf wird, umso mehr gleicht er sich in Willkür und Brutalität seinem englischen Feindbild an. Es geht nicht mehr nur um Notwehr, die Gewalt richtet sich gegen die eigenen Reihen. Als der Sympathieträger Damian einen minderjährigen Jungen aus der eigenen Gruppe erschießt, weil dieser ein Versteck verraten hat und nun als Verräter hingerichtet werden muss, fühlt sich der Zuschauer erschüttert in seiner Zuneigung zu den fast folkloristisch-naiv dargestellten Iren. Immer wieder wird er herausgerissen aus der mitfühlenden Parteinahme, wenn deutlich wird, dass es im Krieg kein „Gut“ und „Böse“ geben kann. Und dass sich die positive Energie, die in Gemeinschaften steckt, ganz schnell in das negative Gegenteil umwandeln kann.

Auf die Spitze getrieben wird dieser Zwiespalt, als der Englisch-Irische Vertrag die Widerstandskämpfer entzweit. Der Vertrag legalisierte zwar die Unabhängigkeit Irlands, stellte es aber noch immer unter die Herrschaft der britischen Krone. Die Widerstandskämpfer teilen sich in die, die den Vertrag akzeptieren und jene, die weiter für eine vollständige irische Unabhängigkeit kämpfen. Es gibt kein „Dafür“ oder „Dagegen“ mehr, wenn Damians Bruder Teddy Teil des englisch-irischen Militärs wird, das versucht, den Widerstand auszuhebeln, von dem er einst selbst der Anführer war. Plötzlich stehen sich die Brüder als Feinde gegenüber, die Brutalität in den eigenen Reihen wächst ins Unermessliche eines Bürgerkrieges. Gewalt kommt von allen Seiten, und sie büßt an Grausamkeit nichts ein – selbst wenn sie für ein hehres Freiheitsideal eingesetzt wird. Und an dieser Stelle wird die Brisanz des Filmes deutlich, denn Loachs Arbeit ist eindeutig ein Hinweis auf den Irak-Einsatz der Engländer, der statt zu Frieden nur zu mehr Gewalt im Inneren führt.

Ohne Kitschmomente inklusive berauschender irischer Landschaften und der obligatorischen Liebesgeschichte kommt der Film nicht aus. Die schonungslosen Kriegs- und zum Teil Folterszenen bilden hierzu immer wieder einen Kontrast, sie sind oft an der Schmerzgrenze und wären sicher auch mit weniger Drastik ausgekommen. The Wind that Shakes the Barley entlässt sprachlos, weil Grausamkeit beider Seiten einfach keine Erklärung findet. So eröffnet der Film einen neuen Blick auf die historischen irisch-englischen Auseinandersetzungen und schafft gleichzeitig eine unerwartete Gegenwärtigkeit.(Johanna Lemke)

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.